Die Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen kämpfen um ihre Wiederwahl. Der Weg zur Parteibasis wird für einige Wissenschaftspolitiker besonders hart.
Foto: sfreimark: "Bundestag", CC BY-SA 2.0
HEUTE STARTE ICH mit einem sehr persönlichen Artikel in die neue Woche, der trotzdem komplett ohne Namen auskommt. Vielleicht gerade weil er so persönlich ist. Ich habe mich in den vergangenen Jahren unzählige Male mit Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen getroffen, im Abgeordnetenrestaurant oben im Reichstag, in Cafés irgendwo unten an der Spree, oft auch einfach in ihren überraschend engen Büros, umgeben von Aktenbergen und jungen Mitarbeitern, die erstaunlich forsch und kenntnisreich mitdiskutierten. Es ging um Bildung, natürlich, um Wissenschaft und Forschung und das richtige Verhältnis zwischen konzeptionellem Mut und politischen Realismus.
Wer zu Politikerbashing neigt, wer glaubt, da säßen Menschen mit oberflächlichen Interessen und ohne echtes Gespür für Details, den würde ich gern mal zu so einem Gespräch mitnehmen. Auch wenn ich als Journalist inhaltlich Distanz halte, auch wenn ich bei vielen konkreten Fragen anderer Meinung bin und diese auch in zahlreichen Kommentaren formuliert habe, so empfinde ich für die meisten Abgeordneten, denen ich in meiner Arbeit als Journalist für Bildung und Wissenschaft begegne, große Achtung. Gerade weil sie sich ein Feld ausgesucht haben, das unter den Machtpolitikern als wenig glanzvoll gilt. Gerade weil sie sich, vor allem in der Forschung, für Themen stark machen, die von der Lebenswirklichkeit der meisten Wähler in ihrem Wahlkreis weit entfernt zu sein scheinen. Themen allerdings, die eine enorme Relevanz für unser aller Zukunft haben. Was sie, die sie diese Zeilen lesen, so gut wissen wie ich. Was aber nicht nur „den Menschen da draußen“ oft schwer zu vermitteln ist, sondern auch den regionalen Strippenziehern in den Parteien, die gerade vor den Wahlen über Sein und Nichtsein von Politikerkarrieren entscheiden. >>
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>> Warum ich das so betone: weil wir es gerade wieder erleben können. Wie Politiker, die sich in Berlin um Bildung und Wissenschaft verdient machen, die hier in der Hauptstadt ein Stück Autorität haben und größtenteils (zum Glück!) anständig mit ihr umgehen, in ihrer Heimat die totale Machtlosigkeit erleben und um ihr politisches Überleben kämpfen. Stellt die Basis sie erneut als Kandidaten auf? Erhalten sie einen Listenplatz, der ihnen eine realistische Chance gibt, wieder in den Bundestag einzuziehen? Im beginnenden Wahlkampf geht es eben nicht so sehr um die Frage, ob Politiker über die Deutschlands Innovationskraft in 20, 30 Jahren nachdenken, ob sie sich um die allzu lang liegen gelassene Digitalisierung kümmern, die Zukunft der Fachhochschulen oder die Teilhabe bildungsfern aufwachsender Kinder. Es geht darum, ob der Horst und die Sigrid und der Helmut daheim denken, dass sie genügend für „die eigenen Leute“ getan haben, womit im Zweifel die Partei gemeint ist, dass sie sich oft genug haben sehen lassen bei den lokalen Parteiversammlungen in den Wirtshäusern und dass sie sich vor allem für das interessieren, was die Unternehmen und Verbände in Ihrem Wahlkreis bewegt.
Positiv gewendet kann man das „Bürgernähe“ nennen, kritischer formuliert bedeutet es, dass sie sich ihre Themen und Gesprächspartner ausgesucht haben mit dem Ziel, ihre eigenen Wiederwahlchancen zu maximieren. Sozialpolitik zum Beispiel, damit sie den Rentnern im Wahlkreis sagen können: Die Rentenerhöhung, auf die habe ich ganz besonders gedrängt. Oder Verkehrspolitik. Um in der Bewerbungsrede beim Parteitag den Leuten zuzurufen: Dass wir jetzt mehr Geld für den Straßenbau kriegen, das habe ich von Anfang an gefordert.
Sicher: Der Wunsch, wiedergewählt zu werden, muss nicht zwangsläufig im Gegensatz dazu stehen, sich für die Zukunft von Wissenschaft und Forschung einzusetzen, doch oft genug jedoch tut er es. Zum Beispiel weil es schwierig sein kann, den Wählern zu erklären, warum der Hochschulpakt für sie wichtig ist, wenn doch in ihrem Wahlkreis keine Universität liegt. Oder auch, warum der „Pakt für Forschung und Innovation“ zu Recht so viel Geld kostet, wenn doch die meisten Wähler noch nie ein Max-Planck- oder Leibniz-Institut von innen gesehen haben. Vor allem aber entsteht der Gegensatz dadurch, dass ihre eigenen Parteifreunde vor Ort so weit weg sind von ihren Themen. Denn diese Parteifreunde müssen sie, siehe oben, aufstellen für die nächste Bundestagskandidatur, diese Parteifreunde entscheiden darüber, ob sie einen aussichtsreichen Listenplatz erhalten oder einen, der faktisch schon vor der Wahl das Ende Ihres Mandats bedeutet.
Was folgt daraus? Eigentlich noch ein bisschen mehr Achtung und ziemlich viel Sorge. Ich empfinde noch mehr Achtung für die Forschungspolitiker aller Parteien, dass sie sich gerade dieses Themenfeld ausgesucht haben, obwohl „Innovation“ oder „Grundlagenforschung“ höchstens für eine Minderheit schillernde Begriffe sind. Dass sie sich für Hochschulen und Forschungseinrichtungen einsetzen, obwohl Milliarden für die Wissenschaft für viele ihrer Parteifreunde vor allem Milliarden bedeuten, die man nicht öffentlichkeitswirksam in Kitas, Renten oder Straßen stecken kann. Und ich mache mir Sorgen, weil ausgerechnet das Expertentum, das wir im Bundestag brauchen, gefährdet ist durch seine mitunter mangelnde Anschlussfähigkeit an lokalpolitische Diskurse.
Wie sich dieser Widerspruch auflösen lässt? Keine Ahnung. Ich könnte jetzt sagen: Indem Wissenschafts- und Bildungspolitiker ihre Ideen und Ziele noch besser und verständlicher erklären, aber das wäre eine zu einfache, eine zu wohlfeile Antwort. Es bleibt ein Stück Ratlosigkeit. Aber ich finde, in einem persönlichen Artikel wie diesem darf ich die mal einräumen.