Es blieb spannend bis zum Ende. Wer hat sich durchgesetzt im Ringen um das neue Urheberrecht? Wie praktikabel ist die beschlossene Wissenschaftsschranke? Und: Welche langfristigen Folgen hat die Neuregelung? Eine Analyse.
DIE GROSSE KOALITION sei vor der Verlagslobby eingeknickt, zum Schaden der Wissenschaft, befanden die Grünen – und verweigerten dem neuen Urheberrecht am Freitag ihr Zustimmung.
Die Große Koalition schädige Autoren und Verlage und begünstige einseitig die Wissenschaft, schimpfte zeitgleich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels – und kündigte rechtliche Schritte an.
Das neue Gesetz sei gar keine Bildungs- und Wissenschaftsschranke mehr, „viel zu eng!“ verkündeten die Grünen. Das neue Gesetz sei völlig entgrenzt und verfassungswidrig, „rücksichtslos!“, verkündeten die Verlage.
Fest steht: Im Medienrummel um die kontroverse Abstimmung zur Ehe für alle ging vor dem Wochenende fast unter, dass SPD und Union nur Minuten später in dann doch erstaunlicher Eintracht das „Urheber-Wissensgesellschafts-Gesetz“ beschlossen haben. Und das, nachdem es noch bis Anfang vergangener Woche so ausgesehen hatte, als könnte die Reform komplett scheitern.
Das neue Urheberrecht kommt also, doch wer hat nun Recht? Die Grünen, denen zufolge sich die Rechtspolitiker der Union durchgesetzt und das Gesetz bis zur Unkenntlichkeit verwässert haben? Oder die Verleger, die die SPD als Sieger sehen? Deren Haltung sei bemerkenswert, sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. „Sonntags erzählen einem Sozialdemokraten, wie sehr ihnen Autoren und Verlage am Herzen liegen, wochentags entziehen sie ihnen die Existenzgrundlage.“ >>
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>> Was sich gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Justizministerium von Heiko Maas (SPD) grundsätzlich geändert hat: Erstens: Statt 25 Prozent dürfen künftig nur bis zu 15 Prozent eines Buches mit pauschaler Abgeltung für Unterrichts- und Forschungszwecke genutzt, kopiert und verteilt werden. Können wir mit leben, sagen sie in den Hochschulen.
Zweitens: Abbildungen und Artikel aus Zeitungen und Publikumsmedien sollten eigentlich in vollem Umfang für Unterricht und Lehre vervielfältigt werden dürfen, genauso wie einzelnen Beiträge aus Fach- und wissenschaftlichen Zeitschriften. Doch angesichts der „besonderen Situation der Tages- und Publikumspresse“ einigte sich die Koalition auf der Zielgeraden, Presseartikel auszunehmen. Nicht ideal, aber aushaltbar, so der Tenor aus der Wissenschaft.
Alles in allem klang die Bewertung des neuen Gesetzes durch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen am Freitag dann so: „Die für die Nutzung auch digitalisierter Texte in Forschung und Lehre jetzt vorgesehenen Schrankenregelungen sind zeitgemäß ausgestaltet, in der Praxis umsetzbar und führen zu spürbaren Vereinfachungen.“
Im Kern steht die Bildungs- und Wissenschaftsschranke also durchaus. Die Frage ist allerdings: Wie lange hält sie? Hier offenbart sich die entscheidende Veränderung des beschlossenen Gesetzes gegenüber der ursprünglichen Version. Die zentralen Neuregelungen sind auf Druck der Union befristet worden, nach fünf Jahren muss neu verhandelt werden.
Damit werde die Rechtsunsicherheit zementiert, kritisierten die Grünen am Freitag. Über ein „falsches Signal“ klagten die Wissenschaftsorganisationen in ihrer Stellungnahme. Beide Einschätzungen könnten das Problem sogar noch verharmlosen. Die Befristung, prophezeien Experten, werde die Verhandlungsposition der Verlage mittelfristig drastisch stärken, weil 2023 wieder alles zur Disposition stehe und der Börsenverein & Co bis dahin fünf Jahre Zeit hätten, die Parlamentarier zu bearbeiten.
