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Kein Befreiungsschlag

Endlich äußerte sich BMBF-Chefin Stark-Watzinger zur Fördermittel-Affäre. Sie entlässt ihre Staatssekretärin Döring – doch die offenen Fragen sind so zahlreich, dass der Druck auf die Ministerin bleiben wird.

IAM SONNTAGABEND um 22.50 Uhr äußerte sich Bettina Stark-Watzinger endlich selbst, obgleich nur schriftlich. Sie habe den Bundeskanzler darum gebeten, Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, teilte die BMBF-Chefin per Pressemitteilung mit.

 

Wenige Stunden zuvor hatte Döring auf "X" zwei zunächst kryptische Posts abgesetzt. "So wird nun dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn ein jähes Ende finden", lautete der erste. Und der zweite, nur zwölf Minuten später: "Habe gerade Anruf bekommen, muss den Tweet löschen." Was sie kurz darauf tat, doch die Botschaft war gesetzt, Stark-Watzinger unter Druck – so dass diese mit ihrem hinterhergeschossenen Statement einmal mehr wie getrieben wirkte.

 

Die Geschichte, warum es zur Entlassung kam, erzählte die Ministerin in ihrer Pressemitteilung so: Eine Gruppe von Hochschullehrern habe sich im Mai mit einem offenen Brief zu den Protestcamps an Hochschulen positioniert. Ein, so Stark-Watzinger "legitimer Teil von Debatte und Meinungsfreiheit". Doch genauso selbstverständlich sei es, dem eine andere Meinung gegenüberzustellen. "Denn Meinungsfreiheit ist kein Recht auf Zustimmung."

 

Stark-Watzingers Zitat in der BILD
und was es auslöste

 

Das mit dem Dagegenstellen einer anderen Meinung hatte die Ministerin damals selbst sehr schnell und sehr ausgiebig getan. "Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos", zitierte sie Mitte Mai die BILD. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, würden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost. Und die Ministerin fügte hinzu: "Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität." Denn gerade Professoren und Dozenten müssten "auf dem Boden des Grundgesetzes stehen".

 

Das mit der Fassungslosigkeit wiederholte Stark-Watzinger auch in ihrem Statement am Sonntagabend. Die Bemerkung, mit der sie offensichtlich die Grundgesetztreue der Unterzeichner in Frage stellte, dagegen nicht. Obwohl, so scheint es, genau diese Aussage etwas im BMBF ausgelöst hatte Mitte Mai. 

 

In ihrer Pressemitteilung betonte die Ministerin stattdessen, der verfassungsrechtliche Schutz des hohen Gutes Wissenschaftsfreiheit stehe für sie außer Frage. "Ich verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung. Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer Weltanschauung. Das ist ein Kernprinzip der Wissenschaftsfreiheit."

 

Ausgelöst im Ministerium jedoch hatte ihr von der BILD transportiertes Statement im Mai offenbar einen Prüfauftrag, zu dessen Urheberschaft sich erst am Freitag in einer internen BMBF-Mail die jetzt entlassene Staatssekretärin Döring bekannt und dabei zugleich versichert hatte, einen dazu gehörenden telefonischen Auftrag anders gemeint und dies auch schnell korrigiert zu haben. Öffentlich gemacht hatte den Mitte Mai stattgefunden ministeriumsinternen Mailsaustausch zu der Prüfbitte eine Recherche des NDR-Magazins Panorama.

 

In Stark-Watzingers Pressemitteilung klingt das so: "Am 11.06.2024 ist mir eine E-Mail aus der Fachebene meines Ministeriums zur Kenntnis gebracht worden, welche die Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichner des besagten offenen Briefes zum Gegenstand hat."

 

Die Ministerin verspricht eine
gründliche und transparente Aufklärung

 

Die Ministerin versichert also, erstmals am vergangenen Dienstag von dem diesbezüglichen Mailsaustausch aus dem Mai erfahren zu haben – und damit sogar erst nach dem Panaroma-Beitrag, der am vergangenen Montagabend lief. Zu der Frage, was sie darüber hinaus und vorher von den Vorgängen wusste, welche Gespräche innerhalb der Hausleitung Dörings Prüfauftrag vorausgingen, sagt die Ministerin – zumindest explizit – nichts. Was im Übrigen belegt, dass ihre Pressemitteilung vom Sonntagabend nur der Anfang ihrer persönlichen Einlassungen zu den Vorgängen sein kann, die viele auch innerhalb der Ampelkoalition zuvor tagelang eingefordert hatten. 

 

Immerhin: "Ich habe veranlasst, dass der Sachverhalt gründlich und transparent aufgearbeitet wird", kündigt die Ministerin an, gibt aber schon einmal die Richtung vor: "Fest steht, dass eine Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde." Döring habe die Veranlassung des Prüfauftrags eingeräumt und erklärt, sich offenbar missverständlich ausgedrückt zu haben. "Nichtsdestotrotz wurde der Eindruck erweckt, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen auf der Basis eines von der Meinungsfreiheit gedeckten offenen Briefes im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erwogen werde", schreibt Stark-Watzinger. "Das widerspricht den Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit. Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt."

 

Der entstandene Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlern in das BMBF nachhaltig zu beschädigen. "Vor diesem Hintergrund und da ich im Prozess der Aufarbeitung zu der Überzeugung gelangt bin, dass ein personeller Neuanfang nötig ist", habe sie den Bundeskanzler um Dörings Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gebeten. Sie danke Döring für ihren Einsatz für Bildung, Wissenschaft und das BMBF.

 

Eine kleine Randnotiz: Was die Entlassung für die ohnehin schwierigen Verhandlungen von Bund und Ländern um den Digitalpakt 2.0 bedeuten, bei denen Döring als Verhandlungsführerin fungiert, werden heute Morgen in den Kultusministerien viele wissen wollen.

