Einige Bundesländer feiern Milliarden-Überschüsse, doch die kommen nicht so unverhofft, wie die Finanzminister es gern hätten. Gerade für den Bildungsbereich hat das womöglich Folgen.
WAS WAREN sie überrascht in der Hauptstadt. Das Land Berlin hat den Haushalt 2016 mit einem Polster von sage und schreibe 1,25 Milliarden Euro abgeschlossen, teilte Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) am Sonntag mit. Dabei sind nur sechs Wochen vergangen, seit er auch nicht zu verachtende 500 Millionen prognostiziert hatte. Nein, die aktuellen Zahlen seien kein Rechenfehler, hieß es aus der Berliner Finanzverwaltung, vor allem im Dezember habe es besondere Effekte gegeben, die so nicht zu erwarten gewesen seien.
Wirklich nicht? Gehört nicht zur Wahrheit, dass sich im Umfeld der Bund-Länder-Verhandlungen um die ihre zukünftigen Finanzbeziehungen einige Bundesländer gezielt ärmer gerechnet haben? Denn eines muss man sich vor Augen führen: Den aktuellen Überschuss von mehr als einer Milliarde Euro erzielt Berlin, noch bevor die vom Bund zusätzlich zugesagten 9,7 Milliarden Euro pro Jahr überhaupt schon auf die Länder verteilt worden sind.
Im Oktober hatte ich in ausführlichen Berechnungen
dargestellt, warum die Länder trotz Spielraum den Spielraum haben für eine auskömmliche Bildungsfinanzierung und warum die Taschen des Bundes nicht so tief sind, wie viele vermuten. Allein im
ersten Halbjahr 2016 hatte der Bund zwar ein Haushaltplus von 4,5 Milliarden Euro geschafft, die Länder aber auch immerhin 4,1 Milliarden Euro zur Seite gelegt. Und schon im Oktober war
klar: Das zweite Halbjahr läuft vom Steueraufkommen traditionell noch besser als das erste. Soviel zum Thema Überraschungseffekte. Wobei ich im Oktober auf einen weiteren Umstand hingewiesen
hatte: Die Überschüsse verteilen sich sehr ungleich zwischen den Bundesländern, und die Verteilung hat nur mittelbar etwas mit der Wirtschaftskraft zu tun.
So schaffte Schleswig-Holstein 2016 565 Millionen Plus – statt ursprünglich geplanten 270 Millionen neue Schulden. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Haushalt lag erneut im Habenbereich.
Selbst Nordrhein-Westfalen vermeldete – natürlich völlig überraschend – das erste ausgeglichene Budget seit 40 Jahren. Gleichzeitig muss ausgerechnet das reiche Baden-Württemberg einen
dreistelligen Millionenbetrag einsparen, allein das Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne) soll 48 Millionen Euro pro Jahr beisteuern – und will dies größtenteils über die Einführung
von Studiengebühren
für Nicht-EU-Ausländer tun.
Demgegenüber diskutieren sie im Berliner Senat jetzt darüber, was sie mit dem Überschuss anfangen sollen: Neue Radwege bauen? Mehr Erzieher einstellen? Oder doch etwas mehr vom enormen Schuldenberg abtragen? Denn klar ist: Sollten die Kreditzinsen einmal wieder auf ein normales Niveau ansteigen, muss Berlin für seine immer noch knapp 60 Milliarden Euro Miese kräftig blechen.
Währenddessen geht der Streit um das so genannte Kooperationsverbot weiter. Seit 2006 darf der Bund nicht mehr in die Bildungseinrichtungen der Länder investieren.
Das würden vor allem SPD, Linke und Teile der Grünen gern ändern und hatten, ebenfalls als Ergebnis der Bund-Länder-Finanzverhandlungen, bereits im Oktober einen Durchbruch gefeiert: 3,5
Milliarden Euro zusätzlich für die Schulen, transferiert über eine Änderung des Grundgesetzes, genauer: durch die Einfügung eines neuen Artikels mit der Nummer 104c. Der soll dem Bund
erlauben, den Ländern „Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände im Bereich der kommunalen
Bildungsinfrastruktur“ zu gewähren.
Das sei das Ende des Kooperationsverbots, gab SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Hubertus Heil, zu Protokoll, später dann sprach er von einem Auflockern“, und inzwischen sieht der bildungspolitische
Sprecher seiner Fraktion, Ernst Dieter Rossmann, nur noch einen „ersten wichtigen Schritt“.
Abgesehen davon also, dass die Sozialdemokraten sich nicht ganz einig zu sein scheinen in der Interpretation des Erreichten: Schon das, was Bund und Länder vereinbart haben, geht einigen zu weit. Nicht nur Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, obgleich der ja (siehe oben) das Geld aktuell ganz gut brauchen könnte. Auch der Deutsche Landkreistag kritisierte die im Dezember endgültige besiegelte Einigung als „Irrweg“. Nichts gegen 3,5 Extra-Milliarden, verkündete der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, gestern in der FAZ. Aber bitte nicht, indem der Bund künftig in die Bildungspolitik reinrede, die gehe ihn „schlicht nichts an". Systematisch richtig sei stattdessen, das Geld über Umsatzsteueranteile an die Kommunen zu verschieben – allerdings nicht per Gießkanne, sondern anhand ihrer tatsächlichen Finanzlage.
Was als nächstes kommt? Soviel ist sicher: Die Kommunen werden das Geld am Ende nehmen. Sie können gar nicht anders, denn im Gegensatz zu den Milliarden-Überschussen bei Bund und Ländern fahren sie immer noch in der Summe Milliarden-Defizite ein. Der Bund wird umgekehrt, je mehr Geld er über die Lockerung (nehmen wir mal diesen Begriff) des Kooperationsverbots in die Länder pumpt, seinen inhaltlichen Einfluss verstärken. Mit Recht. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Landesfinanzminister die Zusatzmilliarden nicht anderswo wieder einbehalten und der Bildungsbereich am Ende ohne echtes Plus dasteht. Und nur so ergibt eine Änderung beim Kooperationsverbot politisch Sinn.
Sicher ist aber auch, dass die aktuellen Zahlen aus Berlin und anderswo die Begeisterung der Bundesregierung, weitere
Transferprogramme zugunsten der Länderfinanzen auf den Weg zu bringen, bremsen werden. Was den Alltag vieler Landesfinanzpolitiker künftig weniger
komfortabel macht. Denn wie oft wurden Konflikte zwischen dem Bildungs- und Sozialressort, zwischen Investitionen in die Zukunft und Investitionen in die Gegenwart, in den vergangenen Jahren zu
Ungunsten der Hochschulbudgets ausgetragen – wusste man doch,
dass es bei sinkender Grundfinanzierung der Hochschulen im Zweifel mehr Projektmittel vom Bund gab. Womit am Ende beide irgendwie bekamen, was sie brauchten. Einen Vorgeschmack auf die Zukunft
bekommt derzeit Finanzsenator Kollatz-Ahnen: Alle wollen sein Geld. Mal gucken, wo es am Ende wirklich
landet.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022)
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