Dass die Neuentscheidung nach fünf Jahren abhängen soll von einer Evaluation im Jahr zuvor, hilft nicht wirklich. Denn die Evaluation soll zwar die Auswirkungen der Wissenschaftsschranke auf Bildung, Wissenschaft und Verlage überprüfen, doch nach welchen Kriterien genau, bleibt völlig unklar. Im neuen Gesetz steht dazu lediglich: „Die Bundesregierung erstattet vier Jahre nach Inkrafttreten des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes dem Deutschen Bundestag Bericht über die Auswirkungen...“
Der auf Druck der Union schnell noch ausgehandelte und ebenfalls im Bundestag beschlossene Entschließungsantrag, der mit vielen Worten die Verlage beschwichtigt, wird dagegen von allen Seiten nur als Symbolhandlung gesehen und fand folgerichtig schon in den Stellungnahmen vom Freitag kaum noch Erwähnung. Die wirklichen Gemeinheiten habe man aus dem Antrag herausverhandelt, was bleibe, sei nur noch „weiße Salbe“ für die Union, hieß es dazu aus der SPD.
In der Gesamtbetrachtung haben sich also, typisch für einen klassischen Kompromiss, beide Seiten irgendwie durchgesetzt: die SPD bei den Regelungen für die nächsten fünf Jahre, die Union mit dem Einfügen einer Befristung. Wobei der Erfolg der Anti-Schranken-Kämpfer in der CDU/CSU am Ende nachhaltiger sein könnte, denn sie haben das Überleben der Reform abhängig gemacht von den 2023 herrschenden parlamentarischen Machtverhältnissen und, schlimmer noch, von den tagesaktuellen wissenschaftspolitischen Stimmungslagen.
Was daraus für die Wissenschaft folgt? Sie muss in den nächsten vier Jahren zeigen, dass das Gesetz nicht nur zu ihrem Nutzen, sondern auch tatsächlich nicht zum Schaden der Verlage ist. Triumphgefühle sind daher nicht nur unangebracht, sie wären zudem höchst kontraproduktiv, muss es doch bis 2023 darum gehen, die Verlage vom neuen Urheberrecht zu überzeugen.
Die nächste Gelegenheit dafür ist längst da. Seit Monaten verhandeln Hochschulrektorenkonferenz, die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort und die Kultusministerkonferenz um die künftige Nutzung digitaler Semesterapparate an den Hochschulen. Lange hatte die VG Wort als Vertreter der Autoren (und Verlage) Oberwasser, konnte sie doch auf die Rechtslage verweisen, und die besagte laut Urteil des Bundesgerichtshofs: Jeder genutzte Beitrag muss künftig einzeln abgerechnet werden. Ein bürokratischer Albtraum für die Hochschulen. Eine im Dezember 2016 auf den letzten Drücker gefundene Notlösung läuft zum 1. Oktober aus. Bis dahin, so haben sich die Verhandlungspartner versprochen, will man eine einvernehmliche Lösung finden.
Als sich im April abzuzeichnen begann, dass ein neues Urheberrecht noch in dieser Legislaturperiode kommt, dachten einige in den Hochschulen noch, sich jetzt zurücklehnen zu können. Einen Feldversuch für ein neues Abrechnungssystem sagten sie ab. Doch die Rektoren waren gleich doppelt im Irrtum: Zum einen, weil das Gesetz erst drei Monate nach Auslaufen der gegenwärtigen Übergangsregelung gilt. Und zum anderen, weil sich das Verhandlungsergebnis eben ein erster Hinweis für die Verlage sein wird, dass die Hochschulen fair mit ihnen umgehen. Alles andere würde sich, siehe oben, spätestens in fünf Jahren rächen.
Und was ist, zum Schluss gefragt, mit der Drohung des Börsenvereins, gegen die vermeintliche Verfassungswidrigkeit des neuen Urheberrechts vor Gericht zu ziehen? Die darf man getrost unter Theaterdonner legen, denn schon die Formulierung des Verbands ist beim genaueren Hinsehen verräterisch: Man wolle „alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen“. Entschlossenheit klingt dann doch anders.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:22)
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