Was passiert, wenn ein FH-Student nach dem Bachelor an die Uni wechseln will – und warum viele Hochschulen offenbar Bologna missverstanden haben.
ES WAR eines der großen Versprechen der Bologna-Studienreform: Künftig spielt es keine Rolle mehr, wo jemand seinen Bachelor gemacht hat, ob nun an einer Fachhochschule oder Universität.
Solange er die Leistung bringt, stehen ihm für den Master alle Türen offen. Vor Bologna war die Welt feinsäuberlich in Diplom (FH) und in Diplom (Uni) unterteilt. Und heute? Ja, heute,
dachte Christian Schäfer, dürfte es doch eigentlich kein Problem mehr sein, wenn man mit einem FH-Bachelor an die Uni will.
Was dann passierte, berichte ich in der ZEIT von heute. Von den Absagen, die Schäfer erhielt trotz seines Einser-Abschlusses an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht
(HWR) in Berlin, von Uni-Professoren, die ihm schrieben, es reiche nicht, "die Namen der Module zu nehmen und die Punkte zusammenzuzählen". Frei nach dem Motto: Nur weil deine FH behauptet,
dass du etwas gemacht hast, muss ich das ja nicht glauben.
Dass Christian Schäfer, der in Wirklichkeit anders heißt, kein Einzelfall ist, bestätigten mir während meiner Recherche viele Gesprächspartner. Das Problem: Es gibt dazu keine Statistiken,
und die Betroffenen gehen selten den Weg an die Öffentlichkeit – was verständlich ist, bleibt der Makel allzu oft am Ende doch an ihnen hängen. "Ich höre immer wieder von solchen Fällen«,
sagt Andreas Zaby, Präsident von Schäfers ehemaliger Hochschule HWR und zugleich Vorstandsvorsitzender der UAS7, einem Verbund von sieben Fachhochschulen aus ganz Deutschland.
Eigentlich war der Übergang von Bachelor zum Master als eine Art Rangierbahnhof gedacht – mit Gleisen in alle Richtungen, national, international, fächer- und institutionenübergreifend. Das war
das Neue, das Faszinierende. Was die Hochschulen in Deutschland daraus gemacht haben: Eine Weiche, die fast immer nur geradeaus zeigt. Dass es in vielen Fällen zu einer „fachlich-inhaltlichen
Ablehnung“ komme, liege an der „zunehmenden Spezialisierungen der Studiengänge an unterschiedlichen Hochschulen“, bestätigt Stefanie Terp, die Sprecherin der Technischen Universität Berlin. Vor
allem in den technischen Fächern planen die Hochschulen das Studium vom ersten Semester im Bachelor bis zur Masterarbeit durch.
Womit das Problem womöglich noch grundsätzlicher ist und nicht nur den Übergang von FH zu Uni betrifft, sondern ganz allgemein den Übergang von Hochschule zu Hochschule.
"Der Master muss als Regelabschluss für Karrieren in Wissenschaft und Wirtschaft gelten", hat der heutige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, schon gefordert, als er noch Präsident des TU9-Verbunds technischer Universitäten war. Wer zwischendurch raus will, hat eine Problem. Und wer rein will, ebenso. Von Hippler stammt übrigens auch der Satz, draußen im Rest der Welt verstünden sie nicht, „wieso der Dipl.-Ing. im Zuge von Bologna einfach über Bord geworfen worden ist.“
Mehr zur Geschichte von Christian Schäfer und was am Ende aus ihm geworden ist, lesen Sie in den ZEIT Chancen.
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Josef König (Donnerstag, 19 Januar 2017 13:09)
Lieber Jan-Martin,
Dein Beitrag hier und in der heutigen ZEIT hat unser Frühstückstisch heute dominiert. Ich hatte ihn meiner Freundin zu lesen gegeben; sie arbeitet in der Studienberatung. Sie meinte, Deine Beispiele seien gut gewählt.
