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Wann streiten wir uns endlich über den Qualitätspakt Lehre?

Alle reden über die Zukunft des Hochschulpakts. Das ginge in Ordnung – wenn die Debatte nicht anderswo eine ärgerliche Leerstelle hätte. Ein Gastkommentar von Ernst Dieter Rossmann.

Ernst Dieter Rossmann. Foto: SPD.
Ernst Dieter Rossmann. Foto: SPD.

JA, ES IST auf den ersten Blick verständlich, wenn sich die hochschulpolitische Debatte aktuell darauf konzentriert, wie es mit dem Hochschulpakt nach 2020 weitergeht – und welche Form der verstetigte  Bundesfinanzierung auf Grundlage des neu geschaffenen Grundgesetz-Artikels 91 b dafür gefunden wird. Hierzu gibt es umfangreiche Positionspapiere des Wissenschaftsrats, Ideen von verdienten und neuen Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder jüngst auch vom Deutschen Hochschulverband.

 

Immerhin stehen dabei über zwei Milliarden Bundesmittel jährlich im Feuer und alle, denen die solide Grundfinanzierung der Hochschulen in Deutschland ein Anliegen ist, erwarten mit Recht, dass diese Mittel nicht nur für die Zukunft gesichert bleiben, sondern möglichst ausgeweitet werden. Kurzum: Es muss zu einem echten Zukunftspakt zwischen Bund und Ländern für die Stärkung der Hochschulen in Forschung und Lehre kommt. Die Leitsätze für das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Anschluss an den Hochschulpakt 2020 stehen deshalb aus guten Gründen ganz am Anfang des Kapitels zu Hochschulen und Wissenschaft im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für diese Legislaturperiode. Der Staatssekretärsrunde, die jetzt über die Verbindlichkeit der Finanzierung, die Justierung von Verteilungsschlüsseln und innovative Gestaltungskriterien eines solchen Hochschulpaktes für die Zukunft brütet, können alle nur viel Geist und Glück wünschen.

 

Auf den zweiten Blick fällt allerdings auf, dass ein weiteres für die Hochschullehre zentrales Thema zu Unrecht im Schatten der Hochschulpakt-Debatten steht. Ich rede von der anstehenden Nachfolge für den Qualitätspakt Lehre. Im Koalitionsvertrag findet er sich im zweiten Absatz des Kapitels. Auch dieser Absatz hat es in sich und verdient daher, stärker in den Mittelpunkt der Zukunftsdebatte um die Förderung der Hochschulen gerückt zu werden. Die Koalitionäre halten darin fest: "Den Qualitätspakt Lehre wollen wir verstetigen und in Anlehnung an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates weiterentwickeln und u.a. die innovative Hochschullehre, den hochschulübergreifenden Austausch und die Übertragung erfolgreicher Konzepte wettbewerblich fördern."

 

Tatsächlich muss es zu denken geben, wie wenige Diskussionen in den Hochschulen selbst, unter den Hochschulpolitikerinnen und Hochschulpolitikern, aber auch auf der Ebene der beteiligten Institutionen, der betroffenen Verbände und der einschlägigen Publizistik zu diesem Thema geführt wird. Gewiss: Es geht nicht um über zwei Milliarden jährlich, sondern um "nur" (sic!)  rund 200 Millionen. Auch war es bisher nicht garantiert, dass alle deutschen Hochschulen von diesen Mitteln unmittelbar partizipieren und es könnte auch für die Zukunft so kommen, dass diese Mittel wettbewerblich nur von einigen "erkämpft" werden können. 

 

Was die Sache nicht einfacher macht: Es gibt anders als bei der Debatte um den Hochschulpakt unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Positionen an den Hochschulen. Während sich beim Hochschulpakt alle Hochschulgruppen einig sind in ihrer Förderung nach einer dynamischen Erhöhung der Mittel, gibt es beim beim Qualitätspakt Lehre auch ablehnende bis kritische und zumindest zweifelnde Stimmen, was Sinn, Effektivität und Innovationskraft des bisherigen Programmes und seiner möglichen Verstetigung angeht.

 

Unter der mittlerweile glatt polierten Oberfläche vom öffentlichen Konsens zur guten Lehre und ihrer zentralen Bedeutung an den Hochschulen stehen sich ein verbissener Kampf um Forschungsreputation, um Profile von Universitäten versus Fachhochschulen (bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften) und nicht zuletzt auch der "extrem ausgeprägte Individualismus deutscher Professoren" (Jan-Martin Wiarda) im Weg. Sie sorgen mit dafür, dass notwendige Klärungen unterbleiben, wichtige und wegweisende Impulse zur breiten und innovativen Verbesserung der Hochschullehre nicht aufgenommen werden und die Debatte um die Fortsetzung des Qualitätspakts auf Sparflamme läuft. Von energischen Forderungen und Protesten  aus der Studentenschaft, von klugen  und innovativen Initiativen aus dem Kreis der Hochschullehrer und von breitem Interesse in  der Hochschulpolitik hierzu ist jedenfalls nicht viel zu spüren.  

