Heute verkündet Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), was seit ihrem BamS-Interview vom Wochenende schon alle wissen: Ein neues Programm mit dem Namen DigitalPakt#D soll
Deutschlands Schulen endlich flächendeckend in die digitale Moderne katapultieren. Der Pakt soll Teil werden einer neuen „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft", die Wanka
ebenfalls heute präsentiert.
Die Kombination beider Bezeichnungen lässt vermuten, dass sie sich in Wankas Ministerium nicht einig geworden sind, ob sie den staatstragenden Ton („Bildungsoffensive...“)
anschlagen oder sich doch lieber an alle selbst ernannten Digital Natives (Hashtag=passt immer) heranschmeißen sollen. Eine Unschärfe, die typisch ist für den Gegenstand: Zwischen beiden
Extremen mühen sich die meisten politischen Initiativen in Sachen Digitalisierung ab, was sie in der Hilflosigkeit vor dem schwer fassbaren Neuen durchaus sympathisch macht.
Tatsächlich könnte hier die große Stärke des DigitalPakt#D liegen. Nach allem, was wir bislang wissen, wirkt er wohltuend konkret in seiner Zielsetzung – und er kommt
daher als vorweggenommene Antwort auf die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, die die Kultusministerkonferenz (KMK) bis Ende des Jahres beschließen
will. Alle 40.000 Schulen in Deutschland, kündigt Wanka an, sollen eine vernünftige Computer-Infrastruktur und ein brauchbar flottes W-LAN bekommen. Fünf Milliarden Euro bis 2021, so Wanka, soll
der Bund dafür geben, und dieser „Digital-Pakt zwischen Bund und Ländern“ soll die Länder im Gegenzug verpflichten, vernünftige Konzepte in Sachen digitaler Bildung in die Schulen zu bringen. Was
übrigens im Entwurf der KMK-Strategie genau so vorgesehen ist: digitale Bildung zum obligatorischen Bestandteil von Lehrplänen und Lehrerbildung zu machen.
Gleichzeitig jedoch ist Wankas Vorpreschen am Wochenende Beleg, dass der Vorwahlkampf spätestens jetzt, knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl, begonnen hat. Viele Sozialdemokraten sahen die offenbar unabgestimmte Programmankündigung als Affront und beeilten sich nachzuziehen. Nicht nur, dass der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil, noch am Sonntag eilig einen Kommentar hinterherschickte. Für heute haben die Sozialdemokraten in ihre Parteizentrale eingeladen, zu einer eigenen Pressekonferenz direkt im Anschluss an Wankas Pressetermin im Ministerium. Heil werde gemeinsam mit dem Hamburger Schulsenator Ties Rabe die "aktuellen Vorschläge des BMBF" bewerten und die "SPD-Pläne zur Nationalen Bildungsallianz" erläutern. Man beachte die Wortwahl: Die einen schlagen nur vor, die anderen planen. Und gemeinsam sitzen sie noch in derselben Bundesregierung.
Schon Heils erste Stellungnahme war von derselben Ambivalenz geprägt. „Die Bewegung der Union zeigt, dass die SPD-Initiative für eine Bildungsallianz richtig ist“, gab er am Sonntag zu
Protokoll. Nur zur Erinnerung: Wankas Vorschlag kam aus dem BMBF, nicht aus der Unionsfraktion. Doch, fügte Heil hinzu, die Union dürfe nicht auf halbem Weg – nur Digitalisierung – stehen
bleiben. „Wenn jede zweite Schule in Deutschland sanierungsbedürftig ist, reichen wenige Tablets und WLAN-Anschlüsse nicht aus!“ Ein grundsätzliches Schulmodernisierungsprogramm stehe an und die
Abschaffung des so genannten Kooperationsverbots auch in der Bildung.
