38,5 Milliarden Euro investieren Bund und Länder in zusätzliche Studienplätze. Bis 2023. Und dann? Ein Gastbeitrag von Joybrato Mukherjee.
Foto: Judy Dean: "Lecture theatre seating", CC BY 2.0
IM JAHR 2005 begannen etwa 360.000 junge Menschen ihr Studium an einer deutschen Hochschule. Schon damals – im Vorfeld der bundesweiten Umsetzung der Bologna-Reform – war es ein Kraftakt für die Hochschulen, die Qualität der Lehre sicherzustellen. Auch vor diesem Hintergrund führten sieben Bundesländern allgemeine Studiengebühren ein als zusätzliche Finanzmittel für die Verbesserung der Lehr- und Studienbedingungen. Zwischenzeitlich sind die Gebühren wieder abgeschafft und wurden vielerorts durch Mittel aus den Länderhaushalten ersetzt. Vor allem aber vereinbarten Bund und Länder im Jahre 2007 einen „Hochschulpakt 2020“ (HSP2020), um Studienplätze für die zusätzlichen Studierenden aus den doppelten Abiturjahrgängen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu finanzieren. HSP2020 ist allerdings ein befristetes Programm, das in drei Schritten bis 2023 auslaufen wird.
Zehn Jahre nach Beginn des Hochschulpakts bewegen wir uns – nach einem Spitzenwert 2011 mit 519.000 Erstsemestern an deutschen Hochschulen – weiter auf einem Niveau, das mit mehr als 500.000 Studienanfängerinnen und -anfängern pro Jahr um rund 40 Prozent über dem Referenzjahr 2005 liegt. Auch nach den aktuellsten Prognosen der Kultusministerkonferenz bleibt die Zahl langfristig auf einem vergleichbaren Niveau, und zwar in einem Korridor von 465.000 bis 500.000 Erstsemestern jährlich. Auch wenn Prognosen immer eine Unsicherheit enthalten, eines ist klar: Wegen der immer höheren (und politisch gewollten) Übergangsquoten von Schule zu Hochschule, der zuletzt positiven demographischen Entwicklung (unter anderem wegen der Zuwanderung aus der Europäischen Union und der Integration von Menschen mit Fluchthintergrund aus außereuropäischen Ländern) und der deutlich gestiegenen Attraktivität deutscher Hochschulen auf dem internationalen Bildungsmarkt werden wir nicht mehr zu den Erstsemesterzahlen von 2005 zurückkehren können und wollen.
Bund und Länder müssen sich daher dringend darüber verständigen, wie die Finanzierung der langfristig notwendigen zusätzlichen Studienplätze über das Jahr 2020 hinaus gesichert werden kann. Wichtig dabei: Wegen der rasant gestiegenen Studierendenzahlen konnte selbst das HSP2020-Programm mit seinem Gesamtvolumen von 38,5 Milliarden Euro einen beträchtlichen „Preisverfall“ nicht verhindern. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2008 noch 8.650 Euro pro Studierenden ausgegeben, im Jahr 2013 war die Summe bereits auf 8.080 Euro gesunken. Enormer Aufwuchs mit eingebautem Preisverfall, dennoch Erhalt und Steigerung der Qualität von Studium und Lehre – und das alles in einem immer härter werdenden Wettbewerb: Den Hochschulen ist in den vergangenen zehn Jahren offenbar die Quadratur des Kreises gelungen. Ohne eine auskömmliche Anschlussregelung für das auslaufende HSP2020-Programm aber wird dies nicht mehr leistbar sein.
