Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hatte ihr Nein angekündigt, weil sie einseitige Belastung für die Wissenschaft befürchtete.
BUNDESGESUNDHEITSMINISTER HERMANN GRÖHE (CDU) hatte schon die Pressekonferenz geplant, bei der er den Erfolg verkünden wollte: den Masterplan Medizinstudium 2020, einhellig verabschiedet von allen, die in Sachen Gesundheit etwas zu sagen haben. Von den Gesundheitsministern also. Von den Wissenschaftsministern. Von den Finanzministern. Aus allen Ländern und aus dem Bund. Kein Wunder, dass einige bereits vom „großen Wurf“ schwärmten. Daraus allerdings wird vorerst nichts. Weder aus dem großen Wurf noch aus Gröhes Pressekonferenz. Die für heute geplante Verabschiedung des Reformpapiers durch die Kultusministerkonferenz (KMK) wurde kurzfristig abgesagt. Und hinter den Kulissen beginnen bereits die Schuldzuweisungen.
Das sind die Fakten: Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hatte Anfang der Woche für einige ihrer Kollegen offenbar überraschend angekündigt, dass sie dem Masterplan nicht zustimmen werde. Nach zweitägigem Hin und Her einigten sich die Kultusminister schließlich am Donnerstagnachmittag, den Masterplan von der Tagesordnung zu nehmen.
Wahlkampf sei das, kommentieren nun einige von Bauers Kollegen, der Masterplan sei im Großen und Ganzen eben ein Projekt der großen Koalition im Bund, und deshalb, gestehen sie großzügig zu, sei es „politisch legitim“, wenn eine grüne Ministerin ein paar Aufmerksamkeitspunkte sammeln wolle.
Wenn man Bauer und ihren Leuten spricht, bekommt man einen anderen Eindruck. Die Sorgen, die sie haben, sind echt. Und sie haben natürlich mit Geld zu tun.
Bauer sagt, es sei ihr nicht leicht gefallen, auf die Vertagung zu drängen, weil sie 36 der 37 im Entwurf enthaltenen Punkte inhaltlich voll zustimme und bis vor wenigen Tagen von einem tragfähigen Kompromissangebot der KMK an die Gesundheitsministerkonferenz ausgegangen sei. Dies betreffe auch den Punkt 37, die Landarztquote, die sie trotz ähnlicher Bedenken wie ihre niedersächsische Kollegin Gabriele Heinen-Kljajić (siehe Blog vom 08. März) in der Kompromissform mitgetragen hätte. Schluss mit Zustimmung sei für sie allerdings gleich zu Beginn des Papiers, bei der Präambel, wo ein paar vermeintlich dürre Sätze die Finanzierung der Reform regeln sollten.
Klar war schon länger, dass die Finanzminister keine zusätzlichen Millionen für die Umsetzung des Masterplans zu geben bereit waren, das hatten sie zuletzt vergangene Woche in einem Beschluss deutlich gemacht – zumindest solange die Universitätskliniken weiter so hohe Defizite anhäuften. Das Signal an die Wissenschafts- und Gesundheitsminister: Macht das mal unter euch aus. Und dieses "das" ist richtig teuer. Experten gehen bei vollständiger Umsetzung des Masterplans von einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich aus – pro Jahr.
Schon im Februar, berichtet Bauer, habe man einen Kompromissvorschlag in Richtung Gesundheitsseite formuliert, der Tenor: Die Wissenschaftsministerien der Länder übernehmen ihren Teil, doch auch der Bund und die Krankenversicherer müssten sich „angemessen“ an den Kosten beteiligen, da die geplante Stärkung der Allgemeinmedizin durchaus eine Frage der Ausbildungsqualität, zuerst aber der Krankenversorgung sei.
Sätze, die die Gesundheitsminister aus Bund und Ländern nicht akzeptieren wollten. „Die stehen immer wie eine Bank“, sagt ein Wissenschaftsstaatssekretär aus einem anderen Land anerkennend und besorgt zugleich. Die „Gesundheitsseite“, wie sie in den Verhandlungen genannt wird, hatte zuvor sogar verlangt, den im Entwurf enthaltenen Finanzierungsvorbehalt zu streichen.
