Wie die Wissenschaftsminister von Freiheit für die Universitäten schwärmen und ihre Beamten sie im selben Augenblick einschränken.
JOACHIM METZNER GEHÖRT zu den erfahrendsten Hochschulrektoren der Republik. 24 Jahre lang hat er die Fachhochschule Köln geleitet, bis 2014 war er außerdem Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz. Wenn einer wie er sich zu Wort meldet, sollte man besser genau hinhören. Jetzt hat Metzner zusammen mit Hans Roosendaal, Ex-Vizepräsident der Universität Twente, ein Positionspapier verfasst, das in der Szene für Diskussionen sorgen dürfte. Die Überschrift klingt trocken: „Der Zusammenhang zwischen Hochschulautonomie und strategischer Hochschulentwicklung“, doch die Thesen, die Metzner und Roosendaal, formulieren, enthalten Sprengstoff.
Der Staat erweise sich gegenüber den Hochschulen als unzuverlässiger Vertragspartner, kritisieren die Autoren. Über so genannte Hochschulverträge versprächen viele Landesregierungen ihren Hochschulen finanzielle Planungssicherheit, tatsächlich jedoch müssten sich die Rektoren auf einen unfairen Tauschhandel einlassen: relative Gestaltungsfreiheit gegen „eine sukzessive Abschmelzung der Mittelzuweisung“. Zumal die Hochschulverträge in sich Mogelpackungen seien, weil sie „unter dem Vorbehalt des Haushalts“ abgeschlossen würden, seitens des Staates also einseitig jederzeit geändert werden könnten – während die Hochschulen zur Vertragstreue verpflichtet sind. Dabei sei der Haushaltsvorbehalt eigentlich unnötig, denn Landesregierungen könnten sehr wohl Verpflichtungsermächtigungen über die aktuelle Haushaltsperiode hinaus beschließen. Sie tun es jedoch nicht – laut Metzner und Roosendaal mit der Folge, dass mehr und mehr Hochschulen zumindest vorübergehend die Unterschrift unter die ihnen vorgelegten Verträge verweigert hätten.
Man muss kein Psychoanalytiker sein, um in dem Papier viele der Kämpfe wiederzuerkennen, die Metzner im Verlauf seiner Amtszeit mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung ausgefochten hat,
vor allem mit der noch amtierenden Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD). Doch die Kritik der beiden an der vermeintlich mangelnden staatlichen Verlässlichkeit auf NRW begrenzt zu sehen,
wäre zu eng gedacht, zumal Roosendaal sich als Professor für Strategisches Management seit vielen Jahren sehr grundsätzlich mit dem Verhältnis von Staat und Hochschulen auseinandergesetzt hat.
Zuletzt hatte etwa den Hochschulen in Baden-Württemberg trotz versprochenem jährlichen Drei-Prozent-Plus eine Sparrunde gedroht, weil die Finanzministerin überraschend auf die Bremse trat. Die
grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer steuerte gegen, indem sie Studiengebühren für internationale Studenten auf den Weg brachte.
Über die Landesgrenzen hinaus angesprochen fühlen sollten sich Wissenschaftsminister auch bei der These, die den Hochschulen demonstrativ zugestandene Autonomie werde im Alltagshandeln durch die Tendenz unterminiert, immer mehr Geld über Programme thematisch gebunden zu vergeben: „Mit der Verlängerung und perspektivischen Verstetigung der Exzellenzinitiative und dem Programm Innovative Hochschule ist in dieser Hinsicht aktuell eine neue Ebene erreicht."
Wobei die Politik zumindest an dieser Stelle die Zeichen der Zeit erkannt zu haben scheint, gerade auch in NRW. So hat Svenja Schulze den Hochschulen im Herbst versprochen, bis 2021 aufwachsend am Ende jährlich rund um 600 Millionen Euro von der Projekt- in die Grundfinanzierung zu verlagern. Größtenteils geht es um Mittel aus dem Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder – bislang zeitlich begrenzt – zusätzliche Studienplätze finanzieren. Die Verlagerung ergibt bei den Dauermitteln ein Plus von rund 16 Prozent, ein Inflationsausgleich für Personal und Mieten kommt noch hinzu.
Auch der ministeriellen Rechtsaufsicht widmen sich die Autoren. Sie werde „repressiv, „präventiv“ und „extensiv“ eingesetzt, um die Hochschulautonomie einzuschränken. Im Klartext: Während die
Wissenschaftsminister in Sonntagsreden die große Freiheit der Hochschulen rühmen, gängeln ihre Beamten sie mit kleinkarierten Abfragen und Vorschriften – und das nicht nur mit dem
Wissen, sondern mit der Billigung ihrer Chefs.