Ein BA nach einem Dualen-Studium an einer FH (so genannten "university for applied science) oder Akademie hat nichts mit einem BA an der Uni gemein, und natürlich prüfen - insbesondere die Fakultäten/Fächer - ob der Bewerber die Voraussetzungen für den Master erfüllt - und die werden nunmal von der aufnehmenden Uni/Hochschule festgelegt. Das ist nicht nur von FH zu Uni so und wird so bleiben, sondern auch von Uni zu Uni - und galt teilweise auch schon in den Diplom-Studiengängen. So prüfen die Fakultäten auch, ob jemand, der von einer anderen Uni kommt und sagen wir, den BA in Germanistik und Anglistik hat, die Voraussetzungen mitbringt für ein Master of Education z.B. in Bochum - es wird sogar zwei Mal geprüft, vom Gemeinsamen Prüfungsausschuss für den MoE als auch von den Fächern selbst, sofern sie Zulassungsbeschränkungen haben, was für die meisten gilt.
Es gab sicher gute Ideen und noch bessere Gründe, die Studiengänge in den 90ern zu reformieren, aber was mit der so genannten BA/MA-Reform herausgekommen ist, ist verfehlt. Schuld daran haben nicht zuletzt die Ministerial-Bürokratie und die Eitelkeiten der Fächer und Fachvertreter. Die Krux fing da an, als jedes "Teilfach" seine eigene absolute Wichtigkeit entdeckte bzw. reklamierte und jeder Prof anfing zu glauben, sein Fach sei das non plus ultra auf der Welt. Und als jede noch so unwichtige Vertiefungsrichtung zum selbständigen Fach avancierte, weil die Politik schließlich an „individualisierte“ Lebensläufe glaubte und die Fächer ihre Eitelkeiten verwirklichen konnten und wollten, war jede noch so angestrebte Vergleichbarkeit zwischen den Fächern und Hochschularten völlig dahin - und wird nur noch als Fiktion aufrecht erhalten. Daher prüft inzwischen jedes Fach für jeden Studienbewerber, ob er die notwendigen Voraussetzungen (selbst aus der eigenen Uni) für den Master mitbringt.
Die Politik wollte Diversifizierung und Individualisierung der Lebensläufe - sah aber nicht den Widerspruch zur ebenfalls politisch gewollten "Normierung" der Studierenden. Da die FHs es den Unis gleich tun wollen, ging ein Teil der bestehenden Differenz bzw. des Images flöten (mit dem möglichen Dr.-FH in Hessen geht ein weiterer Teil der Differenz dahin). Daher können fast nur noch Mediziner und Juristen die Unis ohne sehr große Probleme wechseln, weil diese Fächer das Staatsexamen beibehalten haben.
Über die verfehlte BA/MA-Reform könnte man Vieles beklagen, und viele Berufenere als ich tun es! Wenn ich einige alte, längst emeritierte Professoren auf dem Campus in Bochum treffe, die Anfang/Mitte der 90er aus sehr guten Gründen und mit guter Absicht die Stufung der Magisterstudiengänge in Bakkalaureus und Magister begonnen haben, den Bochumer Nukleus der Reform, für die später die Bochumer Uni zum Nabel der Reformwelt avancierte, so sagen sie unisono: Das haben wir nicht gewollt!
Zu den Verfehlungen der Reform könnte ich noch Seiten hier schreiben, sei es über den Blödsinn von ECTS oder über die "Studienbegleitenden Prüfungen", die ein Bulimie-Studium begründen und den Spaß am Studium töten, bis hin zum „normierten Studierenden“ in der verfehlten Diversifizierung.
Wie Du siehst, bin ich längst zum Konservativen mutiert und könnte besser in der FAZ sowas los werden als in der noch immer reformgläubigen ZEIT ;-)
Klaus Diepold (Freitag, 20 Januar 2017 12:50)
Lieber Herr König,
sicher sind viele Hoffnungen und Erwartungen, die im Rahmen der BA/MA Reformen existierten nicht realisiert worden. Ich stimme Ihrer Analyse zu, dass die Enttäuschungen viel auf ministeriale Bürokratie und vor allem auf eine mangelnden Bereitschaft zum Wandel vieler Hochschullehrer und -lehrerinnen zurückzuführen ist. Dabei sticht hervor, dass die Hochschulen bzw. deren Protagonisten eben genau keinen Willen und keinen Sinn in einer gesteigerten Diversität sehen und gesehen haben, sondern vielmehr der zunehmende Mangel an Homogenität in den Kohorten bemängelt werden. Dazu bedürfte es einer grundlegenden Neuorientierung der Lehrphilosophie. In einem anderen Kontext würde man diese Situation als einen gescheiterten Change-Prozess bezeichnen, d.h. es wurden Veränderungen beschlossen, aber die Beteiligten wurden nicht ausreichen mitgenommen.
