Bisher gab es im Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zwei so genannte „Industrie-Plätze“. Klang irgendwie nach alter Bonner Republik, nach Montan-Union und Stahlproduktion. Nicht mehr wirklich fesch, wenn alle von Digitalisierung und Economy 4.0 sprechen. Und noch weniger passten „Industrie-Plätze“ in eine öffentliche Debatte, die nach neuen Wegen zu mehr Bürgerbeteiligung an der Forschung fragt. Darum heißen die Plätze heißen künftig anders. Der eine „Wissenschaft und Wirtschaft“, der andere „Wissenschaft und Gesellschaft“. Letzteren nimmt Elisabeth Niggemann, die Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, ein, die im Juli in den DFG-Senat gewählt wurde. Eine kleine Sensation für eine große Forschungsförderorganisation? Ein Interview unmittelbar vor Niggemanns erster Senatssitzung am Donnerstag.
Frau Niggemann, die DFG hat ihren Senat umgebaut. Ist die Bezeichnung „Wissenschaft und Gesellschaft" für Ihren neuen Platz mehr als Symbolik?
Ob man von einem Umbau sprechen kann, weiß ich gar nicht. Wenn ich es richtig sehe, wurden zwei der 39 Senats-Plätze neu zugeschnitten. Trotzdem würde ich meine Rolle nicht überinterpretieren
wollen. Zunächst einmal ist der Senat wie die Mitgliederversammlung und das Präsidium ein Gremium der DFG mit einer ganz bestimmten, definierten und damit auch formal begrenzten Rolle. Und auch
jedes Mitglied im Senat ist nur eines von 39, denen Papiere und Beschlussvorlagen präsentiert werden, die durch viele Hände gegangen und gut vorbereitet sind.
Ausgerechnet mit Ihrer Rolle als Senatsmitglied für „Wissenschaft und Gesellschaft“ verbinden sich nun aber große Erwartungen. Die DFG müsse ihre Entscheidungsstrukturen öffnen, verlangen
Kritiker. Der Einfluss der Gesellschaft sei viel zu gering ausgeprägt in der Wissenschaft.
In einer demokratischen Gesellschaft, und zum Glück sind wir eine, steht die Wissenschaft natürlich ständig in Wechselwirkung mit der Politik, mit der Gesetzgebung. Die Politik setzt die Rahmenbedingungen, und insofern sind Politik und Wissenschaft eng aneinander gekoppelt. Natürlich beobachtet die Gesellschaft besonders kritisch und will darüber mehr erfahren, wenn sie annehmen kann, dass die Ergebnisse der Forschung sie stark betreffen könnten. Insofern halte ich das Thema Politikberatung für extrem wichtig in der heutigen Wissenschaft und auch für die DFG, und da sehe ich vielleicht auch eine besondere Rolle für mich.
Viele Befürworter einer stärkeren gesellschaftlichen Öffnung von Wissenschaft sprechen weniger von Politikberatung als von Citizen Science, Open Science oder neuen partizipativen
Strukturen. Was sagen Ihnen solche Begriffe?
So, wie Sie sie benutzen, klingen sie für mich deutlich basisorientierter. Ich kenne die Debatten darum aus meiner normalen täglichen Rolle als Bürgerin dieses Landes, als Zeitungsleserin. Ich
bekomme über mein berufliches Umfeld viel mit, aber ich bin noch bei keiner Citizen-Science-Tagung oder ähnlichem dabei gewesen, wenn Sie das meinen. Klar ist: Es ist schon immer mein Stil
gewesen, mit jedem, der ein Anliegen hat, auch ins Gespräch zu kommen. Um herauszufinden, wie ich meine Rolle richtig definieren kann, muss ich mich ja kundig machen.
Was sagt Ihnen das Stichwort „Transformative Wissenschaft?“
Noch nichts. Aber wenn im DFG-Senat eine Diskussion aufkäme, die das Wissen darüber erfordert, würde ich selbstverständlich auf die richtigen Gesprächspartner zugehen.
Aber Sie würden nicht proaktiv versuchen, sich bei ihnen Impulse für Ihre Arbeit abzuholen?
