Beim Auftritt in einer Schule jonglierte SPD-Kanzlerkandidat Schulz mit den Milliarden. Im Interview erklärt er, welche Summe er wie gemeint hat, er redet über Kitas, Ganztag und G9. Und er sagt, warum er nicht wegen vermeintlicher NATO-Verpflichtungen weniger in Bildung investieren wird.
ES IST NUR ein Augenblick, doch Martin Schulz lässt sich hinreißen. Am Donnerstag vorgegangener Woche besucht er eine Schule in Berlin-Neukölln, um seine Bildungspolitik zu erklären. Da fordert ihn ein Lehrer heraus: Der Kanzlerkandidat solle mal konkret sagen, was für ihn ein ausreichend finanziertes Bildungssystem sei, und Schulz antwortet: Skandinavisches Niveau, das müsse das Ziel sein.
Das Problem: Skandinavisches Niveau heißt geschätzte 75 Milliarden Euro zusätzliche
Bildungsausgaben – pro Jahr. Wie soll das gehen? Im Interview für meinen Blog nimmt Schulz zwar den gewagten Betrag nicht mehr in den Mund, aber er sagt: "Wir müssen uns hohe Ziele setzen."
So viel, wie Schulz seit Monaten von Bildung redet, hat er eines immerhin erreicht: Plötzlich kündigt auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel in ihrem Video-Podcast am Wochenende "mehr Bundesengagement in der Bildung" an – inklusive einer neuen Initiative für Ganztagsschulen.
Ich will, dass das deutsche Bildungssystem das stärkste weltweit wird. Ihre Zahl illustriert doch, vor welcher enormen Aufgabe wir stehen. Wenn wir unsere Defizite - wie sozial ungerechte Bildungschancen, zu starke Orientierung an einer schnellen Verwertung von Bildung und nicht zuletzt die im internationalen Vergleich oft nur mittelmäßigen Leistungen - überwinden wollen, dann müssen wir zwei Dinge tun: viel Geld in die Hand nehmen und als Bund mit den Ländern und Kommunen an einem Strang ziehen. Deshalb habe ich eine nationale Bildungsallianz vorgeschlagen. Dafür muss aber das Kooperationsverbot im Grundgesetz endlich vollständig fallen.
Über das Kooperationsverbot sprechen wir gleich noch. Nochmal konkret nachgefragt: 75 Milliarden zusätzlich pro Jahr, wo wollen Sie die bitte hernehmen?
Ich habe ja bei der Diskussion in einer Berliner Schule neulich darauf hingewiesen, dass wir 30 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr bräuchten, um auch nur auf den OECD-Durchschnitt zu kommen. Wir müssen uns also hohe Ziele setzen. Und wir werden das natürlich nicht von jetzt auf gleich schaffen. Aber der Bund muss endlich massiv in Bildung investieren. Wann wieviel zu schaffen ist und über die Aufteilung der Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird sicher noch zu reden sein. Wir alle machen uns aber doch lächerlich, wenn wir die Bildung zum höchsten Gut erklären und dann in Zeiten einer florierenden Wirtschaft nicht bereit sind, da auch entsprechend zu investieren. Natürlich werden Länder und Kommunen ebenfalls einen angemessenen Beitrag einbringen müssen, denn sie sind und bleiben zuständig für Bildung. Daran will ich nichts ändern. Aber der Bund muss endlich auch helfen dürfen, wo es sinnvoll ist.
Sie sagen, Sie wollen die Haushaltsschüsse für Bildung einsetzen. Doch das Geld, sagen Verteidigungsexperten, werden Sie dringend brauchen, um Deutschlands NATO-Verpflichtungen zu erfüllen. Oder sind Sie der Meinung sind, dass Deutschland nicht verpflichtet ist, die Militärausgaben in den nächsten drei, vier Jahren substanziell zu erhöhen? Dann sagen Sie das bitte konkret.
Deutschland ist ein verlässlicher und starker Partner in der NATO, der seinen Beitrag in Europa und in der Welt leistet. Um den NATO-Beschluss ranken sich viele Mythen. Ich bin jedenfalls nicht bereit, jedes Jahr 20 bis 30 Milliarden mehr für das Militär ausgeben. Wir brauchen jetzt keine Aufrüstungslogik, sondern Abrüstungsinitiativen. Ich will Investitionen in unsere Zukunft, und das heißt vor allem auch in Bildung.
