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Und jetzt?

Nein, die Fördergeldaffäre ist für Bettina Stark-Watzinger noch nicht vorbei. Eine Zwischenbilanz in vier Punkten.

NACHDEM BETTINA STARK-WATZINGER am Mittwoch die zweifache Befragung im Bundestag, erst durch den Forschungsausschuss, dann im Plenum, hinter sich gebracht hatte, und das deutlich souveräner wirkend als zuletzt, stieg sie in den Flieger Richtung Israel. "In Tel Aviv tauscht sie sich mit Vertretern der israelischen Wissenschaftsgemeinschaft aus. Mit der Reise bekräftigt sie ihre Solidarität und die Bedeutung der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung", postete das BMBF am Donnerstagmittag. Zuvor hatte Stark-Watzinger vor den Bundestagsabgeordneten wie schon in der FAZ betont, fleißig Aufklärungsarbeit in Sachen Fördergeldaffäre geleistet zu haben.

 

Falls sich dahinter allerdings die Hoffnung der Ministerin verbergen sollte, dass die größte Krise ihrer Amtszeit nach ihrer Rückkehr bald ausgestanden ist, könnte diese enttäuscht werden. Selbst viele Parlamentarier der Koalitionsfraktionen sind längst nicht bereit, zur Tagesordnung überzugehen. Unterdessen haben Wissenschaftsinitativen wie das "Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft" ihre Rücktrittsforderungen erneuert. So ist es allenfalls Zeit für eine Zwischenbilanz gut zweieinhalb Wochen, nachdem ein Bericht des NDR-Magazins Panorama erstmals über fragwürdige Prüfaufträge in Stark-Watzingers Ministerium berichtete. Eine Zwischenbilanz in vier Punkten.

 

1. Die offenen Fragen

Nein, Transparenz ist nicht hergestellt. Klar ist, nicht zuletzt seit das BMBF auf den IFG-Antrag von "FragDenStaat" umfangreiche Unterlagen herausgeben musste, dass die Affäre nicht mit der Prüfbitte durch die inzwischen entlassene Staatssekretärin Sabine Döring am 13. Mai begann. Sondern mit dem am 10. Mai erteilten Auftrag, eine Liste der BMBF-Zuwendungsempfänger unter den von Stark-Watzinger so harsch kritisierten Unterzeichnern des Offenen Briefs zu erstellen. Und dieser Auftrag wiegt dreifach schwer: weil er erstens anders als der spätere von Döring offenbar nicht umgehend gestoppt wurde. Weil zweitens die Kenntnis von Namen die zentrale Voraussetzung für jede Form potenziell erwogener und nicht erwogener Handlungen durch das Ministerium ist. Und weil drittens schon das Erstellen derartiger Listen an sich einen autoritären Beigeschmack hat.

 

Dabei spielt gar keine Rolle, ob die Begründung des BMBF, man habe auf etwaige Presseanfragen vorbereitet sein wollen, triftig ist oder nicht. Und die Versicherung durch die Ministerin, die Liste sei "auf Fachebene" verblieben, ebenso wenig. Entscheidend ist, dass Staatssekretärin Döring gehen musste, während weiter offen ist, welche personellen Konsequenzen der zeitlich davor liegende und nach Meinung vieler Beobachter noch dramatischere Listen-Auftrag haben wird. Diesbezügliche Fragen ließ Stark-Watzinger im Ausschuss unbeantwortet. Der von ihr gegenüber Abgeordneten als involviert genannte Leiter der BMBF-Abteilung 4 ist jedenfalls gegenüber der Pressestelle gar nicht weisungsbefugt. Wie genau unterschied sich der Prüfauftrag Dörings von dem, der drei Tage zuvor in Auftrag gegeben wurde, wollte die Unionsfraktion außerdem von der Ministerin wissen – und bekam ebenfalls keine Antwort. 

