Vielleicht passiert es ja diesen Oktober. Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, 47, gilt als heiße Anwärterin auf den Nobelpreis, seit sie vor einigen Jahren in Schweden die Genschere Crispr entwickelt hat. 2013 ist sie auf Initiative der Helmholtz-Gemeinschaft und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nach Deutschland gekommen, 2015 berief sie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zur Abteilungsdirektorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.
Die MPG rühmt sich selbst (und durchaus zu Recht) als Aushängeschild des deutschen Wissenschaftssystems, ihr Präsident Martin Stratmann zitiert gern Statistiken, wonach die meisten der besten (ja, diese Differenzierung ist wichtig) in Deutschland entstehenden wissenschaftlichen Publikationen aufs Max-Planck-Konto gehen. Dass keine deutsche Wissenschaftseinrichtung in den vergangenen 70 Jahren mehr Nobelpreisträger auf sich vereint hat, versteht sich da fast schon von selbst. Und wer es noch nicht wusste, dem sagen es die MPG-Strategen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Insofern tut man Stratmann und seinen Leuten sicher auch kein Unrecht mit der Vermutung, dass sie bei der Verpflichtung von Charpentier schon ein bisschen auf den Ruhm von morgen geschielt haben.
Umso bemerkenswerter ist das Interview, das die Forscherin nun dem Kollegen Sascha Karberg im "Tagesspiegel" gegeben hat. Ich zitiere mal ein paar Sätze daraus. "Die Max-Planck-Gesellschaft ist weltweit bekannt als eine Institution, die Wissenschaftler großzügig ausstattet und nachhaltige und freie Grundlagenforschung ermöglicht", hat Charpentier zu Protokoll gegeben. Aber: "Geld ist nicht alles." Auch die Organisation eines Instituts und das wissenschaftliche Umfeld seien wichtige Faktoren, und da gebe es in Europa "mancherorts eine Neigung zum Konservativismus." Auf Deutschland gemünzt fährt sie fort: "In anderen Ländern wie Österreich oder Schweden sind Institute gut organisiert – mit weniger Bürokratie und Einschränkungen als hier." Eine harte Breitseite gegen Max Planck, gegen Helmholtz und gegen die föderale deutsche Wissenschaftspolitik insgesamt, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend selbstzufrieden gegeben hat nach dem Motto: "Wir spielen jetzt weltweit ganz vorn mit."
Und es wird noch krasser. Während Charpentier Schweden für das kreative Umfeld lobt, beschreibt sie Deutschland vor allem als Ort für langfristige Forschungsmöglichkeiten, wo man leicht an Geld kommt. Mit anderen Worten: Wenn schon nicht kreativ, so ist es wenigstens solide hier.
Wer glaubt, ich hätte Charpentier überinterpretiert, der lese sich die folgenden Sätze durch, wiederum wörtliches Zitat: "Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob die MPG ein Platz ist, der
nur gute Leute kauft, oder ein Ort, der Forschern gute Bedingungen für Entdeckungen bietet." Autsch. Und dann noch die Take-Home-Message: "Die Wissenschaft in Berlin und Deutschland ist
hervorragend und wird es bleiben – vorausgesetzt, die wissenschaftlichen Strukturen sind in der Lage, sich so zu verändern, dass sie international konkurrenzfähig bleiben."
Soweit zum Thema Top-Wissenschaftsstandort Deutschland und Aushängeschild Max Planck. Möglich, dass sich MPG-Präsident Stratmann jetzt im Oktober etwas schwerer damit tut, Charpentier zu
rühmen und ihren Erfolg für Max Planck zu reklamieren, falls denn endlich der ersehnte Anruf aus Stockholm kommt.
Charpentier ist übrigens nicht die erste aus der Gruppe der internationalen Spitzenforscher, die den Max-Planck-Leuten und ihrem fast schon legendären Selbstbewusstsein in letzter Zeit einen Dämpfer versetzt hat. 2013 hat Thomas Südhof von der Stanford University den Medizin-Nobelpreis erhalten, doch anstatt seinen ehemaligen Arbeitgeber MPG zu loben, erläuterte Südhof in mehreren Interviews ausführlich, was ihn veranlasst hatte, Max Planck und Deutschland 1998 den Rücken zuzukehren. Es habe am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin für seine Arbeit nicht die Voraussetzungen gegeben, die er sich erhofft hatte, sagte Südhof der FAZ. Und nein, am Gehalt habe es nicht gelegen: "In der Wirtschaft mögen die Gehälter besser sein in den Vereinigten Staaten, in der Forschung sind sie es nicht. Das Gehalt als Max-Planck-Direktor ist wahrscheinlich besser als das, was ich hier verdiene." Aber er sei ja nicht wegen des Geldes weggegangen – und auch nicht wegen der Sicherheit und Macht, die ihm Max Planck geboten hätte: "Wir forschen nicht um der Sicherheit und Macht willen, sondern weil wir daran glauben, was wir tun." Es ging um die Größe von Tierställen und Laboren. Um es auf den Punkt zu bringen: Der deutsche Hang zur Bürokratie, so war es zumindest Südhofs Wahrnehmung, hat ihn aus Deutschland vertrieben. Und ein MPG-Präsident namens Peter Gruß habe ihn nicht zurückhaben wollen, als der spätere Nobelpreisträger 2003 nochmal anklopfte.