Das größte Übel der staatlichen Steuerung aber sei, so Metzner und Roosendaal, dass ihr ein grundsätzliches Missverständnis zugrunde liege. Damit Ziel- und Leistungsvereinbarungen ihren Sinn erfüllen könnten, müsste der Staat eine echte langfristige Strategie haben, in welche Richtung sich das Hochschulsystem als Ganzes, aber auch die einzelnen Hochschulen entwickeln sollten. Diese existiere jedoch nicht. Schuld daran seien vor allem die komplexen Abstimmungsprozesse zwischen den Landesministerien (siehe nochmal das baden-württembergische Beispiel oben), aber auch partei- und koalitionspolitische Vorgaben, Haushaltsordnungen und Begrenzungen durch Legislaturperioden. „Dazu tritt die Tendenz, dass Ministerien eigene strategische Ziele als Vorgaben, Leitplanken und Rahmen für die von der Hochschule erstellte Strategie verstehen und formulieren.“ Wenn der Staat aber nicht in der Lage sei, „eine echte Strategie zu formulieren, sollte seinen Hochschulen bei dieser Arbeit nicht auf die Füße treten.“
Wobei die Autoren zugestehen, dass auch die Hochschulen höchstens in Ansätzen strategiefähig seien, was vor allem mit ihrer Governance zusammenhänge. Kein ganz neuer Vorwurf: Zuletzt hatte ihn der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Peter Strohschneider, erhoben. "Universitäten haben ein relativ schwaches konzeptionelles Selbstbewusstsein", befand er in einem viel beachteten ZEIT-Interview. Als Beispiel führte Strohschneider an, dass es bei Informationsveranstaltungen zur Exzellenzstrategie auch um die Frage gegangen sei, "mit welchen Schriftgrößen und Zeilenabständen die Anträge geschrieben werden sollen". Der DFG-Präsident warnte, Fragen zur Entwicklung von Forschung und Lehre und der Profilierung von Universitäten sollten "nicht verdrängt werden durch Technikalien".
Metzner und Roosendaal nennen ein weiteres leidiges und viel zitiertes Beispiel für das hochschulische Strategieproblem: die immer noch große Austauschbarkeit so genannter Leitbilder, die
Hochschulen formulieren, um ihre Ziele und ihre Besonderheiten zu definieren. Die vorhandenen Leitbilder wiederholten im Wesentlichen nur die in den Gesetzen vorgeschriebenen Aufgaben mit
anderen Worten und seien insofern „rein politisch korrekte Dokumente“ mit kaum vorhandenem strategischen Wert.
Ein Disclaimer gegen Ende: So stark die Analyse der beiden ist, man sollte sie dennoch mit ein wenig Vorsicht genießen. Denn dass mit Roosendaal der Geschäftsführer einer Beratungsfirma, die sich auf die Strategieberatung von Hochschulen spezialisiert hat, die mangelhafte Durchsetzung der Hochschullandschaft mit Strategie beklagt, ist dann doch weder uneigennützig noch überraschend.
Und dennoch: Selten sind die Selbsttäuschung der Wissenschaftspolitik, aber auch die Mutlosigkeit der Hochschulen so klar beschrieben worden wie in dem Positionspapier von Joachim Metzner
und Hans Roosendaal. Das Problem allerdings ist, dass auch die beiden nicht so richtig wissen, welche Schlussfolgerungen sie aus der Misere ziehen sollen. Ihre Kernforderung, der Staat solle sich
zurückziehen, damit die Hochschulen in Deutschland „unabhängig von Auftrag und Größe, ihre vollständige Strategiefähigkeit entfalten“ könnten, haben sie zuvor mit der Beschreibung der
Selbstblockade an vielen Hochschulen selbst entwertet. Tatsächlich ist es so, dass viele Hochschulrektoren immer noch, wenn es eng wird, aufs ein ministerielles Machtwort setzen, um
hochschulinterne Konflikte zu lösen. Dass sie sich hinter der Autorität des Ministeriums verstecken, wenn es darum geht, unangenehme Veränderungen durchzusetzen.
Wer deshalb allerdings glaubt, die Antwort seien „mehr Vorgaben“ und „mehr Staat“ in der Hochschulsteuerung, hat weder die Analyse der beiden Autoren noch die Verschränktheit der gegenseitigen
Beschränktheiten richtig verstanden. So bleiben zwei Konsequenzen allemal richtig. Erstens: Ohne auskömmliche Grundfinanzierung – oder die Erschließung zusätzlicher Finanzquellen wie etwa
Studiengebühren – gibt es keine strategiefähigen Hochschulen. Zweitens: Echte Hochschulverträge, also auf Augenhöhe, bei gegenseitiger Verlässlichkeit, gibt es nur, wenn die
Landesregierungen sich trauen, Schluss zu machen mit der Mogelpackung namens "Haushaltsvorbehalt".
Das so genannte "White Paper" kann hier heruntergeladen werden.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 06:59)
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