 

Stark-Watzinger betonte wiederholt, sie habe bis vor kurzem weder von dem einen noch von dem anderen Vorgang gewusst. Das kann man für plausibel halten oder nicht. Klar ist: Die "FragDenStaat" übersandten Unterlagen enthalten Lücken. Es fehlt mindestens, und zwar komplett, die interne Kommunikation der Leitungsebene über das Messenger-System "Wire" in dem besagten Zeitraum. Diese könnte nachvollziehbar machen, wer aus der Leitungsebene wann was über welchen Vorgang gewusst hat.

 

Nicht weniger problematisch ist, dass eine derzeit nicht reden darf: die geschasste Staatssekretärin. "So wird nun dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn ein jähes Ende finden. Stay tuned", lautete ein am vorvergangenen Sonntagabend  abgesetztes "X"-Posting Sabine Dörings. Und ein zweites, nur zwölf Minuten später: "Habe gerade Anruf bekommen, muss den Tweet löschen." Kurz darauf kam die Mitteilung aus dem BMBF, die Staatssekretärin werde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Sie könnte, sie müsste zur Aufklärung beitragen, gerade wenn sie, wie durch ihre Entlassung impliziert, nach Auffassung von Stark-Watzinger eine so zentrale Rolle in der Affäre gespielt haben soll. 

 

Auf meine Anfrage hin verwies Döring vergangene Woche auf ihre Verschwiegenheitspflicht. Diese könne nur der Dienstherr, also die Ministerin, aufheben. Meine diesbezügliche, erstmals am 21. Juni gestellte Bitte ließ das Ministerium trotz Nachfrage bis zum 27. Juni, 17 Uhr, unbeantwortet.

 

2. Die dramatisch schlechte Kommunikation

 

Doch passt diese Art keiner oder mangelnder Kommunikation ins Bild. Dass das BMBF im ersten Anlauf daran scheiterte, am Wochenende die IFG-Unterlagen auf den "FragDenStaat"-Servern hochzuladen, ist peinlich genug. Noch peinlicher ist, dass "FragDenStaat" am Donnerstag per "X" Stark-Watzingers Begründung im Ausschuss, die Server der Plattform seien schuld gewesen, öffentlich widersprach.

 

Stichwort Transparenz: Schon vor der Affäre beantwortete die Pressestelle des Ministeriums Anfragen zu kritischen Themen häufiger verzögert und/oder kursorisch-selektiv. In den vergangenen Tagen seit Offenlegung der Affäre wiederum berichten Journalistenkollegen unterschiedlichster Medien dasselbe: Fragenkataloge würden mit teilweise tagelangem Abstand beantwortet, inklusive Vertröstungen zwischendurch oder auch ohne. Was Medien vor die immer gleiche Wahl stellt: die dringend-aktuelle Berichterstattung aufschieben – oder die Rückmeldung aus dem Ministerium nicht mehr abwarten. Ob all das mit der hohen Arbeitsbelastung des BMBF in der Krise zu rechtfertigen ist?

 

Die dann gelieferte Qualität jedenfalls rechtfertigt das Warten meist nicht. Zwei, drei und mehr Einzelfragen erhalten mitunter eine zusammengefasste Antwort, teilweise mit der Wiederholung von bereits Bekanntem, ohne dass auf die konkret erbetenen Details eingegangen wird. Genauso erging es mir auch. Das ist umso ärgerlicher, wenn dann nach Veröffentlichung eines Artikels binnen weniger Stunden akribisch ausgearbeitete Mails aus der Pressestelle eintrudeln mit detaillierten Forderungen nach Richtigstellungen teilweise zu Sachverhalten, die zuvor nur nebulös beantwortet worden waren. 

 

"FragDenStaat" hat am Donnerstag Widerspruch gegen die per IFG-Bescheid übersandten BMBF-Unterlagen eingelegt. Der Antrag habe auch die Kommunikation der Leitungsebene über "Wire" umfasst, schreibt die Plattform zur Begründung. "Diese wurde ohne Angabe nicht herausgegeben." Zudem habe das BMBF die Bezeichnungen von Referaten in den Dokumenten unkenntlich gemacht. Diese seien allerdings keine personenbezogenen Daten und deshalb zu entschwärzen.

