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Wirkung auf den zweiten Blick

Die Zahl der BAföG-Empfänger ist auch 2016 zurückgegangen. Trotzdem ist die jüngste Novelle nicht verpufft.

DAS STATISTISCHE BUNDESAMT hat heute Morgen die BAföG-Statistik für 2016 veröffentlicht. 823.000 Schüler und Studenten haben im vergangenen Jahr eine Ausbildungsförderung erhalten, das entspricht einem Rückgang von 5,5 Prozent gegenüber 2015. Bei den Schülern betrug das Minus 7,6 Prozent, bei den Studenten 4,5 Prozent. 

 

Ist die nach langem Warten zum Oktober 2016 erfolgte Anpassung damit auf Anhieb verpufft? Der Generalsekretär des Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, sieht das zumindest so: „Die jüngste Erhöhung der BAföG-Elternfreibeträge um sechs Prozent zum Wintersemester 2016/2017 verfehlt ganz offenbar das von der Bundesregierung selbst gesteckte Ziel, 110.000 Geförderte zusätzlich zu generieren." Es bestätige sich: "Die jüngste BAföG-Erhöhung kam zu spät, und sie fiel zu niedrig aus." Der hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kai Gehring, sagte: "Diese Regierung hinterlässt eine Lücke, wo eine Leiter für den Aufstieg durch Bildung nötig ist."

 

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kommentierte den Rückgang etwas putzig: Die Zahl der Geförderten sei im Gesamtjahr 2016 "noch nicht so deutlich angestiegen wie ursprünglich erwartet." Wenn in Zeiten günstiger Konjunktur- und Einkommensentwicklung weniger Auszubildende auf staatliche Förderung angewiesen seien, sei dies eine erfreuliche Entwicklung.

 

Tatsächlich hatte es von Anfang an Ärger um die Novelle gegeben: Sie trat schon 2014 in Kraft, doch Geld bekamen die Schüler und Studenten erst zwei Jahre später. Ein Zugeständnis an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der im Gegenzug grünes Licht gab für den Kern der Reform: Seit 2015 zahlt der Bund den kompletten Länderanteil beim BAföG mit, Kostenpunkt: mehr als eine Milliarde Euro im Jahr. Wofür einigen Ländern wiederum die Zustimmung bei einer wichtigen Grundgesetzänderung leichter gefallen ist, der Lockerung des sogenannten Kooperationsverbots. 



 

Ein Milliardenhandel, der wissenschaftspolitisch (siehe Neuauflage der Exzellenzinitative als Exzellenzstrategie) bedeutsam war. Die BAföG-Empfänger aber zahlten drauf: Die Preissteigerung hatte schon ein Stück vom 2014 beschlossenen 7-Prozent-Plus abgeknabbert, bevor die neuen Bedarfssätze überhaupt in Kraft traten. Und jetzt also die Quittung per amtlicher Statistik?

 

So eindeutig ist die Sache nicht. Auf Nachfrage berichtet das Statistische Bundesamt von den nicht veröffentlichten Quartalszahlen für 2016, und die zeigen: Während es im ersten Halbjahr einen Rückgang bei den Geförderten um rund sieben Prozent gegeben hat, betrug das Minus im letzten Quartal 2016 nur noch knapp vier Prozent. Der Trend weise also seit der BAföG-Erhöhung im Oktober nach oben, das werde sich auch in den Zahlen für 2017 niederschlagen, sagt das Amt. Die Frage sei nur: wie stark. Der Anteil der Vollgeförderten insgesamt sei 2016 kaum noch gesunken (-1,4 Prozent), bei den Studenten allein sei ihre Zahl sogar um 4000 gestiegen: ebenfalls ein Indiz für die einsetzende Wirkung der BAföG-Novelle. "Wir erwarten für 2017, die Effekte der Reform dann auch in der Statistik deutlicher zu sehen", sagt Ministerin Wanka – womit sie Recht haben dürfte.

 

Schon vergangene BAföG-Erhöhungen hatten sich erst mit Verzögerung in den Jahresstatistiken gezeigt, so etwa das kräftige Plus von August 2008, in dessen Folge die Zahl der Geförderten erst 2009 einen signifikanten Sprung nach oben machte. Spannend ist auch, wie lange der Aufwärtstrend nach der Erhöhung jeweils anhielt – und wie stark er ausfiel. Am nachhaltigsten war die von der SPD-Bildungsministerin Edelgard Bulmahn 2001 durchgeboxte Novelle, die einen bis 2005 dauernden, steilen Anstieg auslöste, der allerdings auch damit zusammenhing, dass die Regierung Kohl den BAföG-Empfängern zuvor fast zehn Jahre lang Rückgang und Stagnation beschert hatte. Die Erhöhung von 2008 wiederum, dicht gefolgt von einem weiteren Zuschlag in 2010, wirkte bis 2012 nach, danach folgten wieder vier Jahre Abbröckeln bei den Zahlen. 

 

Also doch Entwarnung, die aktuelle Novelle wirkt?

 

Ja und nein. Sie wirkt, aber sie wirkt zu spät. Und die Tatsache, dass jetzt wieder die statistische Kaffeesatzleserei beginnt, zeigt das Kernproblem: Dem BAföG fehlt ein verlässlicher Mechanismus. Die Bedarfssätze und Freibeträge müssen, da sind sich die meisten Experten einig, endlich an den Inflationsindex gekoppelt werden, so dass sie künftig automatisch der Preisentwicklung folgen. Auch das Studentenwerk erhebt diese Forderung seit langem. Generalsekretär Meyer auf der Heyde: "Eine Erhöhung im Jahr 2010, eine weitere Erhöhung im Jahr 2016: Das ist zu wenig."

 

Kurzfristig wäre die Kopplung an die Inflation womöglich etwas teurer, langfristig gesehen aber müssen die BAföG-Ausgaben ohnehin Schritt halten mit dem Bedarf der Schüler und Studenten. Und die Bildungsministerin wäre endlich die undankbare Rolle los, dass sie jedes Mal erst beim Finanzminister Geld freikämpfen muss, um anschließend zu hören: Reicht nicht, wirkt nicht. 

 

Warum es diese Automatismus dann nicht längst gibt? Weil dann noch mehr Geld wie von selbst aus dem Bundeshaushalt abfließen würde, also weniger Verfügungsmasse für aktive Politik. Was Politiker naturgemäß nicht so schätzen. 

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