 

Der Wissenschaftsrat hat vorgelegt

 

Dabei drängt die Zeit. Der Wissenschaftsrat hat hierzu schon im April 2017 ein profundes und ideenreiches Positionspapier namens "Strategien für die Hochschullehre" vorgelegt. Darin enthalten sind die Forderung nach der Einrichtung einer "eigenständigen Organisation" für die Lehre und die Erwartung, dass der "Mehrwert" einer solchen Organisation für Bund und Länder auf der Systemebene liegt – indem sich Bund und Länder auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem Qualitätspakt Lehre in gemeinsamer Verantwortung systematisch für die Förderung und Qualitätsentwicklung der Lehre einsetzen können. Im April dieses Jahres hat der Wissenschaftsrat mit seinem Positionspapier zur "Hochschulbildung im Anschluss an den Hochschulpakt 2020" noch einmal nachgelegt und ausdrücklich an seinen Vorschlag erinnert.  Nach dem Auslaufen des Qualitätspakts Lehre und unabhängig von temporär begrenzten Programmen empfiehlt er, eine Organisation mit dauerhaften Fördermöglichkeiten für Innovationen in der Lehre bereitzustellen, die Vernetzung von Akteuren und den Austausch von Erfahrungen aus Einzelprojekten voranzutreiben und so die Verbreitung erfolgreicher Innovationen in der Lehrpraxis zu unterstützen. Eine solche Organisation mit gebündelter Expertise für die Hochschullehre solle außerdem zur Entwicklung valider Kriterien und Verfahren zur Bewertung von Lehrqualität beitragen, sagt der Wissenschaftsrat.

 

Die offenen Fragen drängen

 

"Trefflich formuliert, gut positioniert, laut gebrüllt, Löwe!", möchte man dem Wissenschaftsrat zurufen. Aber was folgt jetzt daraus? Wird es einen breiten Konsens von Bund und Ländern geben, dem verstetigten Hochschulpakt 2020 ff. als großem Bruder auch noch die kleinere Schwester Qualitätspakt Lehre als eigenständige Hochschulinitiative zur Seite zu stellen? Oder sollen 200 Millionen Euro wirklich sang- und klanglos, sprich ohne Profil und signifikante Innovation, in der allgemeinen Grundfinanzierung mit untergehen? Was spricht eigentlich ernsthaft dagegen, neben dem Goliath Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die in ihrer Wirksamkeit für die Forschung an den Hochschulen überhaupt nicht in Frage gestellt werden soll, einen David namens Deutsche Lehrgemeinschaft (DLG) hochwachsen zu lassen –  aber ohne Schleuder, sondern in bester Partnerschaft? Wer nimmt endlich die Stärkung von Innovationen in der Lehre in die Hand, auch im Zeichen von Digitalisierung, der Internationalisierung der Hochschulen und von immer mehr dualen Studiengängen? Wer kümmert sich um den Transfer solcher Lehrinnovationen durch die bessere Vernetzung der Akteure? Wo könnte die Entwicklung von Qualitätskriterien für die gute Lehre besser gemeinschaftlich begleitet werden als durch ein solches Institut? 

 

Wenn sich der neue HRK-Präsident Peter-André Alt in der FAZ  vorstellen kann, dass die Hochschulrektorenkonferenz einen Katalog von zehn Kriterien für die Qualität der Lehre festlegt und Hochschulen, die mindestens sieben davon erfüllen, an der Förderung durch den Bund in Zukunft teilhaben sollten, dann können sich doch alle Kundigen ohne viel Phantasie vorstellen, welche Sprengkraft in einem solchen Vorschlag liegt und welcher wissenschaftsgeleiteten hochschulpolitischen Konsensbildung es für eine solche Idee bedarf. 

 

Es muss gestritten werden, endlich! 

 

Hoffentlich kommt mit Alts Vorschlag jetzt wirklich mehr Streit in die Debatte. Nichts ist schädlicher für das ernsthafte Anliegen, die gute Lehre mit in das Zentrum künftiger Hochschulförderung zu stellen, als ein verschlafen-uninspiriertes "Weiter so" . Nein, es muss jetzt geschärfte Positionen geben: zu einem eigenständigen Zukunftspakt Gute Lehre, zur Deutschen Lehrgemeinschaft, zu einem offenen Wettbewerbsverfahren für die gute Lehre, zu einem gemeinsamen Kriterienraster für alle Hochschulen. 

 

2020 läuft der bisherige Pakt aus. 2019 müssen die notwendigen Vorbereitungen an den Hochschulen für die Folgejahre getroffen werden können. Das Jahr 2018 muss deshalb das Jahr der Klärung werden. Ja, es muss jetzt endlich gestritten für die gute und innovative Lehre – bevor es zu spät ist für eine gemeinsame Zukunftslösung. Deshalb bitte mehr Streit! Öffentlich und engagiert, produktiv und vor allem: jetzt! 