 

Zuletzt hatte ich die Pressestelle aufgefordert, mir Funktion und Stellung der Person(en) im Haus zu nennen, die die umstrittene Liste ursprünglich in Auftrag gegeben haben. Außerdem bat ich um eine Auflistung all der zwischen 8. und 17. Mai stattgefundenen "Morgenlagen" im BMBF, bei denen – normalerweise in Anwesenheit der Ministerin – die aktuelle Nachrichtenlage erörtert wird. Stark-Watzinger hatte angegeben, am 10. und am 13. Mai nicht teilgenommen zu haben. Und an den anderen Tagen? Auch diese Anfrage ist aktuell unbeantwortet.

 

3. Der Zweck und die Mittel

 

Der sprunghafte Anstieg des dokumentierten Antisemitismus in Deutschland vor allem seit den Hamas-Terroranschlägen vom vergangenen Oktober ist dramatisch und bestürzend. Fast 83 Prozent mehr antisemitische Vorfälle 2023 im Vergleich zum Vorjahr, so steht es im Jahresbericht des Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS). Ziemlich genau ein Zehntel davon, 471, wurden an Bildungseinrichtungen gezählt. Auch an Hochschulen muss entschieden gegen Antisemitismus in Wort, Tat und Gewalt vorgegangen werden, und es ist genauso wichtig, nicht nur einen Abwehrkampf zu führen, sondern proaktiv in Wort und Tat die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl von Juden und Jüdinnen in Deutschland und anderswo zu verbessern.

 

Was ich allerdings nicht nachvollziehen kann: wenn in den sozialen Medien einzelne Kommentatoren den Druck auf die Ministerin, die Vorgänge in ihrem Ministerium aufzuklären, missinterpretieren als unlauteren Versuch, eine mutige Kämpferin gegen Antisemitismus und Israelhass zum Schweigen zu bringen.

 

Es muss immer allen und überall bewusst sein: Der Zweck heiligt im Rechtsstaat nie die Mittel. Ganz gleich, welche Absichten im Ministerium vorlagen, um besagte Listen zu erstellen, förderrechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen zu prüfen: Nichts davon gehört in einer Demokratie zu den Aufgaben eines Wissenschaftsministeriums.

 

Ohne ihr an dieser Stelle Absicht unterstellen zu wollen: Insofern empfinde ich schon das wiederholte Vorgehen der Ministerin, ihre Äußerungen über die inakzeptablen Vorfälle im BMBF mit Appellen zu einem entschiedenen Vorgehen gegen den Antisemitismus zu verknüpfen, im Grunde als unangemessen.

 

4. Das zerstörte Vertrauen der Community

 

Egal, was die Ministerin persönlich zu welchem Zeitpunkt gewusst hat, an welchen Stellen sie involviert war oder eben nicht: Der Reputationsschaden, den sie persönlich, ihr Ministerium und die Forschungsförderung insgesamt durch die Affäre erlitten hat, ist immens. Er trifft auf eine Wissenschaftscommunity, die schon hellhörig war nach den Ereignissen von Sommer 2022 um gekürzte, gestoppte oder nicht verlängerte BMBF-Forschungsprojekte.

 

Er trifft auf Hochschulrektoren, die sich in ihrem Handling propalästinensischer Proteste auf dem Campus wiederholt von der Ministerin rhetorisch gemaßregelt  und öffentlich belehrt fühlten. Bereits Mitte Mai bei einem Treffen der Hochschulrektorenkonferenz waren intern erste Rücktrittsforderungen zu hören gewesen angesichts der von etlichen gefühlten Missachtung der Hochschulautonomie durch eine nicht einmal für die Hochschulen zuständige Bundesministerin. 

 

Der Reputationsschaden trifft auch auf Bildungs- und Wissenschaftsminister, deren Vertrauen in Stark-Watzingers Amtsführung schon vor der aktuellen Krise vielfach stark angeknackst war. Wenn der einflussreiche und angesehene bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) sie im SPIEGEL "die schlechteste Bundesforschungsministerin, die wir je hatten" nennt, muss bei aller parteipolitischen Taktiererei das Tischtuch zwischen den handelnden Akteuren schon sehr zerschnitten sein. Übrigens ist Blume Stark-Watzingers Ko-Vorsitzender in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), dem wichtigsten Bund-Länder-Gremium zur Zusammenarbeit in der Wissenschaft.

