Warum der Philosophische Fakultätentag das Bologna-Reizwort "Kompetenz" plötzlich gut findet. Ein Interview.
Herr Schmitt, ich bin überrascht. Jahrelang hat der Philosophische Fakultätentag, dessen Vorsitzender Sie sind, gegen die Bologna-Reform und den von ihr geprägten „Kompetenzbegriff“
gewettert, und jetzt veröffentlichen Sie eine Stellungnahme, in der Überschriften wie diese stehen: „Der Vorzug der Kompetenzorientierung“. Was ist denn da
passiert?
Moment mal, wir hatten nie etwas gegen Kompetenz als Studienziel, sondern wir haben uns nur gegen die Art gewehrt, wie das Wort uns Geisteswissenschaftlern ständig vorgehalten wurde. Besonders
häufig in Akkreditierungsverfahren, wenn uns erzählt wurde, wir hätten nicht begriffen, was ein für Studierende angemessenes Studium ausmacht. Aber Sie haben schon auch Recht: Dadurch ist
„Kompetenz“, überspitzt gesagt, für viele allmählich zu einem Feindbegriff geworden. Und das wollten wir endlich ändern. Wir wollen zeigen, dass und wie gut wir die mit Kompetenz beschriebenen
Ziele erreichen, und uns so den Begriff zurückerobern, wenn Sie so wollen.
Es geht also um einen Kampf um die Deutungshoheit?
Es geht darum, aus der Defensive zu kommen. Zu sagen: Nicht wir haben missverstanden, was Kompetenzorientierung im Studium bedeutet, sondern die Technokraten, die uns so lange mit absurden
Vorstellungen traktiert haben. Dass unsere Stellungnahme nicht vom Philosophischen Fakultätentag allein, sondern auch von den beiden Theologischen und vom Allgemeinen Fakultätentag gemeinsam
erarbeitet und dann beschlossen wurde, zeigt, wie ernst wir es meinen.
Nun mal Butter bei die Fische. Was bedeutet Kompetenzorientierung für Sie?
Wenn Bologna Berufsorientierung als Studienziel und –inhalt einfordert, ist das erst einmal unschuldig und wird erst dann zum Problem, wenn als Konsequenz alle möglichen Gegenstände, die mit
unseren Fächern überhaupt nichts zu tun haben, in die Studiengänge gestopft werden sollen. Am liebsten noch, um Versäumnisse der Schulen auszugleichen. Und da sagen wir: Stopp. Das ist nicht
Kompetenzorientierung. Nach unserem Verständnis bereiten wir unsere Studenten am besten auf ihr Berufsleben vor, wenn wir ihnen ein angemessenes Verständnis von Bildung vermitteln. Indem wir
ihnen helfen, in Auseinandersetzung mit den Gegenständen unserer Fächer ihr Problembewusstsein zu trainieren sowie selbstbewusst und reflektiert unbekannte Herausforderungen meistern zu können.
Als wir so darüber diskutiert haben, haben wir gesehen: Womöglich ist Kompetenz im Wesentlichen nur eine moderne Fassung dessen, was man immer als Bildung verstanden hat.
Kompetenz gleich Bildung: Ist das nicht ein bisschen simpel?
Das, was bislang oft in Akkreditierungsverfahren daraus gemacht worden ist, das war simpel. Nehmen wir diese Houses of Competences, die überall entstanden sind und in denen die Studierenden dann
lernen sollen, wie sie richtig Präsentationen halten und Hausarbeiten schreiben. Mein Gott, ich lerne doch nicht schwimmen, indem ich in der Turnhalle Schwimmbewegungen mache. Das geht nur im
Wasser, das geht nur am echten Gegenstand.
Solche Kompetenzzentren sind also überflüssig?
Zumindest für die Geisteswissenschaften, für andere Fächer kann ich das nicht beurteilen. Andererseits: Auch der Allgemeine Fakultätentag hat unser Positionspapier unterschrieben, und da sitzen
auch die Mathematiker drin, die Naturwissenschaftler und Ingenieure.
Bleiben wir mal beim Beispiel Präsentieren. Wollen Sie etwa Ihren Studenten selbst Powerpoint beibringen?
Es ist nicht die Aufgabe eines Professors, die letzten Neuerungen bei Powerpoint zu kennen. Allerdings gehört es in den Geisteswissenschaften selbstverständlich zu den Kernkompetenzen, sprachlich
und sachlich angemessen und strukturiert einen Vortrag halten zu können.
Wenn Sie also bei einem Studenten merken, der kann das nicht, dessen Referat geht in die Hose, dann greifen Sie ein?
Aber natürlich. Dann werde ich danach auf den Studenten zugehen und kommentieren, aber auch fragen, was aus seiner Sicht schiefgelaufen ist und was ihm fehlt, um es besser hinzubekommen. Aber das
muss immer am Gegenstand passieren, am Thema des Seminars. Ich mache als Professor die meisten meiner Tutorien selbst. Es bricht einem kein Zacken aus der Krone, wenn man sich als Hochschullehrer
immer wieder damit konfrontiert, welche Voraussetzungen die Studenten mitbringen. Wenn ein Student nicht faul ist, sich anstrengt und trotzdem Unsinn präsentiert, dann ist es meine Pflicht dem
nachzugehen und ihm zu helfen, dass er am Ende möglichst keinen Unsinn mehr vorträgt.
