Berlins SPD-Regierungschef Michael Müller verkündet die neuen Hochschulverträge und ein erstaunliches Plus für die Hochschulen. Derweil sollte sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ehrlich machen in Sachen Wissenschaftsfinanzierung.
EIGENTLICH WAR VORHER schon alles Wesentliche durchgesickert. So ungewohnt waren die Zuwächse für die Berliner Hochschulen, dass es einigen Chefs offenbar schwer fiel, bis zur heutigen Pressekonferenz des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) das von oben verordnete Stillschweigen zu bewahren. In den vergangenen Tagen berichteten schon Tagesspiegel und Berliner Morgenpost ausführlich über Details der neuen Hochschulverträge.
Irgendwie kann man es verstehen. Nach anderthalb Jahrzehnten der Sparrunden für die Berliner Wissenschaft sind die Zahlen, die der in Personalunion als Regierender und Wissenschaftssenator agierende Müller als gefühlt letzter, aber dafür offiziell verkündete, in sich eine kleine Sensation für die Hauptstadt. Das von Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag gemachte Versprechen soll Wirklichkeit werden: Innerhalb von fünf Jahren steigt das Jahresbudget der staatlichen Berliner Hochschulen um 221 Millionen Euro, das entspricht fast einem Fünftel. "Rekord!", schreit die Pressemitteilung der Senatskanzlei, Müller selbst formuliert den Fast-schon-Gänsehautsatz: "Unsere Hochschulen sind das Rückgrat Berlins, die Wissenschaft und Forschung seine Zukunft."
Auch dass die Verhandlungen um die Hochschulverträge, bei denen das seit Herbst bekannte Plus auf die Hochschulen verteilt wurde, ebenfalls in Rekordzeit vonstatten gingen, rühmte Müller. Obgleich sie sich in den Hochschulen mitunter etwas weniger Zeitdruck und mehr Verhandlungsführung auf Augenhöhe gewünscht hätten. Ebenfalls festgelegt wurden in den Verträgen die Gegenleistungen, die die Hochschulen für das Geld bringen sollen. So sollen sie zum Beispiel unter dem Strich deutlich mehr Stellen entfristen.
Vor allem die Fachhochschulen feiern das Plus, aber auch die Universitäten, die mutig geworden von den guten Zahlen zuletzt noch mehr forderten, können, wie der Berliner sagt "kaum meckern". Ein bisschen taten sie es aber doch: über die hohe und aus ihrer Sicht kaum erfüllbare Vorgabe von künftig 2000 Lehramtsabsolventen pro Jahr zum Beispiel.
Mit seiner Kehrtwende in Sachen Hochschulfinanzierung reiht sich Berlin ein in den Club der Bundesländer, die ernst machen mit mehr Grundmitteln für die Hochschulen – wie etwa auch, um nur ein paar Große zu nennen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Womöglich gerade noch rechtzeitig, wenn man die Signale aus der Bundespolitik beachtet. Die bundesweite Debatte um mehr Militärausgaben, die in den vergangenen Wochen an Schärfe gewonnen hat, zeigt: Das von den Ländern lange favorisierte Prinzip, nach Bundesprogrammen zu rufen, die dann mit einem möglichst geringen Anteil von Ländermitteln kombiniert werden, stößt an seine Grenzen. Der Bund wird künftig schlicht und einfach nicht mehr alle Bedürfnisse der Länder bedienen können. Er könnte es im Übrigen, siehe Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und die Verteilung des Steueraufkommens, auch ohne die in der NATO geforderte Aufstockung der Verteidigungsausgaben nicht.
Die Länder geraten dadurch ebenfalls in eine Situation, die sie lange nicht mehr erlebt haben: Sie werden in Sachen Wissenschaftsfinanzen ein Stückweit auf sich selbst zurückgeworfen. Und stärker als in den vergangenen zehn Jahren wird dadurch die Schere aufgehen zwischen den Bundesländern, die wie Berlin eine verlässliche Schippe auf die Hochschulbudgets drauflegen, und anderen, die das nicht können oder (was es leider auch immer noch gibt) politisch nicht wollen.
An dieser Stelle wäre es an der Zeit auch für die Sozialdemokraten im Bund, sich ehrlich zu machen. Kanzlerkandidat Martin Schulz tut demonstrativ so, als gingen ihn die von den NATO-Mitgliedstaaten (allen voran, aber nicht nur von den USA) erhobenen Forderungen, auch Deutschland müsse mehr fürs Militär tun, nichts an. Sigmar Gabriel verkündet sogar, die NATO-Abmachung sei gar nicht bindend. Natürlich: Es geht um einen Wahlkampfschlager, der da in den nächsten Monaten gesungen werden soll nach dem Motto: Die Merkel-Union will raus aus Bildung und Wissenschaft, wir halten die Priorität und die Finanzierung weiter hoch. Das ist allerdings etwas einfach und durchsichtig vor dem Hintergrund, dass man Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) alles Mögliche vorwerfen kann, ganz sicher aber nicht, sich seit 2005 nicht nach ihren Möglichkeiten für eine Erhöhung der Forschungs- und Bildungsausgaben der Bundesregierung eingesetzt zu haben. Auch als begeisterte Militaristin ist sie bislang nicht in Erscheinung getreten.
Ohne Merkels Leistung überhöhen zu wollen: Eine gewiefte Taktikerin wie die Bundeskanzlerin ist viel zu schlau, um ohne Not das BMBF-Budget einfrieren zu wollen. Wissenschaft ist populärer als Militär. Dass sie ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble erlaubt, genau dies zumindest in der Haushaltsplanung zu tun, deutet auf die Zwangssituation hin, die entstanden ist. Einer Zwangssituation, der sich – soviel steht fest – auch ein Bundeskanzler Martin Schulz auf die eine oder andere Weise würde stellen müssen. Es wird in den nächsten vier Jahren nicht darauf ankommen, zusätzliche BMBF-Milliarden zu verteilen; es wird darauf ankommen, den harten Verteilungskampf mit den Sozial- und Verteidigungspolitikern so zu absolvieren, dass es bestenfalls, so ist zu hoffen, keine realen Einbußen gibt. Doch genau an dieser Stelle jedoch bleibt die SPD plausible Antworten schuldig.
Die Berliner Sozialdemokraten und ihre Koalitionspartner von den Grünen und der Linken hingegen geben sie auf ihre Weise. Auch zeigt sich, dass die Personalunion von Bürgermeister und
Wissenschaftssenator von Vorteil für die Wissenschaft sein kann – solange, wie im Falle Müllers, der Regierungschef sich tatsächlich fürs Thema interessiert. Wie sollte jetzt noch der
Finanzsenator dem Wissenschaftssenator Müller die Finanzierung der Hochschulverträge verweigern? Das Konstrukt funktioniert auch deshalb, weil hinter Müller ein so ehrgeiziger wie
gewiefter Staatssekretär, Steffen Krach, wirbelte. Der Schwerpunkt, den sie gemeinsam in den nächsten Jahren auf die Hochschulfinanzierung legen wollen, wird indes nicht dazu führen, dass an den
Unis der Luxus ausbricht. Im Gegenteil: Zunächst wird er die über Jahre angestaute Unterfinanzierung mildern, um dann ein Stückweit abzufedern, falls (oder wenn?) die Bundesmittel ins Stocken
geraten. Hochschulchefs in manch anderem Bundesland werden heute neidisch nach Berlin schauen.
Fotos: Senatskanzlei; Foto-AG Gymnasium Melle: "Martin Schulz", CC BY-SA 3.0 CC
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:59)
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