 

Gibt eine Staatssekretärin völlig unabgestimmt
einen derart sensiblen Prüfauftrag?

 

Die Reaktionen erster Ampel-Politiker klingen derweil nicht so, als sei man schon zufriedengestellt. "Wissenschaftsfreiheit ist nicht verhandelbar und das Fundament auch für die Zusammenarbeit in der Ampel-Koalition", schrieb SPD-Bildungsexperte Oliver Kaczmarek auf "X". Es sei gut, dass Stark-Watzinger jetzt aufkläre und "schwerwiegende Konsequenzen" ziehe. "Nun muss verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und sichergestellt werden, dass sich solche Vorgänge nicht wiederholen und Förderentscheidungen so wie bisher ausschließlich wissenschaftsgeleitet sind." 

 

Unterdessen bleiben berechtigte Zweifel, dass die Erklärung vom Sonntagabend der Befreiungsschlag ist, den Stark-Watzinger damit versucht. Vielen Beobachtern fällt schwer zu glauben, dass eine Staatssekretärin wirklich unabgestimmt mit der Ministerin einen derart sensiblen Prüfauftrag formuliert.

 

Und wäre ein Prüfauftrag, der statt der förderrechtlichen nur auf eine allgemeine juristische (bzw. strafrechtliche) Überprüfung des Offenen Briefs und seiner (im Landesdienst tätigen) Unterzeichner aus gewesen wäre, tatsächlich so viel unproblematischer? Liefe ein solches Unterfangen nicht so oder so auf Übergriffigkeit und eine Gesinnungsprüfung hinaus? Schließt die Ministerin aus, im Vorfeld überhaupt über mögliche Prüfaufträge gleich welcher Art gesprochen zu haben oder informiert gewesen zu sein?

 

Wenn ja, dann muss sie es klar sagen. Und aufklären, wie genau die BMBF-interne Nachricht zustandekam, in der Döring vor dem Wochenende die Verantwortung für die Vorgänge übernahm – und wie diese Nachricht so schnell ihren Weg in die Presse fand. Sonst wirkt die entlassene Staatssekretärin am Ende doch nur wie ein Bauernopfer.

 

Wem Stark-Watzinger
jetzt was schuldig ist

 

Was zeigt, dass nach der Pressemitteilung noch mehr von Stark-Watzinger kommen muss, wenn sie raus will aus der Defensive. Sie muss öffentlich Rede und Antwort stehen. Möglichst per eigens dazu einberufener Pressekonferenz. Auf jeden Fall aber im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung, und zwar sehr schnell. 

 

Nicht weil ein weiterer Offener Brief, der sie persönlich zum Rücktritt auffordert, schon 2.700 Unterschriften von Wissenschaftlern hat. Nicht, weil CDU-Oppositionspolitiker sagen, der notwendige personelle Neuanfang im BMBF müsse die Ministerin selbst umfassen – weil ihre Aussage, die Dozenten befänden sich mit ihrem Brief nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, die Richtung vorgegeben habe für ihre Beamten. Sie muss es, weil sie das dem Respekt vor ihrem Amt, der Öffentlichkeit und dem Parlament schuldig ist. 

 

Nachtrag am 17. Juni, 18.45 Uhr:

In der Bundespressekonferenz sollte es nachmittags eigentlich um die Vorstellung des neuen Nationalen Bildungsberichts gehen, doch wiederholte Stark-Watzinger auf Nachfrage ihre am Sonntagabend per Pressemitteilung verschickte Erklärung zu den Umständen von Dörings Entlassung und antwortete anschließend – immerhin – auch auf einige Journalistenfragen.

 

Gefragt, ob sie wirklich erst am Dienstag, den 11. Juni, also am Tag nach dem Panorama-Beitrag, erstmals von der Angelegenheit erfahren habe, obwohl ihr Ministerium am selben Tag schon früh um sechs Uhr ein Statement abgegeben habe, sagte Stark-Watzinger: "Ich bin gelandet hier am Dienstagmorgen und habe den NDR-Bericht gesehen." Auf die Nachfrage, ob sie ausschließe, vor der Mail vom 11. Juni irgendetwas von dem ganzen Vorgang gewusst zu haben, sagte die Ministerin lediglich: "Ich habe in meinen einleitenden Worten ja gesagt, dass ich den Auftrag nicht gegeben habe und auch nicht gewollt habe." Konfrontiert mit Rücktrittsforderungen etwa aus der CDU oder von inzwischen 2800 unterzeichnenden Wissenschaftlern sagte sie: "Dazu sehe ich keine Veranlassung."

 

Bei vielen der Reporterfragen schien Stark-Watzinger nicht aus der Defensive zu kommen, sie äußerte sich zumeist knapp, wirkte angespannt und verwies mehrfach auf ihr einleitendes vorbereitetes Statement. Als nächstes, davon ist auszugehen, werden die Parlamentarier Informationen vom Stark-Watzinger einfordern – und zwar noch deutlich detaillierter.  

 



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Kommentare: 2
  • #1

    Bernd Käpplinger (Montag, 17 Juni 2024 11:35)

    Sehr guter Kommentar. Danke dafür

  • #2

    Forschungsreferent (Mittwoch, 19 Juni 2024 12:34)

    Ein gruseliger Vorgang im BMBF – dessen Tragweite außerhalb von Forschung und Wissenschaft gar nicht richtig verstanden wird. Er bedeutet einen massiven Vertrauensverlust in das Förderhandeln des BMBF. Einem System, das ohnehin von Misstrauen geprägt ist.