Immerhin: Südhof glaubte schon im FAZ-Interview von 2013, dass sich Deutschlands Wissenschaftslandschaft positiv verändert habe. Und Gruß' Nachfolger Martin Stratmann gilt in der
Wissenschaftsszene als einer, der die Reformbedürftigkeit der MPG erkannt hat und beherzt angeht. Genau nach dem von Charpentier und Südhof zitierten Motto: Genug Geld ist nicht alles. Und
vergangener Ruhm auch nicht. Siehe hierzu auch mein Interview mit Stratmann vom vergangenen Jahr. Insofern sollte ich meine Interpretation zwei Absätze
weiter oben womöglich revidieren. Denn vielleicht kommen Stratmann wenig schmeichelhafte Äußerungen wie die von Emmanuelle Charpentier bei all den unvermeidlichen Debatten mit allzu
veränderungsresistenten Max-Planck-Kollegen sogar gelegen. Überhaupt sollten Wissenschaftslenker und Wissenschaftspolitiker angesichts solcher Äußerungen jetzt nicht kollektiv in
Abwehrhaltung gehen oder Charpentier am Ende sogar Undankbarkeit vorwerfen, sondern sie sollten sich fragen: Warum sagt die Frau das? An welchen Stellen hat sie Recht? Und was können wir besser
machen?
Eine dauerhafte und vollständige Rückkehr konnte sich Südhof 2013 übrigens noch nicht vorstellen – erneut aufgrund der seines Erachtens verkrusteten Strukturen in Deutschland. Südhof, Jahrgang
1955, sagte der FAZ, er sei für Deutschlands Wissenschaftssystem zu alt. "Meine Kollegen in Deutschland bekommen bald ihre blauen Briefe, hier in Amerika gibt es kein Pensionsalter." Aber auch
hier gibt es einen Lichtblick: Seit 2014 forscht Südhof regelmäßig als so genannter Einstein BIH Visiting Fellow am Berliner Institut für Gesundheit und an der Charité.
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Manfred Ronzheimer (Dienstag, 06 September 2016 17:12)
Ich finde den Beitrag etwas "unrund". Man sollte wie ein guter Richter auch entlastende Punkte erkennen und gewichten. Das war im vorigen Jahr der Auftritt von Nobelpreisträger Stefan Hell auf der MPG-Jahresversammlung in Berlin. Im Gespräch mit Ranga Yogeshwar schilderte er eindrücklich, wie mit seiner Forschungsinnovation von Pontius zu Pilatus tigerte, bis ihm dann die MPG zum Durchbruch verhalf. Hier vomKollegen Hofmann in Kürze beschrieben: http://www.solarify.eu/2015/06/19/634-deutschland-schwachelt-an-der-spitze/6/
Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 06 September 2016 18:14)
Lieber Manfred,
ich stimme Dir zu. Dass Max Planck und die anderen vieles richtig machen, will ich auch gar nicht bestreiten. Allerdings war und ist mein Punkt an dieser Stelle ein anderer: Warum äußern sich Charpentier und Südhof so? Was können wir dadurch lernen? Und wo befinden wir uns in Gefahr, in Selbstzufriedenheit abzugleiten?
Herzliche Grüße,
Jan-Martin
Nikolaus Bourdos (Dienstag, 13 September 2016 17:45)
Charpentier verschießt scheinbar kleine, aber doch schmerzhafte Pfeile. Beim Lesen des Interviews beschlich mich an mancher Stelle das Gefühl, dass sie fast schon wieder auf dem Sprung ist.
Christina Klar (Sonntag, 06 November 2016 14:02)
Lieber Herr Ronzheimer,
meine Antwort kommt etwas spät, aber dennoch: Stefan Hell lobte zwar auf der Jahrestagung die MPG-Bedingungen, versäumte aber auch nicht, deutlich zu machen, dass in der Max-Planck-Gesellschaft, wie sie heute ist, der Grundstein zu einer Forschung wie seiner nicht mehr möglich wäre: Das ging nur nach dem alten System, mit unbefristeten bzw. immer wieder verlängerbaren Mitarbeiterstellen und ohne Publikationsuntergrenze. Mit anderen Worten: Man hat an ihn geglaubt, als seine Forschung noch intellektuell unrentabel war, und wurde am Ende mit dem Nobelpreis belohnt. Das ist heute anders, und Hell hat das ganz klar gemacht.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:03)
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