Sie wollen zum Beispiel kostenfreie Kitas. Mal abgesehen von den föderalen und kommunalen Zuständigkeiten, die Sie selbst ansprachen: Die Milliarden, die Sie in die Kostenfreiheit investieren wollen, werden für den qualitativen Ausbau der Kitas dringender gebraucht, da sind sich die meisten Bildungsforscher einig. Vom Ausbau würden besonders bildungsferne Kinder profitieren, von der Kostenfreiheit dagegen der Mittelstand. Wie lösen Sie diesen Widerspruch auf?
Beides ist wichtig. Wir dürfen nicht Qualität und Kostenfreiheit gegeneinander ausspielen. Natürlich müssen wir die Qualität an Kitas voranbringen, daran arbeitet Manuela Schwesig auf Bundesebene sehr intensiv. Und auch in den Ländern wird viel getan. Aber wir stehen zur Gebührenfreiheit in der Bildung. Wenn Kitas einen Bildungsauftrag haben - und das ist unstrittig - dann dürfen wir sie nicht mit einem Preisschild versehen. Bildung ist für uns Sozialdemokraten ein öffentliches Gut. Natürlich entlastet die Gebührenfreiheit vor allem die Familien mit geringem und mittlerem Einkommen. Niemand käme doch auf die Idee, beim Schulbesuch etwa Gebühren von Familien mit höherem Einkommen zu verlangen oder Elternbeiträge zuzulassen. Falsche Widersprüche helfen hier nicht, denn wir müssen beides leisten, wenn wir an die Spitze wollen – mehr Plätze und mehr Qualität an den Kitas, aber eben auch an den Schulen.
Dann verraten Sie uns bitte Ihren Plan, wie genau sie beides gleichzeitig hinbekommen wollen. >>
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>> Beides kann nur gelingen, wenn Bund, Länder und Kommunen gemeinsam handeln. Der Bund kann und soll insbesondere bei den großen Investitionen helfen. Die Gebührenfreiheit der Meister-Kurse und vor allem der Kitas, die wir schrittweise umsetzen werden, kostet nach seriösen Schätzungen bis 2021 etwa vier Milliarden Euro, in vermutlich ähnlicher Höhe müssen wir in Grundschulen investieren, um die eine Million neuer Ganztagsplätze zu schaffen. Das schafft Raum und Zeit für mehr Qualität. Gleiches gilt für mehr schulische Sozialarbeiter, auch hier will ich, dass der Bund sich engagiert. In einer Bildungsallianz werden aber natürlich Länder und Kommunen sich stärker beim Fachpersonal und der Aus- und Weiterbildung einbringen.
Also sind schon mal acht Milliarden Euro pro Jahr weg, bevor Sie überhaupt an den qualitativen Ausbau gehen können. Sie fordern übrigens auch die Rückkehr zu G9, obwohl wiederum sämtliche Bildungsforscher davor warnen. Warum?
Ich habe nicht einfach die Rückkehr zu G9 gefordert. Ich habe betont, dass Bildung auch Zeit braucht. Viel zu lange haben wir so getan, als sei es ein Wert an sich, die Zeit für Bildung zu verkürzen. Mein Ansatz ist ein anderer: Ich will, dass wir in der Bildungspolitik stärker die Perspektive von Schülern, Eltern und Lehrern einnehmen. Und das heißt für mich auch: Schüler, Eltern und Lehrer brauchen auch ein bisschen Ruhe. Es macht keinen Sinn, alle paar Jahre unsere Schulen auf den Kopf zu stellen.
Womit Sie nicht auf meine Frage geantwortet haben, wie Sie die Rückkehr zu G9 und Ruhe an der Schule zusammenbringen wollen. Gleichzeitig wettern Sie gegen den „Föderalismus in seiner radikalen Form“ und wollen das Kooperationsverbot in einem ersten Schritt aufweichen. Gleichzeitig feiert die SPD-Fraktion auf ihrer Website, das Kooperationsverbot sei bereits durchbrochen worden. Was denn nun?