Schon jetzt herrscht an den Hochschulen große Unsicherheit darüber, wie die hohe Qualität von Studium und Lehre für alle Studierenden nach 2020 sichergestellt werden soll. Die Hochschulen stoßen an Grenzen bei der Einstellung und Weiterbeschäftigung des notwendigen zusätzlichen Lehrpersonals, weil die einschlägigen Befristungsregeln (die gerade durch die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes verschärft wurden) zu beachten sind. Bereits heute stellt sich an vielen Hochschulen die Frage, wie sie in ihrer Finanzplanung mit dem nach 2020 drohenden Budgetloch umgehen sollen. Der HSP2020 ist zu einem unverzichtbaren Teil der Basisfinanzierung für die Lehre geworden. An Hessens Universitäten etwa macht der Hochschulpakt inzwischen einen Anteil von zehn bis zwölf Prozent der Grundfinanzierung aus, an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind es bis zu 30 Prozent! Wer glaubt, dass solche Budgetdimensionen wegfallen können, ohne die Leistungserwartung an die Hochschulen (sprich: die Studienplatzzahlen) drastisch zu reduzieren, der hat keinen hinreichend realistischen Einblick in die Handlungsmöglichkeiten deutscher Hochschulen.
Einige Landesregierungen haben ihren Hochschulen erfreulicherweise signalisiert, dass sie den Landesanteil im HSP2020-Programm über das Jahr 2020 hinaus als zusätzliche Grundfinanzierung ausweisen wollen. Das allein löst aber das bundesweite Finanzierungsproblem bei weitem nicht. Ebenso ist zu begrüßen, dass es auf der Bundesebene und in den Wissenschaftsorganisationen verschiedene Überlegungen zur Qualitätssicherung und -steigerung in Studium und Lehre gibt. Doch auch hier gilt: Konzepte, die das Problem des wegfallenden Finanzvolumens für die grundständige Lehre nicht oder nicht hinreichend adressieren – wie die Idee einer „Deutschen Lehrgemeinschaft“ oder einer Akademie, mit der zeitlich befristet innovative Lehrprojekte gefördert werden sollen – sind nicht geeignet, die Frage nach dem Nachfolgeformat für HSP2020 zu beantworten.
Was ist zu tun? Auch wenn der Hochschulpakt als ein zeitlich befristetes Bund-Länder-Programm konzipiert wurde, auch wenn die Länder grundsätzlich für die auskömmliche Grundfinanzierung ihrer Landeshochschulen selbst verantwortlich sind, auch wenn auf Bundesebene nach wie vor Unzufriedenheit über den Umgang mancher Länder mit den frei gewordenen BaföG-Mitteln herrscht, weil diese eben nicht überall vollständig in die Hochschulen flossen, so steht doch eines außer Frage: Ohne ein angemessenes, dauerhaft von Bund und Ländern finanziertes Anschlussformat für HSP2020 ist die Leistungsfähigkeit der deutschen Hochschulen nachhaltig gefährdet. Keiner kann daran ein Interesse haben nach all den Investitionen, die Bund und Länder in den vergangenen 15 Jahren getätigt haben, nach einer Phase des quantitativen und qualitativen Wachstums, das die deutschen Hochschulen trotz der Herausforderungen hervorragend gemeistert haben, nach einer Phase mit einer beeindruckenden Leistungssteigerung auch im internationalen Vergleich.
Nach der Bundestagswahl müssen die deutschen Hochschulen Klarheit darüber bekommen, wie es mit und nach HSP2020 weitergeht. Ein auf Dauer angelegtes, ausreichend finanziertes Bund-Länder-Programm, etwa unter Nutzung des neuen Grundgesetz-Artikels 91b, wäre eine angemessene und sinnvolle Antwort. Natürlich muss dabei sichergestellt werden, dass der Bund nicht einfach zusätzliches Geld ohne eigene Kontrollmöglichkeit an die Landeshochschulen gibt. Doch gerade bei einem Nachfolgeformat für HSP2020 könnte der Bund seine Mittelzuweisung wie bisher an die langfristige Erfüllung von gut überprüfbaren Kennziffern knüpfen (beispielsweise die Zahl der Studienplätze oder der Absolventen). So könnte ein neuerliches „BaföG-Trauma“ verhindert werden.
Joybrato Mukherjee ist Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen und Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).
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