Sechs Ministerpräsidenten haben sich als Diplom-Fans geoutet. Was folgt daraus für die Hochschulpolitik?
DAS KOMMT DABEI heraus, wenn Ministerpräsidenten selbst Hand an die Hochschulpolitik legen. Eigentlich hätte es eine Formsache sein sollen, als die Länderchefs vergangene Woche in ihrer Konferenz dem neuen Staatsvertrag zur Akkreditierung von Studiengängen zustimmten, den ihre Wissenschaftsminister über Monate ausgehandelt hatten. Doch sechs Ministerpräsidenten beließen es nicht bei dem Ja, sondern fügten eine Protokollnotiz hinzu. Mit der noch ausstehenden Erarbeitung der so genannten Musterverordnung, formulierten die sechs, „sei die Erwartung verbunden, doch noch eine für alle Länder tragfähige Lösung zur Anerkennung des Diploms zu erreichen.“
Hinter der konzilianten Technokratensprache verbirgt sich Sprengstoff. Durch die Hintertür wollen die Ministerpräsidenten den totgeglaubten Abschluss wiederbeleben. Und das geht so: Jeder Staatsvertrag ist nur so viel wert wie die Ausführungsverordnung, mit der jedes Bundesland für sich bestimmt, wie der Vertrag praktisch umgesetzt werden soll. Um einen föderalen Flickenteppich zu vermeiden, einigen sich alle 16 Länder normalerweise auf eine Musterverordnung, die sie dann gleichlautend in Landesrecht übernehmen.
Und obwohl der Staatsvertrag die Kombination der Wörter „Diplom“ und „Akkreditierung“ tunlichst vermeidet, wollen die sechs Ministerpräsidenten jetzt über diese Verordnung seinen Wirkungsbereich auf Abschlüsse mit dem alten Namen ausdehnen. Eine faktische Gleichstellung mit den neuen gestuften Abschlüssen Bachelor und Master, denen bislang die Akkreditierung vorbehalten war. Es bröckelt etwas in der Hochschullandschaft, und es bröckelt von oben nach unten.
So, wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bereits die Rückabwicklung der Schulzeitverkürzung G8 zur „Chefsache“ erklärt hat, so wollen er und fünf Mitstreiter nun offenbar auch bei einem anderen Bildungsthema Populismuspunkte sammeln. Zwar war es ruhiger geworden um die Bologna-Studienreform, doch beliebt sind die Anfang des neuen Jahrtausends eingeführten europaweit gültigen Studienabschlüsse bei vielen Professoren bis heute nicht. Auch unter den Spitzenmanagern finden sich immer noch viele, die den „Diplom-Ingenieur“ als verloren gegangenes Aushängeschild deutscher Wertarbeit verklären.
Mit ihrer Diplom-Nostalgie zeigen die Ministerpräsidenten wenig Fachkenntnis. Doch auch wenn der Wunsch der Sechs dank des Einstimmigkeitsprinzips in der Kultusministerkonferenz in Sachen Akkreditierung folgenlos bleiben dürfte, ist er ein Signal. Zuallererst an die Bologna-Kritiker: Da geht noch was. Die Reform ist in der Politik nicht so fest verankert, wie die meisten Minister glaubhaft machen wollen. Das Signal geht aber auch an die Kultusminister: Wenn ihr jetzt nicht eure Chefs überzeugt, war die Protokollnotiz erst der Auftakt.
Die Hochschulen jedenfalls sollten sich in Acht nehmen. Der Riss, der da ganz offenbar durch die Politik geht, könnte sehr schnell auf dem Campus ankommen. Falls es noch einen Bologna-Fan gab,
der dachte, es sei Zeit sich zurückzulehnen, sollte er jetzt dringend aufwachen.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEIT Chancen Brief.
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Rolf Möller (Freitag, 24 März 2017 21:16)
Ich wäre froh, wenn der Bologna-Himmel auch auf unserem Campus endlich aufreißen würde. Stattdessen gefällt man sich leider in seinem Halbwissen und fühlt sich jetzt vermutlich durch die Volte der Ministerpräsidenten auch noch bestärkt.... sehr weitsichtig ist das natürlich leider alles nicht... Meine Resthoffnung ruht auf den 10 Bundesländern, die den populistischen Quatsch nicht mitmachen, obwohl dort in diesem Jahr sogar teilweise Landtagswahlen sind!
Gerhard Schreier (Sonntag, 26 März 2017 17:01)
Worüber wundern wir uns eigentlich, wenn die staatliche Seite, was die von ihr selbst verantworteten Abschlüsse (Staatsexamina) angeht, lange Zeit und zum Teil bis heute einen großen Bogen um Bologna gemacht hat? Es ist wieder einmal der "deutsche Weg" ...