Ich bin übrigens nicht der Meinung dass ECTS und studienbegleitende Prüfungen Blödsinn sind. Ich finde die meisten Gegenvorschläge (hauptsächlich Rückkehr zum antiquarischen Status) unverantwortlich. Auch hier ist es in erster Linie eine Frage der Verantwortlichen, einen vernünftigen Umgang mit diesen Elementen zu üben und nicht nur das Althergebrachte mit minimalen Verzerrungen zu übertragen.
Leider haben wir es versäumt, bei der Einführung der gestuften Studiengänge die Aufteilung in Uni und FHs neu zu überdenken und zu sinnvoll zu ordnen. Somit sind unnötige Parallelstrukturen entstanden, deren Probleme Herr Wiarda in seinem Blogbeitrag beschrieben hat. Auch hierbei spielen Eitelkeiten eine größere Rolle als Sachargumente.
Ich gebe nicht auf für die Reform einzustehen und für Diversität und gegen die zunehmende Vereinheitlichung zu argumentieren und zu handeln.
Josef König (Samstag, 21 Januar 2017 22:51)
Lieber Herr Diepold,
meine Ablehnung von ECTS und studienbegleitenden Prüfungen kann ich gern begründen. ECTS gibt an, wieviel Stunden studiert werden muss, damit man Punkte bekommt (erinnert an Rabattmarken), und stellt damit eine Gleichung von Leistung = Zeit auf, als ob es darauf ankomme. Zugleich zementiert diese Gleichung den Gedanken, wenn diese Zeit erbracht wurde, habe man die Leistung erbracht. Das tötet intrinsische Motivation.
Studienbegleitenden Prüfungen haben den Nachteil, dass die erbrachte Leistung = Note schon im 1. Semester in die Endnote eingeht. Das erzeugt einen Druck, der kontraproduktiv ist zur Freiheit des sich ausprobieren, was ja ein Studium auch bedeuten soll. So ensteht das Bulimie-Studium; unverdaut Schlucken und dann auskotzen.
Ich habe in den 70gern studiert, Germanistik und Philosophie, hatte nach dem 4. oder 5. Semester alle Scheine zusammen und habe mir drei Semester gönnen können mit Themen, die ich aussuchte, die mir Spaß machten und in die ich mich ohne Druck aus eigener Motivation vertiefen konnten, bevor ich mich zur Prüfung meldete. Diese bestand dann aus der sechsmonatigen Examensarbeit, und innerhalb von zwei Monaten drei fünfstündige Klausuren und drei ein- bzw. halbstündigen mündlichen Prüfungen, und nur diese Elemente gingen in die Note ein. War also ein 3/4-Jahr Stress, aber eben nicht fünf Jahre wie heute!
Mit bestem Gruß
Josef König
Josef König (Samstag, 21 Januar 2017 22:57)
Nachtrag:
Wofür brauchen wir mehr als 16.000 verschiedene BA/MA-Studiengänge? Geht da nicht die Vergleichbarkeit verloren und erst recht, die Chance, den Hochschulort zu wechseln?
Beste Grüße
Josef König
Peter Greisler (Sonntag, 22 Januar 2017 08:44)
Es gibt kein Versprechen, dass alles anerkannt wird. Es gibt das Versprechen, dass alles anerkannt wird, was nicht wesentlich ungleich ist. Die aufnehmende Hochschule, die etwas nicht anerkennen will, ist beweispflichtig dafür, dass es wesentliche Unterschiede gibt. Die Tatsache, dass jemand an einer Fachhochschule und nicht an der Universität studiert hat ist sicher allein kein wesentlicher Unterschied. Aber natürlich kann es solche Unterschiede geben und die Namensgleichheit von Studienangeboten ist kein Beweis der Gleichheit. Das Recht auf Anerkennung eines BA ist einklagbar und die Hochschule muss die wesentlichen Unterschiede beweisen. Das ist nicht leicht.
