Die Ministerpräsidenten beschließen den Staatsvertrag zur Akkreditierung. Doch sechs Länderchefs fordern zugleich die Rehabilitierung des Diplomabschlusses.
Martin Abegglen: "diplom", CC BY-SA 2.0
DIE MINISTERPRÄSIDENTEN HABEN in ihrer Sitzung am Donnerstag dem Staatsvertrag zur Akkreditierung zugestimmt. Am 1. Juni wollen sie ihn unterzeichnen, am 31. Dezember 2017 soll er in Kraft treten. Soweit die Formalia, wie sie sich im vorläufigen Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) nachlesen lassen. Was dann unter "Protokollerklärung" folgt, ist allerdings ein Hammer. Mit der Erarbeitung der Musterrechtsverordnung werde "die Erwartung verbunden, doch noch eine für alle Länder tragfähige Lösung zur Anerkennung des Diploms zu erreichen".
Eine Protokollerklärung als Zusatz eines MPK-Beschlusses ist an sich nichts Ungewöhnliches; ausschlaggebend ist der Beschluss selbst. Auch in diesem Fall war mit einem solchen Zusatz gerechnet worden, hatte doch Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister Mathias Brodkorb (SPD) im Vorfeld der Sitzung ein letztes Mal die Trommel fürs Diplom gerührt – womit er oberflächlich betrachtet scheiterte, denn das Bekenntnis zum "Dipl.Ing." schaffte es eben nicht in den Beschluss selbst.
Weswegen die Protokollerklärung dennoch eine kleine Sensation ist: Weil nicht nur der von Brodkorb umfassend bearbeitete Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, sie unterschrieben hat, sondern auch die Regierungschefs fünf weiterer Länder: Horst Seehofer aus Bayern, Dietmar Woidke aus Brandenburg, Volker Bouffier aus Hessen, Stanislaw Tillich aus Sachsen und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt. Sie alle sagen: Gebt uns das Diplom zurück. Zumindest ein bisschen. Sie sagen es übrigens zum Teil gegen den erklärten Willen ihrer eigenen Wissenschaftsminister. Dem muss sich die Kultusministerkonferenz jetzt stellen und nochmal ran, getreu dem Motto, "oben" (Ministerpräsidenten) schlägt "unter" (Kultusminister).
Zehn Ministerpräsidenten waren allerdings auch anderer Auffassung, weswegen die Protokollerklärung, sagen zumindest einige aus der Kultusministerkonferenz (KMK) tapfer, wenig mehr sei als ein kaum erfüllbarer Wunschzettel. Denn das Diplom-Revival in der Musterrechtsverordnung könne ja nur im Einklang aller Länder beschlossen werden. Und dennoch ist das, was sich da gestern in der MPK zu getragen hat, mehr als eine skurrile Fußnote. Es wird den Kritikern von Akkreditierung und Bologna-Abschlüssen gewaltig Auftrieb geben. Vor allem aber ist es eine Warnung in Richtung der Wissenschaftsminister, dass die Vorbehalte gegen die Studienreform, wie Mathias Brodkorb sie als Bildungsminister formuliert hat, in der Chefetage der Ministerpräsidenten salonfähig sind.
Ein paar Schlussfolgerungen.
Erstens: Brodkorbs Aktion auf der Zielgeraden der Akkreditierungsverhandlungen hat viele seiner ehemaligen KMK-Kollegen schwer geärgert, doch hat er damit auch einmal mehr seine strategische Kreativität unter Beweis gestellt. Auf die Idee und den Mut, seinen Chef zu schicken, um KMK-Beschlüsse von oben her auszuhebeln, muss man erstmal kommen. Erst recht, wenn man selbst gar nicht mehr der zuständige Minister ist. Zweitens: Eigentlich war dies gestern auch ein Moment der Niederlage für Brodkorb, denn die Ministerpräsidenten haben dem Akkreditierungsstaatsvertrag, dessen Zustandekommen er über Monate hinweg verhindern wollte, zugestimmt. Doch durch seine Finte schaffte er es, von diesem Umstand abzulenken und seine Ex-Kollegen schlecht aussehen zu lassen. Drittens: Der seit einem Jahr laufende Streit um die Zukunft der Akkreditierung ist damit in seiner ersten Ableitung angelangt. Ging es den Gegnern des Staatsvertrags lange um die Komplettabschaffung des Systems, werden sie sich nun, da der Vertrag kommt, auf die Aufwertung des Diploms konzentrieren. Nach dem Motto: Wenn schon weiter Akkreditierung, dann wollen wir wenigstens auch was davon haben.
