Hamburgs Abiturienten schneiden in Mathe-Probeklausur unterirdisch ab. Warum Schulsenator Ties Rabe dennoch Lob verdient.
Ties Rabe hatte es schon vorher gewusst. Das Abitur 2017 werde es in sich haben, prognostizierte er im August vergangenen Jahres im Hamburger Abendblatt: "Leichter wird es bestimmt nicht." Wie Recht er damit hatte, wird Hamburgs SPD-Schulsenator im Rückblick selbst unheimlich sein. Ein erheblicher Anteil der Abiturienten hat die vor Weihnachten geschriebene landesweite Probeklausur in Mathematik derart in den Sand gesetzt, dass Rabe als erste Reaktion den Zensurenschnitt pauschal um eine Note heraufsetzen lässt.
Noch pikanter wird die Angelegenheit dadurch, dass sich Hamburg für die Probeklausur erstmals am bundesweiten Aufgabenpool bedient hat, der als Vorstufe gedacht ist zu einem möglicherweise
eines Tages realisierten bundesweiten Zentralabiturs. Möglicherweise, eines Tages: Denn der gemeinsame Pool bedeutet derzeit lediglich, dass die Länder ihre Abiturklausuren aus der gleichen
Auswahl möglicher Fragen bestücken, was ein ähnliches Aufgabenniveau garantieren soll, einzelnen Ländern jedoch den direkten Vergleich erspart – es sei denn, sie wählen (zufällig oder
beabsichtigt) dieselben Aufgaben. Der Pool umfasst die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch, geschrieben werden die Abiklausuren bundesweit an denselben Terminen.
Schlau von Senator Rabe und den Hamburger Schulen, erstmal einen Probedurchlauf zu machen. Nicht so schlau, die Noten im Anschluss hochzusetzen, wiegt man die Schüler doch so womöglich in
falscher Sicherheit. Denn dass bei der echten Klausur im Frühjahr keine Geschenke verteilt werden können, wenn man das neue System nicht von vornherein ad absurdum führen will, ist schon jetzt
klar.
WÄHREND DIE WELT IM KRISENMODUS FESTSTECKT, SIND DEUTSCHLANDS SCHULEN UND HOCHSCHULEN IN BEWEGUNG. WELCHE TRENDS VON 2O16 INS NEUE JAHR
HINÜBERWEISEN:
DER JAHRESAUSBLICK 2017.
Dennoch wäre es falsch, in dieser Situation auf Hamburgs Schulpolitikern herumzuhacken. Im IQB-Ländervergleich Ende Oktober haben Hamburgs Neuntklässler in den getesteten Fächern
Deutsch und Englisch überraschend gut angeschnitten – ein respektables Ergebnis gerade angesichts der demographischen Vielfalt in der Hansestadt. Außerdem gehört Schulsenator Ties Rabe zu
denjenigen Bildungspolitikern, die sich seit langem für deutschlandweit vergleichbare Abiturprüfungen stark machen – wohl wissend (siehe oben), dass Hamburg dabei nicht nur gut aussehen und dass
die Differenzierung, warum das so ist, nicht immer mitgeliefert werden wird. Schließlich hat Rabe schon vor zwei Jahren eine "Mathematikoffensive" ausgerufen, weil – so formulierte seine
Schulbehörde damals euphemistisch – "Hamburgs Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen in Mathematik verbessern können". Ihre, anders ausgedrückt, "chronische Matheschwäche" (Hamburger
Abendblatt) überrascht also keinen.
Sehr wohl überraschend und für Rabe zunehmend kompromittierend wäre, wenn sich in den nächsten Jahren an dieser Schwäche nichts Grundlegendes ändern würde. Doch wüssten wir dies auch dann nur
dank bundesweit vergleichbarer Standards, wie sie Rabe und seine Kollegen (siehe oben) bewusst etabliert haben.
Insofern belasse ich es heute mit dem Schmunzeln über die hilflose Noten-Raufsetzerei, drücke den Hamburgern die Daumen, dass das Schnell-Training zur echten Abiturklausur in ein paar Monaten noch etwas bringt und halte fest: Manchmal kommt die gute Arbeit von Bildungspolitikern gerade dadurch zum Ausdruck, dass sie schlechte Schülerleistungen transparent machen. Zumindest ist das der erste Teil von guter Arbeit. Der zweite Teil liegt noch vor Ties Rabe.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:40)
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