Wenn nicht die von Herrn König berichteten Eitelkeiten bestimmend sind, sollten Klagen nicht nötig sein, denn wenn ein Studierender die Voraussetzungen mitbringt, den Master an der Universität ordentlich zu studieren, sollte eine Universität sie oder ihn zulassen wollen, andernfalls müssten Studierende vernünftigerweise nach für sie passenderen Studiengängen Ausschau halten oder erst die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium schaffen. Kein Studierender will etwas studieren, wenn er im Studium nicht mitkommt. Es ist Aufgabe einer Hochschule, sachfremde Erwägungen, wie sie hier in der Diskussion berichtet werden, bei der Frage der Anerkennung und der Zulassung zu verhindern. Das ist eine Frage der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen.
Aber auch auf der anderen Seite muss verantwortungsvolles Handeln eingefordert werden. Wer die Erwartung weckt, dass ein Studiengang in einem Spezialfeld den Weg zu höchsten akademischen Weihen im ganzen Fach öffnet, vergeht sich an den Studierenden. Die Studiengangsbeschreibungen müssen realistisch beschreiben, was Absolventen damit anfangen können. Die Akkreditierung eines Studiengangs dient auch dazu, festzustellen, ob die Versprechungen, die die Hochschule abgibt, eingehalten werden. Dieser "Verbraucherschutzgedanke" ist sogar das eigentliche Motiv für die Einführung der Akkreditierung. Dass in 48 Staaten des europäischen Hochschulraums Studiengänge ganz unterschiedlich sind, war immer klar. Das wird (zum Glück) auch so bleiben. Deshalb ist es auch immer falsch gewesen von europäischer Harmonisierung der Studiengänge zu sprechen. Es ging immer um mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Die Akkreditierung soll prüfen, ob die Versprechungen stimmen und ob es ein Qualitätssicherungssystem gibt, das sicherstellt, dass diese Versprechungen regelmäßig eingehalten werden. Die 16 Länder haben mit den KMK-Strukturvorgaben zusätzliche Anforderungen der Akkreditierung unterworfen. Damit werden bestimmte Strukturvorgaben innerhalb Deutschlands, nicht des ganzen europäischen Hochschulraums, tatsächlich harmonisiert. Eine inhaltliche Harmonisierung erfolgt allerdings auch nicht durch die KMK und würde auch in Deutschland nicht funktionieren. Ich würde das auch nicht für wünschenswert halten und möglicherweise - um es vorsichtig zu sagen - würde es auch gegen die Wissenschaftsfreiheit verstoßen.
Ich sehe das wie Herr Diepold. Es geht nicht darum, für oder gegen Bologna zu sein. (Ich finde übrigens gut, dass man Bologna auch in der Zeit kritisiert, ich fände auch gut, wenn es mal in der FAZ verteidigt würde. Wir wollen ja miteinander sprechen und nicht in unseren jeweiligen Blasen - auch ein aktuelles Thema) Es geht darum, Bologna vernünftig umzusetzen. Es geht darum, Studierende gut zu beraten und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial auszuschöpfen. Es ist gut, dass Studierende heute unter Tausenden von Angeboten im gesamten europäischen Hochschulraum wählen können. In allen anderen Lebensbereichen schätzen wir ein vielfältiges Angebot, es macht auch in der Bildung Sinn. Die Studieninteressierten sind verschieden, sie sind verschiedene Bildungswege gegangen, die zukünftigen Arbeitsplätze, die Arbeitgeber, die Herausforderungen der Zukunft - sie alle sind mannigfaltig. Die Antwort kann nicht darin liegen, im Studium alles schön geordnet und das Angebot im für jeden sofort begreifbaren Zahlenraum zu halten. Es geht darum, Wege zu finden, mit der Vielfalt umzugehen. Sicher gibt es Handlungsbedarf, um die Orientierung zu verbessern. Diskussionen sind ein guter Anfang. Die Differenzierung in Studiengängen gut zu beschreiben und auch unterschiedliche Angebote unterschiedlich zu akkreditieren oder auf andere Weise verlässlich zu qualifizieren, wäre sicher eine Anstrengung wert.