Genau darum soll es bei der bereits erwähnten Nationalen Bildungsallianz gehen: Vor wenigen Wochen hat die SPD den Beschluss gefasst, dass der Bund den Ländern und Kommunen dafür bis 2021 neun Milliarden Euro zur Verfügung stellen soll – wobei die Meinungen unter den Sozialdemokraten auseinandergehen, ob es sich bei diesen neun Milliarden wirklich komplett um Extra-Geld handeln würde. Womit wir wieder in der üblichen Unschärfe, im Ungefähren angekommen wären. Genau diese Unschärfe attestiert Rabe übrigens auch dem BMBF-Programm: Laut Tagesspiegel weist er darauf hin, dass in der Haushaltsplanung des Bundes bislang kein Geld für die Digitalisierung vorgesehen sei.
So bleibt die Befürchtung, dass wir heute vor allem das gegenseitige Behaken zweier Koalitionspartner erleben werden, die in der finalen Phase der Legislaturperiode die Sorge umtreibt, der
jeweils andere könnte Erfolge für sich reklamieren. Was die Wahrscheinlichkeit, dass Wankas Vorschlag noch vor September 2017 realisiert werden könnte, schwer einschätzbar macht. Einiges
immerhin spricht dafür: Die Länder wollen und brauchen das Geld. Außerdem widersprechen sich die Pläne Wankas und der SPD ja gar nicht. Und selbst dem heutigen politischen Schaulaufen
kann man, wenn man sich ein wenig Mühe gibt, etwas Positives abgewinnen: Zur Abwechslung haben sich Union und Sozialdemokraten mal nicht die Sozialpolitik, sondern die Bildung
ausgesucht für einen Wettbewerb, den wir in den kommenden elf Monaten noch häufiger erleben werden und der nur eine Frage kennt: Wer bietet mehr?
Update am 12. Oktober abends:
Bei Spiegel Online berichten meine Kollegen Lena Greiner und Christian Füller sehr kenntnisreich über die Debatte danach. Also nachdem Johanna Wanka heute ihre Pläne vorgestellt hat. Einige Länder haben schon signalisiert, dass sie dabei wären, so der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD), der die Politik der grün und rot geführten Kultusministerien in der Kultusministerkonferenz (KMK) koordiniert. Neulich hatte Rabe noch wie beschrieben eher den Akzent darauf gelegt, dass das Geld dafür ja gar nicht im Bundeshaushalt eingestellt sei.
Was Wanka offenbar weniger sorgt, denn sie plant das Programm, wie sie deutlich sagte, ohnehin erst für die Zeit nach der Bundestagswahl. Das ist eine weitere Erkenntnis des Tages: Das wird
nichts mehr vor September 2017 mit größeren Investitionen. Das sieht mittlerweile wohl auch die SPD so. Bis zur Wahl will Wanka sich mit den Ländern einig werden und einen Pilottest
finanzieren.
Die Bilanz ist also gemischt: Die Realisierungschancen stehen im Grundsatz gut, die Länder haben großes Interesse. Aber es wird später, als die vorwahlkämpferisch großen Gesten es zunächst
erhoffen ließen.
Christian Füller hatte übrigens schon vor heute Morgen eine lesenswerte Analyse geliefert, ebenso die Kollegen Amory
Burchard, Susanne Vieth-Entus und Tilmann Warnecke im Tagesspiegel. Sie alle
erwähnen Wankas "Kniff" (Füller), wie ihr Ministerium den Grundgesetz-Artikel 91c ausgegraben habe, um das neue Programm ohne Verfassungsänderung aufsetzen zu können. Wobei ich ehrlich
gesagt den Kniff gar nicht so entscheidend finde: Wenn der Bund den Ländern Geld bietet und solange die Länder Lust auf Zusammenarbeit haben, würden sie das Geld im Zweifel auch
dann nehmen, wenn es verfassungstechnisch nicht ganz sauber wäre. Denn wer bitte schön sollte dann klagen?
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:18)
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