 

Ernst Dieter Rossmann ist SPD-Bildungsexperte und Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

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Kommentare: 3
  • #1

    Marco Winzker (Mittwoch, 15 August 2018 16:41)

    Richtig. Die Zukunft des Qualitätspakt Lehre muss geklärt werden. Aber die Antwort kann nicht eine dauerhafte Abfolge von immer neuen Projekten sein. Gute Konzepte, die in Projekten entwickelt wurden, müssen auch die Chance haben, langfristig verankert zu werden und das geht über feste Finanzierung für feste Stellen.

    Reine Projektförderung für Lehre heißt ja gerade, dass nur eine kurzfristige berufliche Perspektive besteht. Danach geht es in die Wirtschaft oder zur Professur und dazu braucht man dann doch wieder die Forschung.

    Und ja, das Geld darf nicht im allgemeinen Hochschulhaushalt versacken, aber da kann es klare Kriterien zur Verwendung geben. Nach neun Jahren Qualitätspakt Lehre gibt es doch Erkenntnisse, wie Studierende wirksam unterstützt werden können.

  • #2

    Tenna (Freitag, 17 August 2018 22:37)

    Das WR Positionspapier vom April 2018 sagt aber auch, dass es grundlegend ist, die Betreuungsrelation nach dem enormen Aufwuchs zu verbessern. Was helfen die in vielen Teilprojekten entwickelten Lehrinnovationen, wenn sie aufgrund der hohen Studierendenzahlen in den Lehrveranstaltungen nicht wirklich implementiert werden können bzw. die KapVO es gar nicht zulässt. ... Zudem: vielfach waren die Jahre des Qualitätspakts doch nur ABM für Kolleginnen und Kollegen. Weder eine Nachhaltigkeit noch eine Ownership der Entscheider an Hochschulen ist nicht in Sicht.

  • #3

    Martin Lommel (Montag, 20 August 2018 16:17)

    All dem Geschriebenen stimme ich zu; zugleich stecken wir in einem Dilemma, in dem es vor allem gute Ideen braucht. Die Hochschulen wollen begründeter und verständlicher Weise keine dauerhafte Projektfinanzierung (nahezu ein Oxymoron) und zugleich wird es m.E. nur dann auch künftig Lehrinnovationen geben, wenn kompetitive Projektmittel dazu anreizen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Umfang (und die Wirkung) der durch den Qualitätspakt Lehre initiierten Veränderungen an den Hochschulen selbst das BMBF überrascht hat.

    Natürlich wurden durch die Gelder auch weniger erfolgreiche Dinge erprobt - aber auch das ist Teil von Innovation. Und natürlich muss es jetzt darum gehen, erfolgreiche Ideen zu verstetigen, ohne eine inzwischen gut etablierte Praxis als Innovation antragstauglich formulieren zu müssen (wenngleich das zu den Basiskompetenzen im Wissenschaftsmanagement gehört).

    Zugleich dürfen wir nicht beim Status Quo in der Lehre verharren - dafür sind wir in den letzten zehn Jahren noch nicht weit genug gekommen und dafür liegen in den nächsten zehn Jahren noch zu viele Herausforderungen vor uns. An eine flächendeckende "intrinsische" Motivation zur Lehrentwicklung glaube ich hingegen nicht. So lange die Reputationsasymmetrie zwischen Forschung und Lehre vor allem an Universitäten derart eklatant ist, werden zweckUNgebundene Gelder eher für die Forschungsförderung verausgabt und als für die dauerhafte Finanzierung von innovativen Lehr-, Lern- und Beratungsangeboten verwendet. Daher braucht es m.E. eine Idee, die beides kann: Die Hochschulen von der Projektfinanzierung in der Lehre erlösen und zugleich weiterhin Lehrinnovationen befördern.

    Wie wäre es beispielsweise, wenn in einem Achtjahres-Zyklus den Hochschulen entsprechend eines Schlüssels Gelder zugewiesen werden würden und die Hochschulen anhand der Bilanzierung der eingesetzten Mittel durch ein Gutachtergremium im nächsten Förderzyklus durch einen prozentualen Bonus honoriert werden bzw. im Sinne einen Malus weniger umfangreich gefördert werden würden.

    So hätten die Hochschulen einerseits Planungssicherheit und Zeit, Dinge zu erproben und zu entwickeln. Zugleich würde aber auch deutlich, dass die Gelder nicht zur "freien Verfügung" stehen, sondern es sich durchaus lohnt, Lehre weiter zu denken und weiterzuentwickeln. Denn ein kontinuierlich schlechtes Abschneiden bei diesem Verfahren würde dann die Förderung irgendwann nahezu vollständig beenden.

    Voraussetzung vor einem ersten Förderzyklus könnten eine "Lehrverfassung" und ein Status Quo in der Lehre der vergangenen acht Jahre sein - weniger im Sinne eines zu begutachtenden Antrags, mehr als Ausdruck einer Reflexion der Situation und zurückliegender Bemühungen.

    Wenn dann die entsprechende Bundesförderung einen für die Hochschule relevanten Umfang hat, wäre in meinen Augen beides möglich: Dauerhafte Finanzierung und zugleich innovative Lehre.

    Oder?