Die Frage, wie Hochschulen mit über 50 % eines Jahrgangs und mit der Vielfalt in der Welt umgehen, stellt sich ganz unabhängig vom Bologna-Prozess. Bessere Antworten, als die, die in den Bologna-Erklärungen stehen, habe ich noch nicht gehört. Eine Erklärung von 48 Regierungen kann die Frage aber auch nicht erschöpfend beantworten. Viele Antworten müssen vor Ort gegeben werden, im eigenen Land, an der eigenen Hochschule und im eigenen Fach. Jeder hat da seine Verantwortung.
Josef König (Montag, 23 Januar 2017 10:09)
Sehr geehrter Herr Geisler,
aus dem Stil Ihrer Antwort liest man nicht nur den Juristen heraus, sondern - verzeihen Sie die Deutlichkeit - auch den politischen Beamten im BMBF, dem der Alltag in den Hochschulen und Unis völlig fremd ist. Es sind leider genau solche gleichsam apodiktischen Antworten, die aus der Politik Versprechungen transportieren und in der Praxis Ratlosigkeit hinterlassen. Mittlerweile sind die Studienberatungen in den Hochschulen so stark ausgebaut, weil nicht zuletzt aufgrund der politischen Träume individualisierter Lebensläufe die jungen Leute von der Wiege bis zur Bahre an die Hand genommen werden müssen.
Zu guter (??) Letzt hat die Bürokratie aufgrund politischer Vorgaben in den Unis und Hochschulen ein Ausmass erreicht, das die Frustration von Professoren, Mittelbau und Studierenden in ungeahnte Höhen treibt - und das Ende dieser Entwicklung ist leider nicht abzusehen. Freude am Studium und an der Forschung bleiben leider allzu häufig auf der Strecke.
Mit freundlichen Grüßen
Josef König
Marcel schütz (Montag, 23 Januar 2017 12:01)
Wie andere Streitthemen in der Bologna-Welt, geht auch dieses auf einige ziemlich banale Probleme zurück. Die Universitäten unterstellen, dass Fachhochschulen grundsätzlich "andere" Studierende beschulen und Absolventen produzieren als sie es tun. Daran hat die Bologna-Reform nichts oder nur ein wenig geändert. Die in BA/MA-Angelegenheiten formal weitgehend aufgehobene Differenzierung der Hochschulen wird informell weiterhin unterlaufen. Und umgekehrt gilt selbiges. So können Fachhochschulen mit Blick auf ihre Masterprogramme bei universitären Bachelorabsolventen theoretischen Tiefgang zulasten praktischer Erfahrung bemängeln. Die einen haben ihre alten Vorbehalte gegenüber den anderen. Und diese Vorbehalte werden informell umso wahrscheinlicher, als formale Unterscheidungen inzwischen juristisch engere Grenzen haben.
Tatsächlich betreiben die deutschen Universitäten – neben aller „Exzellenzorientierung" – längst eine "Verfachhochschulung", während die Fachhochschulen genau umgekehrt Elemente der Universitäten kopieren. Während die einen mehr in Lehre punkten wollen, geben die anderen, die Fachhochschulen, sich das Ziel einer spezifischen Forschungsorientierung. Das ist schon dadurch sichtbar, dass jede Universität inzwischen Möglichkeiten nutzt, mit Aufbaustudien ein quasi- bzw. halbprivates Geschäftsfeld zu erschließen. Die Universitäten vermuten, dass man mit gewissen Stilen der Lehre an Fachhochschulen sich gut "verkaufen" kann. Die Differenzierung der Studiengänge findet nicht nur in den Haupt- und Mutterdisziplinen statt, sondern wachsend im Bereich der Weiterbildung – in einer Weise, die man bei Fachhochschulen studiert und von dort kopiert hat. Gerade kleinere Universitäten, die im großen Exzellenzwettbewerb nicht allzu viel zu gewinnen haben, werden in der teilweisen Kopie der Fachhochschule ein zweites Standbein sehen. Diese Gruppe von Universitäten wird sich den Kernanliegen der Fachhochschule weiter annähern.
