Ich habe es ja selbst getan. Vor einigen Wochen schrieb ich bei Spiegel Online einen Artikel über die "Schulruinen von Berlin". Und bereue kein Wort, denn wer einmal eine Rundreise
durch die Bildungslandschaft der Hauptstadt unternommen hat, steht mitunter sprachlos vor dem Verfall und all der Bröckelei. Und der Sanierungsstau ist nicht einmal das
vordringlichste Problem. "Berlin ist Schlusslicht bei der Lehrerbildung",
berichtete der Tagesspiegel vergangene Woche. Mit gravierenden Folgen: Von 910 neu eingestellten Grundschullehrern haben nur 162 die richtige Ausbildung – der Rest sind Quereinsteiger
und Studienräte. Die FAZ schrieb am selben Tag (leider noch nicht online) über "Wahn und Wirklichkeit in der Hauptstadt": "Marode Schulbauten, zu wenig Plätze und fehlende Lehrer – in
Berlin ist es damit besonders schlimm." Dass Berlins Schüler von ihren Leistungen her im Bundesländervergleich fast immer auf den hinteren Plätzen landen, ist da fast schon logische
Konsequenz.
Kann man überhaupt noch etwas Positives über Berlins Schulen schreiben? Meine Antwort in der ZEIT von heute: Aber ja! Denn nirgendwo sonst in Deutschland gibt es so viele gute Ideen und pädagogische Konzepte auf so
engem Raum. In einer Stadt, der keine soziale Problemlage unbekannt ist, gibt es auch für jede besondere Herausforderung irgendwo eine besondere, eine kreative Lösung. Von einer
teilweise herausragend aufgestellten Begabtenförderung über die seit Jahrhunderten gelebte Internationalität bis hin zu einem ehrlichen Bemühen um Chancengerechtigkeit: Viele Schulen und Lehrer
überall in Berlin strengen sich wirklich an. Und in dieser Feststellung ist kein Unterton versteckt nach dem Motto: Alles vergebliche Liebesmüh.
Damit zeigt Berlin eindrücklich den Unterschied zwischen statistischen Mittelwerten (wirklich mies) und statistischer Varianz (mit enormen Ausreißern nach unten, aber eben auch nach oben). Die statistischen Ausreißer hängen dabei nicht von Geld oder Status ab. Denn (fast) alle spannenden Schulen und Konzepte, über die ich in meinem Artikel berichte, sind staatlich finanziert und damit gebührenfrei. Kein Wunder also, dass die Berliner Senatsverwaltung für Bildung Feuer und Flamme war, als sie von den Recherchen für diesen Artikel erfuhr. Allzu viele Orden sollte sich die aktuelle Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) allerdings nicht anheften. Denn auch das gehört drei Tage vor der Abgeordnetenhaus in Berlin zur Wahrheit: Die Berliner Stärken haben schon etwas mit der Schulpolitik im Land zu tun, doch nur zu einem geringen Teil mit der in den vergangenen fünf Jahren.
Berlins Schulen als Innovationsmotoren und Ideengeber über die Hauptstadt hinaus: ein schöner Gedanke und dazu einer, der nicht einmal falsch ist. Und dennoch: Viele Ideen und eine große Breite an Konzepten machen ein Schulsystem insgesamt noch nicht leistungsstark. Insofern soll mein Artikel in der heutigen ZEIT eine doppelte Botschaft senden. An Lehrer und Schüler überall in der Staat, die Großartiges leisten: Das wird gesehen, ihr geht nicht unter in der Misere. An die Politik aber die Mahnung: Motivation kann man auch kaputt kriegen. Oder aber hervorragend auf ihr aufbauen. Wir werden sehen. Nach der Wahl.
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