Andrej Holm darf doch an der Humboldt-Universität bleiben. Er habe jetzt gezeigt, dass ihm die Sache mit dem Fragebogen wirklich Leid tue, sagt HU-Präsidentin Kunst. Riecht nach Kuhhandel.
ANDREJ HOLM SCHREIBT ein paar Zeilen an die Humboldt-Universität (HU), und plötzlich ist alles wieder gut. "Ich bin mir heute bewusst, dass ich gegenüber der HU falsche Angaben hinsichtlich
meiner Tätigkeit für das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) gemacht habe", schreibt der entlassene Staatssekretär und bis Freitag früh noch fristlos gekündigte HU-Wissenschaftler. Dies bedaure er
– "und ebenso, dies nicht sofort gegenüber der HU zum Ausdruck gebracht zu haben."
Die Reaktion von HU-Präsidentin Sabine Kunst: Sie sehe das Vertrauensverhältnis nun zwar als gestört, aber nicht mehr als vollständig zerstört an und habe daher entschieden, statt einer Kündigung
eine Abmahnung auszusprechen.
Der unbeteiligte Beobachter reibt sich verwundert die Augen. Wie, und damit soll die Sache jetzt erledigt sein? Warum dann vorher der ganze Aufwand?
Nachdem der Stadtsoziologe Holm Anfang Dezember vom neuen rot-rot-grünen Berliner Senat zum Staatssekretär für Wohnen berufen worden war, hatte seine Stasi-Vergangenheit bundesweite Debatten ausgelöst. Oder vielmehr sein Umgang damit. Denn vor elf Jahren hat Holm, heute 46, einen Uni-Fragebogen ausgefüllt und die Frage, ob er hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen sei, mit „Nein“ beantwortet. Fakt ist, dass er sich mit 14, das war Mitte der 80er Jahre, zur Stasi-Offizierslaufbahn verpflichtet hatte und am 1. September 1989 seine Ausbildung begann. Am Ende der Grund, warum er als Staatssekretär gehen musste und auch von der HU fristlos gekündigt wurde.
Wobei sich, worauf die HU am Freitag hinwies, die Präsidentin eine Hintertür offen gehalten hatte, als sie am 18. Januar "die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Herrn Dr. Holm" verkündete: In der von der HU damals angeforderten Stellungnahme Holms sei "mit keinem Wort ein Bedauern zu den Falschangaben zu erkennen. Die Falschangaben, das fehlende Bedauern und sein Beharren auf Erinnerungslücken", so Kunst, hätten sie zu der Entscheidung gebracht, das Arbeitsverhältnis zu beenden.
Kunsts neue Logik heute: Jetzt ist das Bedauern da, also Schwamm drüber.
Die eigentliche Erklärung, warum plötzlich Versöhnung angesagt ist, dürfte eine andere sein: Die HU-Juristen, davon ist auszugehen, haben zwischenzeitlich die Rechtslage neu bewertet und sind zum selben Ergebnis gekommen, das auch andere Experten öffentlich schon so hatten verlauten lassen: Die Chancen Holms, sich vor Gericht gegen die Kündigung zu wehren, standen ausgezeichnet. Gleichzeitig begann die seit Wochen andauernde Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften durch protestierende Studenten dann doch zu nerven, wie vergangene Woche ein Schriftwechsel zwischen Kunst und den Studenten belegte. Der Ausweg: Der heutige Kuhhandel. Holm bedauert etwas spitzfindig, die HU schaltet auf Umarmung um.
Spitzfindig ist Holms Erklärung von gestern, weil er beim genauen Lesen dabei bleibt, sich keiner Schuld bewusst gewesen zu sein, als er den HU-Personalfragen ausfüllte. Falsch ausfüllte, was ihn erst in die Bredouille brachte. Immerhin: Wichtig ist der letzte Satz, in dem Holm versichert, "neben der Grundausbildung und den vor mir geschilderten Tätigkeiten in der Auswertungs- und Kontrollgruppe keine weiteren Aufgabe, weder hauptamtlich noch inoffiziell, für das MfS erledigt zu haben." Übersetzt heißt das: Ich habe wirklich keinem Menschen direkt und persönlich geschadet.
Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack. Das Dreiecksverhältnis von Andrej Holm, Humboldt-Universität und Berliner Senat hat einen so großen politisch-wissenschaftlich-moralischen Murks produziert, dass der nun von Präsidentin Kunst gewählte Ausweg, so durchsichtig er in seiner Motivation sein mag, die womöglich beste (oder am wenigsten schlechte) Lösung ist, die überhaupt noch denkbar war. Belassen wir es dabei und fragen nicht mehr nach.
Eine spannende Fußnote: Werden die protestierenden Studenten jetzt einfach abziehen, oder haben sie Gefallen gefunden an der Besetzung, die viel Medienaufmerksamkeit generierte? Zuletzt klangen ihre Forderungen deutlich grundsätzlicher als das "Holm bleibt!" der ersten Tage.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:49)
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