Auch war es immer ein Mythos, dass Fachhochschulen besonders "praxisnah" ausbildeten, während hingegen Universitäten primär theoretische "verkopfte" (?) Absolventen produzierten. Der angeblich große Kontrast war schon aus fachlichen Gründen stets fraglich. Denn: Einesteils sind typische Fächer der Fachhochschulen (Ingenieurwesen, allgemeine und spezielle Betriebswirtschaft, angewandte Sozialwissenschaften) immer schon auch an Universitäten mit einem erhöhten "Praxisbezug" – oder dem Druck so "zu tun, als ob" – verbunden. Dass "Praxis" in Fachhochschulen wie in Universitäten zunächst einmal üblicherweise große Rhetorik ohne Angabe konkreter Folgen ist, sei nur am Rande notiert. Andernteils entspricht es dem Marketing von Fachhochschulen, zu unterstellen, bedarfsgerechter und – um das so beliebte wie unpräzise Wort einmal wieder zu bemühen – "praxisnah" für die Arbeitswelt zu qualifizieren. Das hat Unternehmen bis heute kaum davon abgehalten Universitätsabsolventen mindestens genauso interessant zu finden, wie jene der Fachhochschulen.
Auch die Annahme, dass sich Arbeitgeber – seit Bologna – nennenswert für Modulbeschreibungen und Studienvertiefungen interessierten, ist vor allem eine Annahme in Universitäten und Fachhochschulen geblieben. Und die angeblich großen Unterschiede in der Lehre von Fachhochschulen und Universitäten (im Curriculum oder im Niveau bestimmter Modulausprägungen) gehen wohl besonders auf eine Art von Protektionsrhetorik zurück. Mit angemessenen Kulanzregelungen und einem gewissen Lehrpragmatismus kann man durchaus sehen, dass sich die Welt der Lehre von Universitäten und Fachhochschulen gerade in den so genannten "anwendungsorientierten" Disziplinen weniger unterscheidet, als gerne – zwecks Abwehr oder für den Erhalt der eigenen Reputation – verkündet wird. Die Unkompliziertheit gegenseitiger Anerkennung könnte eigentlich mehr zunehmen, als dass sie stagniert, denn es gehört ja heute zur gepflegten Studiengangs-Verkaufsförderung auch in Fächern wie Philosophie, Kulturwissenschaften oder Germanistik, auf umfangreiche Anwendungsgebiete "in der Praxis" hinzuweisen. Sonderfälle mag es geben: Ein Übergang von der Sozialen Arbeit (BA) in die (Allgemeine) Soziologie (MA) bleibt sicher problematisch, da die Fokussierungen verschieden sind. Gleichwohl bieten sich gerade wegen Spezialisierungen den Studierenden mehr Optionen. Das Problem bleibt aber, dass innerhalb (!) eines gleichlautenden Faches der Studienwechsel weiterhin nicht überall umstandslos ist. Um auf dieses Problem zu stoßen, braucht man in Deutschland nicht einmal den Hochschultyp zu wechseln.
Superpraktische Einsichten bieten sich übrigens jedem, der Vergleichserfahrung hinsichtlich Universitäten und Fachhochschulen besitzt. Man kann sehen, dass die Lehre an Fachhochschulen den Universitäten ebenso verdächtig erscheint, wie umgekehrt den Fachhochschulen jene an Universitäten.
Klaus Diepold (Dienstag, 24 Januar 2017 08:35)
Lieber Herr König,
ich kann durchaus akzeptieren, dass Sie ECTS und studienbegleitende Prüfungen ablehnen. Allerdings sind Ihre Gründe persönlicher Natur und nicht notwendigerweise auf Fakten beruhend. Zum einen ist es nur den Studierenden gegenüber fair anzugeben, mit welchem zeitlichen Aufwand Sie als Dozent den Umfang des Lehrstoffes und den erforderlichen Zeitaufwand kalkulieren. Warum soll die Zeiteinheit, die eine Professorin im Hörsaal steht eine Grundlage sein, den studentischen Aufwand zu kalkulieren. Und früher (auch in den 70 Jahren) gab es Obergrenzen für die Anzahl der SWS pro Semester und für ein gesamtes Studium. Nur die zugrunde Aufwandsrechnung war aus Sicht der Studierenden unklar.
Jede Hochschule, Fakultät oder Fachbereich hat die Gelegenheit Fachprüfungen so zu gestalten, dass studienbegleitende Prüfungen nicht notwendigerweise dazu führen, dass jede Note aus dem 1. Semester in das Bachelorzeugnis eingeht. Aber eine Prüfung am Ende des 1.Semesters kann eine wichtige Orientierungshilfe für Studierende sein. Das war übrigens in den Ingenieurwissenschaften auch in 70er Jahren nicht anders.