Viertens und am wichtigsten: Die Wissenschaftsminister tun gut daran, sich zu überlegen, wie sie Querschüsse ihrer Chefs in Sachen Hochschulreform künftig verhindern können. Und zwar, indem sie ihnen besser erklären, worum es geht. Gefährliches Halbwissen bei den Ministerpräsidenten, verbunden mit einem Schuss Nostalgie für die Uni von gestern, ist eine brüchige Basis, wenn die Wissenschaftsminister für künftige Reformentscheidungen in einem derart umkämpften Politikfeld Rückendeckung brauchen. Schließlich ist es kein Zufall, dass sie sich beim parallel verhandelten "Masterplan Medizinstudium 2020" noch nicht einmal daran gewagt haben, die Stichworte "Bachelor und Master" in die Debatte um die Zukunft der Medizinerausbildung einzubringen. Nicht durchsetzbar bei den Gesundheitskollegen, sagen die Wissenschaftsminister einhellig. Bei ihren Chefs, den Ministerpräsidenten, aber ganz sicher auch nicht.
Nie in den vergangenen zehn Jahren war das Diplom so lebendig wie seit gestern Abend. Als vor einem Jahr das Bundesverfassungsgericht die bisherige Akkreditierungspraxis als grundgesetzwidrig einstufte und die aktuelle Debatte um eine Neufassung auslöste, sei das für ihn Grund gewesen, "eine gute Flasche Wein aufzumachen", sagt Mathias Brodkorb hinterher. Gestern Abend dürfte er sich mal wieder an seinem Weinvorrat bedient haben.
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Tutnichtszursache (Samstag, 18 März 2017 21:37)
Rein von den Fakten her erscheint mir diese Angelegenheit recht trivial (aber vermutlich geht es eher um Emotionen). Das mecklenburg-vorpommersche Hochschulgesetz sagt nicht mehr, als dass für bestimmte Studiengänge statt eines Bachelor- oder Masterabschlusses auch ein Abschluss mit Namen "Diplom" vergeben werden darf. Solange die KMK die Hoheit über die Akkreditierungsregeln hatte, konnte sie dem Akkreditierungsrat verbieten, sein Siegel auf die entsprechenden MV-Programme zu kleben. Da nach dem Verfassungsgerichtsbeschluss zur Akkreditierung die einzelnen Länder auf Kosten der KMK gestärkt wurden, ist die Auffassung mehrerer Ministerpräsidenten nur konsequent. Mit der Akkreditierung an sich hat das alles in der Sache doch eher wenig zu tun (oder übersehe ich etwas?) - externe Qualitätsbegutachtungen kann man unternehmen, egal ob der Abschlussgrad nun Bachelor, Diplom, Staatsexamen oder Fidirallala heißt.
Rolf Wurstfinger (Dienstag, 21 März 2017 10:17)
Vordergründig geht es hier in der Tat um Emotionen und leider auch immer um ein bisschen Populismus fürs Wahlvolk. Die Ministerpräsidenten und ihre Wissenschaftsminister hätten gut daran getan, ihren Hochschulen die konsequente Umsetzung des Bolognaprozesses und nicht nur eine Umetikettierung der alten Diplomstudiengänge nahezulegen.
Inhaltlich erscheinen mir die Wiederbelebungsversuche des Diploms alles andere als trivial, jedenfalls dann wenn damit eine Rückkehr zu einstufigen universitären Studiengängen verbunden ist. Das schafft nur Chaos und führt dazu, dass Mobilität zwischen Studienbeginn und Promotionsbeginn praktisch nicht möglich ist. Beispiele dafür gibt es genug, insb. in MV. Ein Wechsel zwischen den Systemen führt beispielsweise zum Ausschluss einer Bafög-Förderung für den Rest des Studiums! Ob das von den 6 Ministerpräsidenten mitbedacht wurde? Übernehmen diese Bundesländer aber vielleicht die mit einer Rechtsänderung des BafögG verbundenen Mehrkosten? Ich glaube nicht... Mir bleibt nur die Hoffnung, dass die Staatssekretäre, Fachminister und Ministerpräsidenten der übrigen 10 Bundesländer durchsetzungsstark genug sind, bei der Ausarbeitung der MusterrechtsVO dem Irrsinn einen Riegel vorzuschieben.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:57)
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