Wenn das Gesetzespaket mit dem Grundgesetz-Artikel 104c so beschlossen wird, ist das Kooperationsverbot aufgebrochen. Und es war die SPD, die das erreicht hat. Der abermalige Aufschrei bei Herrn Lammert dürfte Beleg genug sein, wie tief das sitzt. Aber als Bund müssen wir darauf achten, dass, egal wo man wohnt, vergleichbare Lebensverhältnisse bestehen, und das heißt mehr denn je auch gleiche Bildungschancen. Deshalb können wir uns nicht damit zufriedengeben, dass der Bund nur dann in Kitas, Schulen, Horte und Berufsschulen investieren darf, wenn die Kommunen finanzschwach sind. Denn so steht es heute im Gesetz zum 104c GG. Wenn wir unsere Bildung an die Spitze bringen und eine nationale Bildungsallianz schmieden wollen, dann muss auch der Rest des Kooperationsverbotes fallen.
Was bedeutet für Sie ein funktionierender Föderalismus in der Schul- und Hochschulpolitik? Wofür sollten die Länder zuständig sein, wofür der Bund?
Mir geht es nicht um die formalen Zuständigkeiten. Mir geht es um die konkreten Zustände vor Ort. Eltern, die in ihrer Freizeit die Klassenräume ihrer Kinder sanieren sollen, interessieren sich eher weniger für die Feinheiten der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Lehrerinnen und Lehrer wollen, dass sie vernünftige Unterrichtsmaterialien haben. Denen geht es nicht um den Föderalismus. Wenn wir zur Spitze in der Bildung gehören wollen, und das ist mein Ziel, dann brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. Und hier muss und kann der Bund eben nur dann seinen Beitrag über Investitionen – und um nichts Anderes geht es – sinnvoll leisten, wenn das Grundgesetz das erlaubt. Es geht also um mehr Zusammenarbeit, mehr Koordination und mehr gemeinsames Handeln – aber nicht um ein Bundesschulministerium. An unseren Hochschulen kann man sehen, wie erfolgreich der Bund helfen kann, wenn Bund und Länder zusammenarbeiten. Ohne die milliardenschweren Bundesinitiativen wie die Exzellenzstrategie und den Hochschulpakt wäre der neue Aufbruch an den Hochschulen gar nicht denkbar.
Noch eine grundsätzliche Feststellung am Ende. Sie wehren sich gegen den Vorwurf, bisher nicht konkret genug in ihren inhaltlichen Positionen geworden zu sein. Gleichzeitig bleiben Sie mit Ihren Antworten an vielen Stellen weiter im Ungefähren.
Wir sind sehr viel konkreter als unsere Mitbewerber. Für die schulische Bildung habe ich in Berlin umrissen, wie ich mir Deutschlands Weg an die Spitze vorstelle. Für den Beitrag des Bundes, und das ist meine Aufgabe als Kanzlerkandidat in einer Bundestagswahl, habe ich konkrete Vorstellungen genannt: 10 bis 12 Milliarden Euro pro Jahr bis 2021, um erstens damit eine Million Ganztagsplätze an Grundschulen zu schaffen, weil hier die Basis für den Bildungserfolg gelegt wird, um zweitens ein Schulmodernisierungsprogramm aufzulegen, um nach der Sanierung einen Schritt weiter zu kommen, um drittens schulische Sozialarbeit zu finanzieren, überall wo sie gebraucht wird, und um viertens die Meister-Kursgebühren und fünftens schrittweise die Kita-Gebühren abzuschaffen. Und ich habe zusätzlich eine eigenständige Initiative angekündigt, in der unsere Berufsschulen im Mittelpunkt stehen. Sie müssen endlich aus dem Schatten der allgemeinen Schulpolitik raus. Sie müssen das Personal und die Ausstattung bekommen, die sie für ihre Schlüsselrolle auch in der Integration und für die neue digitale Arbeitswelt brauchen.
IN EIGENER SACHE:
IN DEN VERGANGENEN TAGEN GAB ES TECHNISCHE PROBLEME MIT DER KOMMENTARFUNKTION. DIESE SIND JETZT BEHOBEN. ALSO: KOMMENTIEREN SIE BITTE WIEDER FLEISSIG, ICH FREUE MICH AUF IHRE MEINUNG. AUSSERDEM
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:11)
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