Die von Ihnen angeführten Gleichungen und Interpretationen über ECTS und studienbegleitenden Prüfungen stehen im Widerspruch zu den Aussagen der Studierenden, die mit diesen Regelungen gut leben können und zurecht kommen. Die Frustration hat nicht zugenommen, die Studienzufriedenheit hat spürbar zugenommen.
Nochmals - die Verantwortung liegt bei den Gestaltern von Studiengängen sinnvolle Regelungen zu finden und sich nicht darauf beschränken die gute alte Diplom/Magister/Whatever-Herrlichkeit mit minimalem Aufwand auf BA/MA zu projizieren. Das klappt n der Tat nicht.
Werner Weber (Dienstag, 31 Januar 2017 16:02)
Schon die Unterüberschrift zeigt, dass der Autor von einer falschen Vorstellung ausgeht bzw. eine solche unterstützt: Anders als die Allgemeine Hochschulreife, die eine fachunabhängige Studienberechtigung darstellt und nur im Falle staatlich angeordneter Zulassungsbeschränkungen nicht eine bedingungslose Einschreibeberechtigung für einen von dem Inhaber des Reifezeugnisses gewählten Studiengang darstellt, stellt ein Bachelor juristisch keinerlei (Studien)Berechtigung dar. Vielmehr stellt er nur die unspezifische Bestätigung einer Qualifikation der ersten akademischen Stufe dar. Anbieter von Programmen der zweiten akademischen Stufe (Master, Doktorat) haben ihre Studienprogramme aber so gestaltet, dass nur Studierende mit einem vorauszusetzenden spezifischen Qualifikationsprofil an diesen mit Erfolg teilnehmen können. („Qualifikationsprofil“ steht für die durch den Abschlussgrad gewährleisteten Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen [attitudes] der Absolventen.) Deshalb lassen Anbieter von Programmen der zweiten akademischen Stufe sinnvollerweise nur solche Bachelorabsolventen zu, deren Bachelor das von ihnen vorausgesetzte Qualifikationsprofil gewährleistet. Das ist naturgemäß zunächst mal der eigene Bachelor, den sie selbst im Zuge der Zweiteilung ihres traditionellen Diplom- oder Magister-Studiengangs kreiert haben.
Angesichts der Tatsache, dass infolge Bologna die deutschen Hochschulen und Fachrichtungsvertretungen die Qualifikationsprofile ihrer Bachelors ohne Abstimmung mit anderen Hochschulen, Hochschularten oder gar ausländischen Hochschulen festgelegt und ihre Bachelor-Studiengänge darauf ausgerichtet haben, ist eine kaum zu überschauende Menge und Vielfalt von Bachelors entstanden. Jeder Anbieter von Programmen der zweiten akademischen Stufe muss daher misstrauisch sein, wenn Bewerber mit einem andern als dem eigenen Bachelor sich bewerben. Er muss das Qualifikationsprofil des Bachelors überprüfen, papiermäßig durch Prüfen der Fächerliste, durch Einschätzung der Qualität der Herkunftshochschule oder gar durch eine Aufnahmeprüfung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Herkunftshochschule eine Fachhochschule oder Universität oder gar eine ausländische Hochschule ist. Die zitierten Beteuerungen der RWTH Aachen und der TU Berlin sind zutreffend: Sie behandeln alle Bewerber gleich; es kann sein und kommt vor, dass auch ein Bachelorabsolvent von einer anderen universitären Hochschule nicht das vorauszusetzende Qualifikationsprofil für ein angebotenes Programm der zweiten akademischen Stufe nachweist.
Insbesondere für Studienrichtungen, in denen man mehr Masterstudierende braucht (zur Sicherung des Nachwuchses an Forschungspersonal) haben Hochschulen wie die RWTH deshalb „Äquivalenzlisten“ erstellt, die aufzählen, „ welche Module von den Absolventen“ anderer „Hochschulen und Fächer nachgeholt werden müssten.“ Das ist genau die Verfahrensweise, wie sie vor Bologna bestand: Fachhochschulabsolventen, Absolventen ausländischer Hochschulen, dürfen weiter zum universitären Abschluss studieren oder promovieren, wenn sie bestimmte Fächer und Prüfungen nachholen.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:42)
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