 

Derweil haben fast 3300 Wissenschaftler einen Offenen Brief unterschrieben, der Stark-Watzingers Rücktritt verlangt. 

 

Die Frage, wie sie das Vertrauen der Wissenschaft wiederherstellen wollte, gehörte zu den Abgeordneten-Fragen, die Stark-Watzinger am Mittwoch im Bundestagsforschungsausschuss unbeantwortet ließ. Am Ende ist die Realität wohl diese: Ihre Zukunft als Ministerin hängt nicht vom Wohlwollen der Szene ab, sondern vom Wohlwollen von FDP-Parteichef Christian Lindner. Derzeit scheint er noch gewillt zu sein, sich inmitten der Ampel-Haushaltsberatungen das Schauspiel um die BMBF-Fördergeldaffäre anzusehen.

 

Nachtrag am 28. Juni:

"FragDenStaat" will Löschung von BMBF-Kommunikation gerichtlich untersagen lassen

Das Portal "FragDenStaat" will jetzt per Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sicherstellen, dass die gesamte Wire-Kommunikation der BMBF-Hausleitung im Zusammenhang mit der Fördergeldaffäre nicht gelöscht werden darf und stattdessen zu speichern und aufzubewahren ist. Und zwar, wie es im mir vorliegenden Antrag von Arne Semsrott von "FragDenStaat" beim Verwaltungsgericht Köln heißt, "bis im Hauptsacheverfahren rechtskräftig über den Anspruch des Antragstellers auf Zugänglichmachung der Wire-Messenger-Nachrichten entschieden worden ist". 

 

Der Antrag von "FragDenStaat" umfasst alle Wire-Nachrichten im Zeitraum vom 07. Mai bis 24. Juni, "die die Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger, ihr persönlicher Stab, die Staatssekretäre und Staatssekretärinnen sowie der weitere Leitungsstab über den Kommunikationsdienst" geschickt haben.  

 

Das BMBF habe bislang gegenüber "FragDenStaat" keine Bestätigung gegeben, dass keine Löschung erfolgen werde, heißt es in dem Schreiben ans Gericht. "Da der Antragsteller zu seinem Anliegen im BMBF die Löschung der Wire-Kommunikation fürchtet, ist nun das Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz im Wege einer Sicherungsanordnung geboten."



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Kommentare: 1
  • #1

    David J. Green (Montag, 01 Juli 2024 09:31)

    Zu Weihnachten 1170 hatte Heinrich II von England einen Wutanfall wegen seines einstigen Vertrauten Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury. Laut einem zeitgenössischen Bericht fragte er "What miserable drones and traitors have I nourished and brought up in my household, who let their lord be treated with such shameful contempt by a low-born cleric?" Vier von Heinrichs Rittern fassten diese Worte als Hinrichtungsbefehl auf und metzelten Becket am 29.12.1170 in seiner Kathedrale nieder.

    In einem Ministerium wird es viele Menschen geben, die gerne von den Vorgesetzten in einem guten Licht gesehen werden wollen und daher proaktiv darauf arbeiten würden, einen "offenkündigen" Wunsch der Ministerin umzusetzen.

    Ich frage mich daher, ob Frau Stark-Watzingers verhängnisvolle Interview mit Bild am 08.05. ("macht fassungslos", "neue Qualität", gerade Profs müssten "auf dem Boden des Grundgesetz stehen") in dergleichem Sinne für die problematischen Prüfaufträge ursächlich war, als Heinrichs Worte für Beckets Ermordung waren.

    Übrigens: Die heute bekannteste Fassung von Heinrichs Worte lautet "Will no one rid me of this turbulent priest?", diese geht aber nur auf dem 18. Jh. zurück. Bereits 1173 wurde Becket von Alexander III heiliggesprochen, im Jahr danach musste Heinrich so etwas wie einen Gang nach Canossa machen. Und in Chaucers Canterbury Tales ist Beckets Grab das Wallfahrtsziel.