Bauers Schlussfolgerung: So bleibe die Gesamtfinanzierung des Masterplans an den Wissenschaftshaushalten hängen, und der Druck, sie anzuzapfen, werde zunehmen, „sobald der Masterplan erst einmal beschlossen ist.“
Hätten dann nicht mehr Wissenschaftsministerkollegen wie Bauer ihr „Nein“ ankündigen müssen? Die Sorge zumindest, von den Gesundheitsministern über den Tisch gezogen zu werden, haben sie fast alle. Und auch die Forderung, der Bund müsse Geld zuschießen, verbindet sie. Doch aus zwei Gründen entschieden sich die anderen gegen die Konfrontation auf der Zielgeraden. Erstens: die Lagerzugehörigkeit, siehe oben. Ein Projekt der Großen Koalition will offenbar keine Ressortchefin der SPD oder Union kurz vor der Bundestagswahl in Frage stellen, zumal wenn die Reform inhaltlich von allen geteilt und als extrem sinnvoll befunden wird.
Zweitens: Kollegen von Bauer äußern die Sorge, dass eine Rückkehr in die Verhandlungen mit der „Gesundheitsseite“ schwer werden könnte. „Was soll denn das Ergebnis eines Neins zum jetzigen Zeitpunkt sein?“ fragt einer. „Vor der Wahl kann es doch seitens des Bundes keine juristisch wasserdichten Finanzierungszusagen mehr geben.“ Doch brauche man die Verabschiedung des Plans jetzt, damit nicht am Ende irgendwer auf die Idee komme, die umfassendste Reform des Medizinstudiums seit Jahrzehnten an sich wieder in Frage zu stellen.
Vielleicht lässt sich das Wahlkampfargument gegen Bauer aber auch drehen: Man braucht den Erfolg jetzt, vor den Wahlen. Auf jeden Fall kam so überhaupt erst die Idee zustande, die Finanzierungsfrage einer Expertenkommission zu überlassen.
Jetzt fürchten sich alle ein bisschen vor der Reaktion der „Gesundheitsseite“, mal wieder. Denn einen Vorgeschmack, wie sie ausfallen kann, haben sie schon gestern bekommen. Als die Gesundheitsminister Wind davon bekamen, dass die KMK vertagen wollte, griffen einige zum Telefon und riefen ihre Ministerpräsidenten an. Sie verlangten, die Wissenschaftsseite zur Ordnung zu rufen. Mit dem Ergebnis, dass für eine paar Stunden nochmal hektische Betriebsamkeit auf allen Seiten ausbrach. Und am Ende, siehe oben, heute Nachmittag doch vertagt wurde. Die Kollegen der Gesundheitsseite seien allesamt eher „rustikale Typen“, munkeln sie in der KMK, die intern austeilen und in der Öffentlichkeit kräftig zuspitzen könnten. Nach dem Motto: Wir wollten die große Reform, und die Wissenschaftsseite hat es kleinkrämerisch vergeigt.
Indes: Vergeigt ist noch gar nichts. Nur all jene, die sich schon im Vorfeld angesichts der ungeklärten Finanzierung ernüchtert über den vermeintlichen „großen Wurf“ geäußert hatten, dürften sich bestätigt fühlen. Der Medizinische Fakultätentag (MFT) etwa warnt, wenn die Landarztquote komme, werde aufgrund der entstehenden Rechtsunsicherheit die Zahl der Studienplatzklagen zunehmen. Wenn gleichzeitig die Zahl der Studienanfänger steige und die Finanzierung unklar sei, komme es zwangsläufig zu einer Überforderung der Fakultäten.
Wie es jetzt weitergeht? Bremens Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) hätte da eine Idee. Sie will alle zu einem ergebnisoffenen Gespräch einladen. Das könnte passen – nicht nur,
weil die Senatorin parteiübergreifend als integrative Persönlichkeit geschätzt wird. Sondern auch, weil sie zugleich Gesundheitssenatorin ist. Und keine eigene medizinische Fakultät im Land hat.
Mehr ehrliche Maklerin, könnte man denken, geht in der Sache kaum. Schon am nächsten Dienstag wollen sich acht Staatssekretäre aus Wissenschaft und Gesundheit in Berlin treffen. Es müsse
doch möglich sein, einen Kompromiss zu erreichen, sagen sie. Vielleicht ja sogar noch vor Ende des Monats.
Womöglich kann Bundesgesundheitsminister Gröhe ja doch bald zu seiner Pressekonferenz einladen.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:56)
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