Der Hauptfokus des DFG-Senats liegt auf zwei Dingen: zum einen auf der Beurteilung konkreter und zuvor begutachteter Forschungsvorhaben nach wissenschaftlichen Qualitätskriterien und zum anderen auf der Diskussion und Entscheidung förderpolitischer Grundsatzfragen. Der Senat ist nicht dafür da, Forschungsvorhaben zu initiieren, sondern diejenigen zu beurteilen, die aus der Mitte der Wissenschaft kommen. Dann kommen die Beurteilung und die Entscheidung, etwas zu finanzieren. Daher bin ich im Moment eher der Meinung, dass man als Senatsmitglied reagiert auf Dinge, die aus der Wissenschaft kommen und die dann eventuell auch in die Politik oder Gesellschaft hineingetragen werden müssen.
Was reizt Sie persönlich an Ihrer neuen Rolle?
Natürlich wird ein Wissenschaftler primär seine wissenschaftliche Sicht einbringen. Ich stehe für den Bereich Bibliotheken – ein Bereich, der als Infrastruktur für die Wissenschaft immer schon
„quer“ zu den einzelnen Disziplinen in der DFG lag. Ich kenne also die Situation, auch bei der DFG Projektanträge stellen zu können, die sich aber wegen der Dienstleistungsorientierung deutlich
von denen der Wissenschaftler unterscheiden. Die Bibliotheken haben sich in den vergangenen Jahren mit anderen Kultureinrichtungen wie Archiven und Museen vernetzt. Insofern fühle ich mich auch
als Vertreterin der Kultur- und Bildungseinrichtungen insgesamt. Und ich sitze in einem Gremium natürlich auch immer als Bürgerin, als Mitglied unserer Gesellschaft.
Was immer noch nicht „Wissenschaft und Gesellschaft“ als Ganzes umfasst.
Was mir klar ist. Deswegen muss ich versuchen, genau das herauszubekommen: Wie kann ich meine Rolle im DFG-Senat mit dem größten Gewinn für alle ausgestalten?
Sehen Sie eine wachsende Kluft zwischen der Wissenschaft auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite?
Für mich ist die Wissenschaft, die von der DFG gefördert wird, wirklich die Spitzenwissenschaft. Die Förderung bedient den akuten Forschungsbedarf von Wissenschaftlern, die innovativ denken und arbeiten. Die eine These haben und in eine bestimmte Richtung denken. Wenn Sie die Leute auf der Straße danach fragen würden, wüssten die meisten nicht, wovon Sie reden. Kurzum: Es sind zahlenmäßig nur wenige, die in der Spitzenforschung arbeiten, und auch die Themen sind sehr speziell, man braucht eine Ausbildung, eine Vorbildung, um wirklich zu verstehen, worum es da geht. Und genau das ist auch die Gefahr, wenn Politik und Gesellschaft zu weit auseinander treiben.
Inwiefern?
Weil die Wissenschaft der Zustimmung der Gesellschaft bedarf, so dass die Politik bestimmte Dinge erlaubt und sie regelt. Sie brauchen also eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von dem, was Forschung will. Genau um diese Transformation muss es gehen: zwischen dem, was Wissenschaft macht, und dem, was in der Gesellschaft ankommt, damit es genügend Geld für die Forschung gibt und Forschung die Rahmenbedingungen und Freiheiten bekommt, die sie braucht. Damit das gelingt, müssen auch die Forschung und die Politik wissen, was die Mitglieder der Gesellschaft denken und fühlen. Und in diesem Sinne verstehe ich auch Citizen Science oder Open Science: zu erfahren, was die Menschen fühlen und denken.
Ist die Wissenschaft da in den vergangenen Jahren vorangekommen?
Ich glaube schon, dass Wissenschaft sich stärker als je zuvor bemüht, in der Gesellschaft präsent zu sein, ob über die Nacht der Wissenschaften oder über andere Formate im Fernsehen oder in anderen Medien. Da ist schon viel passiert. Und es kann sicherlich noch mehr passieren.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:10)
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