Ihr Engagement in Ehren: Angesichts Tausender überflüssiger und mies gestalteter Referate, die jeden Tag in Seminaren gehalten werden, glaube ich nicht, dass die meisten Ihrer Kollegen sich dieselbe Mühe machen.
Sicherlich gibt es Kollegen, die da stärker engagiert sind als andere. Auch weil die Talente unterschiedlich verteilt sind. Und mir liegt es fern, anderen etwas vorschreiben zu wollen. Aber kein Student studiert doch nur bei einem Professor, insofern wird er auf Dozenten treffen, die besser zu seinen Voraussetzungen und Erwartungen passen oder eben nicht so gut. Unterschiede gibt es doch auch bei den Studenten: Ich muss als Professor erstmal rauskriegen, ob das einer ist, der eine stärkere Anleitung braucht, oder ob ich ihn lieber in Ruhe arbeiten lasse.
Glauben Sie wirklich, dass auch viele andere Professoren so denken?
Viel mehr, als man gemeinhin glaubt. Darüber zu reden, was der Kompetenzbegriff, wie wir ihn umschreiben, für das Selbstverständnis von uns Hochschullehrern bedeutet, das ist der nächste Schritt,
den wir uns vorgenommen haben. Wir wollen auch darüber nachdenken, welche Konsequenzen sich für die Gestaltung von Studiengängen ableiten – gerade und erst recht, wenn die nächste Runde in der
Akkreditierung ansteht.
Ist das der Kern? Die Kehrtwende in Sachen Kompetenzbegriff als eine Selbstermächtigung für die nächsten Schlachten um die Studiengangsgestaltung?
Genau das nicht. Wir wollen und wir müssen weg von vor allem konfrontativem Denken. Ein richtig verstandener Kompetenzbegriff ist weder eine Zumutung noch eignet er sich dazu, Professoren zu
gängeln. Er impliziert vielmehr den doch eigentlich selbstverständlichen Anspruch an Dozenten und Studenten, für die Bildung Verantwortung zu übernehmen. Das ist keine Kehrtwende. Wir stellen
einfach das, was uns besonders wichtig ist, den Bildungskern unserer Wissenschaft, selbstbewusst in den Vordergrund der Kompetenzdebatte. Insofern ist unsere Resolution auch ein Aufruf nach
innen, an unsere Kollegen: Geht offensiv mit dem um, was Eure Fachlichkeit ausmacht. Ihr wisst doch genau, was Kompetenz ist. Und lasst euch das von niemandem ausreden.
Tassilo Schmitt, 55, ist Althistoriker, Professor an der Universität Bremen und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages.
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Jakob Wassink (Samstag, 04 Februar 2017 21:30)
Es fällt mir schwer, beim Lesen des Papiers und den Aussagen ernst zu bleiben. Ich wage kaum zu hoffen, dass dieses Papier nun tatsächlich zu Verbesserungen der Studiengänge führen wird. Nach meinen Erfahrungen waren es die Fakultäten und hier insb. die Professorinnen und Professoren, die die Deutungshoheit aus der Hand gegeben haben.
1. Das Studienabschlüsse "berufsqualifizierend" sein sollen, galt schon vor der Einführung von BA/MA. Herrschend war hier eine weite wissenschaftsbezogene Definition. Es ging bereits vor Einführung von BA/MA darum, dass die Studierenden zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit, zur Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in der beruflichen Praxis, zur kritischen Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnis und zu verantwortlichem Handeln befähigt werden.
Das im von der KMK 2005 verabschiedeten Deutschen Qualifikationsrahmen für Hochschulabschlüsse niedergelegte Kompetenzverständnis war NIE auf eine reine Berufsausbildung des universitären Studiums angelegt. Dieses Verständnis einer wissenschaftlichen Berufsausbildung mag von wirtschaftsnahen Verbänden gewünscht gewesen sein. Ministerien, KMK und Akkreditierungsrat sind diesen Vorstellungen glücklicherweise nie erlegen!
2. Es war in keinem offiziellen Dokument gefordert, dass Professorinnen und Professoren Power-Point-Kurse o.ä.geben sollten. Es war auch nirgends vorgeschrieben, dass die Vermittlung wissenschaftlichen Handwerkszeuges losgelöst von der Vermittlung von Fachwissen erfolgen sollte. Das geniale Zauberwort zur Problemlösung nennt sich "Modularisierung" In 16 Jahren Bologna durfte ich hier glücklicherweise ein paar wenige gute Beispiele und leider sehr viele schlechte Beispiele kennen lernen.
3. Den Akkreditierungsverfahren die Schuld zu geben, ist schlicht eine Frechheit. Akkreditierungsverfahren dienen der ÜBERPRÜFUNG der von den Hochschulen vorgelegten Studiengangskonzepten auf der Grundlage der Vorgaben der KMK und des Akkreditierungsrates. Professorinnen und Professoren hatten in Akkreditierungsverfahren zudem immer eine beherrschende Stellung. Sie hatten sowohl in den Gutachtergruppen, wie auch in den Entscheidungskommissionen in den Agenturen immer die absolute Mehrheit! Die Fakultäten hätten hier über ihre Professorinnen und Professoren also von Anfang an auf eine günstigere Umsetzung hinwirken können!