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Diverse Exzellenz

Diversity Management ist eine Frage des Anstandes, schon richtig. Das Problem: Die meisten Hochschulrektoren haben bislang nicht kapiert, dass sie viel mehr ist als das.

Jens Hoffmann: "Diversity", CC BY-NC-ND 2.0

DA REDEN SEIT mindestens zehn Jahren alle über Diversität und wie wichtig sie ist für die Zukunft der Wissenschaft, und was sagen Hochschulrektoren? Nur knapp jede/r dritte ist der Meinung, dass Diversität für die Qualität der Forschung von besonderer Bedeutung ist. So berichtet es das Hochschul-Barometer, eine jährliche Umfrage des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

 

Moment, werden jetzt viele Hochschulchefs protestieren, stimmt doch gar nicht! Wir finden Vielfalt wichtig, und tatsächlich geben 83 Prozent der befragten Hochschulleitungen im Hochschul-Barometer an, dass Diversität in Lehre und Studium „große Beachtung“ finde. Ja, aber eben nur da. Und das ist das Problem. Denn so, wie in den vergangenen zehn Jahren der Begriff „Diversität“ Karriere gemacht hat, wurde ein zweites Wort an die Spitze hochschulpolitischer Debatten katapultiert: „Exzellenz“. Und gemeint ist damit eigentlich immer Exzellenz in der Forschung.

 

„Diversität“ in der Lehre, „Exzellenz“ in der Forschung. Die Wahrheit ist, dass viele Rektoren eines noch immer nicht verstanden haben: Exzellenz ohne Diversität, das geht gar nicht. Solange die Mehrheit der Lehrstühle in Deutschland (und anderswo) von weißen Männern über 45 besetzt ist, die noch dazu einen deutschen Pass haben, werden nicht die besten ausgewählt, denn das wäre schon im Sinne der Gaußschen Normalverteilung unmöglich. Zum Zuge kommen die Naheliegendsten. Wenn man so möchte, ist aber genau das der Kern von Diversität: Nehmt nicht die, die immer da waren, sondern die mit dem größten Potenzial. >>   



>> Dass das mit der Diversität in der Lehre besser klappt, ist erfreulich - und zeigt zugleich, dass viele Rektoren Diversität eben nicht als einen Weg zu Exzellenz begreifen. Sondern als einen Beitrag zur Sozialpolitik, etwas, das man der Gesellschaft schuldig ist. Tut man halt. In der Lehre belohnt die Politik die Ausweitung der Studierendenzahlen, Stichwort Hochschulpakt, ja auch kräftig. Aber, denken viele Profs und ihre Chefs (ihre mehrheitliche Demographie siehe oben): Wenigstens in der Forschung können wir noch nach Exzellenz gehen. Und das heißt für sie: ihresgleichen berufen. 

 

Wir können lange über Geld reden, das deutschen Hochschulen fehlt, um zur Weltspitze aufzuschließen. Auch zu Recht. Ganz sicher aber werden sie den Sprung nach vorn nicht schaffen, bis nicht auch der letzte Rektor begriffen hat: Diversität ist eine Frage des Anstandes. Vor allem aber ist Diversität der beste Garant gegen Mittelmäßigkeit.

 

Die nächste Gelegenheit, es besser zu machen, steht an: das Tenure-Track-Programm. Klar kann man den Wettbewerb nutzen, um ein flammendes Plädoyer für Personalentwicklung einzureichen und in Wirklichkeit ein paar vorgezogene Berufungen durchzudrücken. Oder man beginnt sie, die Suche nach den nicht Naheliegenden. Sie mag anstrengender sein zunächst. Aber noch anstrengender ist auf Dauer das Fehlen ungeahnter Perspektiven.  

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst im ZEITChancen Brief. 


NACHTRAG AM 27. JUNI:

 

Ich habe einige Zuschriften zu meinem oben stehenden Kommentar erhalten. Tenor: "Bei uns an der Hochschule läuft das anders!", oder: "Schauen Sie mal hier, unsere Diversity-Strategie." Es ist großartig, dass es an dem Drittel Hochschulen, deren Rektoren das Thema "Diversität" für wichtig halten, so viele Beispiele gelebter Vielfalt gibt.

 

Was mich allerdings sorgt, sind E-Mails von Hochschulleitungen, die auf das Thema "Diversität" mit ihren Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern antworten. Oder umgekehrt Leser, die mir widersprechen und der Meinung sind, es sei langsam mal genug mit der "Frauenförderung". Dass nicht jede Idee für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Sachen Wissenschaft automatisch eine gute sein muss: geschenkt. Dass gelegentlich auch junge Männer bezahlen müssen für die Jahrzehnte lange Untätigkeit ihrer älteren Geschlechtsgenossen, weil jetzt eben bei vielen Neuberufungen im Falle gleicher Eignung die Frauen vorgezogen werden: Mag sein.

 

Das eigentliche Problem ist indes, dass der Begriff "Diversität" in all diesen Äußerungen weiter missverstanden wird. Diversität heißt eben nicht nur oder vor allem die Gleichstellung von Frauen und Männern. Das ist EIN Aspekt. Diversität heißt Offenheit für alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer persönlichen Geschichte (bitte verlängern Sie die Liste mit jedem Aspekt, der Ihnen persönlich wichtig ist). Das zumindest ist das Verständnis von Diversität, das ich mir an weit mehr unserer Hochschulen wünsche.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ned Flanders (Dienstag, 27 Juni 2017 16:13)

    Nehmen sie Doch einmal einen wie auch immer gearteten Diversitätskoeffizienten aus der Gruppe der qualifizierten Bewerbenden und subtrahieren sie davon den Diversitätskoeffizienten der Eingestellten. Sollte dabei rauskommen, dass es eklatante Unterschiede gibt, liegt etwas im Argen. Da die Diversifizität der qualifizierten sich Bewerbenden aber grob dem der Angestellten entspricht können Sie das ganze nur durch das Einführen von Quoten zum Leidwesen der Qualität verschieben. Empfinden sie das als Fortschritt?