Das Bundesverfassungsgericht verhandelt im Oktober über die Rechtmäßigkeit des Numerus Clausus. Wie eine sinnvolle Reform aussehen könnte und warum sie vermutlich nicht kommen wird.
DASS DAS LEBEN eine insgesamt eher unfaire Angelegenheit ist, verdient als triviale Erkenntnis kaum eine Zeile dieser Kolumne. Anders verhält es sich mit Regeln, die pseudo-objektiv mit eben jener Ungerechtigkeit aufräumen sollen und das Gegenteil erreichen. Womit wir beim Numerus Clausus (NC) wären. In den 70er Jahren hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Solange es nicht genügend Studienplätze gibt, muss ihre Vergabe umso transparenter ablaufen. Die besten Bewerber müssen zuerst an die Reihe kommen. Eine Vorgabe, wie Juristen sie lieben: einfach, eindeutig, brillant.
Wenn nur die Realität nicht wäre. Eine Realität, in der bayerische Abiturienten im Schnitt mit einer 2,30 nach Hause gehen und damit fast exakt gleichauf liegen mit ihren Altersgenossen aus Nordrhein-Westfalen (2,31). Auch die Berliner sind den Bayern hart auf den Fersen und haben seit 2006 einen Sprung nach vorn gemacht: von 2,68 auf 2,40. Man muss gar nicht erst die ganz anders ausfallenden Pisa-Ergebnisse bemühen, um zu merken, dass da was schräg ist. Übrigens auch innerhalb der Bundesländer beim Vergleich von Schule zu Schule. Doch ausgerechnet die Abinote zählt am meisten, wenn es um die Verteilung der Studienplätze mit bundesweitem NC (Medizin &Co) geht. >>
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>> Das sei ungerecht, argumentiert das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und hat das Verfassungsgericht aufgefordert zu entscheiden, ob die geltenden NC-Vorschriften noch mit dem Grundgesetz, genauer mit dem Recht auf freie Berufswahl, vereinbar sind. Man kann nicht sagen, dass die Karlsruher Richter der Bitte begeistert nachgekommen wären. Beim ersten Mal hatten sie sich noch rausgeredet mit dem Vorwurf, die Vorlage sei schlecht begründet gewesen. Den zweiten Anlauf aus Gelsenkirchen konterten sie nun mit einem Seufzen und dem Versprechen, die Sache am 4. Oktober zu verhandeln.
Das dürfte spannend werden, zumal sich das Gros der lokalen Vergabeverfahren (42 Prozent der deutschen Studiengänge sind zulassungsbeschränkt!) an den Regeln für bundesweite NCs orientiert. Welche Lösung haben die Verfassungsrichter parat: den NC abschaffen? Sicher nicht. Das Chaos wäre total. Dekretieren, dass die Wartezeit von Bewerbern mit schlechten Abinoten nicht mehr länger sein darf als das Studium, das sie absolvieren wollen? Klingt plausibel und hätte den Nebeneffekt, dass die Länder mehr Studienplätze schaffen müssten.
Viel wichtiger ist aber, ob sich die Richter an die Allmacht der Abinote trauen. Standardisierte Eignungstests, kombiniert mit Bewerbungsgesprächen, wären als Eingangshürde viel geeigneter, da vergleichbarer. Aber, und es ist ein großes Aber, eben auch viel aufwändiger und teurer. Und politisch brisant, würde dann doch die Gymnasiallobby auf die Barrikaden gehen.
Immerhin: Beim kürzlich verabschiedeten „Masterplan Medizin“ hat die Politik in vorauseilendem Gehorsam reagiert und beschlossen, dass die Hochschulen zusätzlich zur Abinote mindestens zwei weitere Auswahlkriterien anwenden müssen, Berufserfahrung etwa.
Die große Revolution allerdings dürfte auch Karlsruhe nicht bringen. Die Pseudo-Objektivität bleibt politisch opportun.
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Jakob Wassink (Dienstag, 15 August 2017 22:05)
Lieber Herr Wiarda,
was bitte ich so schlecht an der Abiturnote als maßgebliches Kriterium für einen NC-Studiengang? Mir jedenfalls ist kein besseres Kriterium bekannt. Sollten sich zwischen den Bundesländern tatsächlich empirische Unterschiede bei den Abiturnoten und damit den Chancen für den Zugang zu einem bestimmten Studiengang feststellen lassen, lassen sich diese Unterschiede m.E. gesetzgeberisch problemlos durch "Landesquoten" lösen.
Die standardisierten Studierfähigkeitstests sind keineswegs aussagekräftiger als die Abiturnote. Hierfür gibt es entsprechende Untersuchungen in der Hochschulforschung. Mir sind zudem Beispiele aus Masterstudiengängen bekannt, in denen sich die Reihenfolge auf Grund der Tests (z.B. TM-Wiso) nur marginal gegenüber der Rangolge bei ausschließlicher Berücksichtigung der Bachelornote unterscheidet.Diese Tests sind vielmehr sehr unsozial, da teuer. Zudem wird sich eine Trainingsindustrie etablieren, die das Verfahren für die Interessenten weiter verteuert.
Auswahlgespräche sind in meinen Augen keinesfalls gerechter als die Abinoten, sondern - was in der Natur des Menschen liegt - eine höchst subjektive Angelegenheit. Die Vorstellungen darüber, was ein guter Studierender mitbringen soll, sind in einer Fakultät keinesfalls konsens. Es ist also vielfach vom Zufall abhänig, an welche Kommission man gerät, ob es mit dem Studienplatz klappt oder nicht. Auswahlgespräche sind zudem extrem personalaufwändig und das in den Sommerferien, also der Haupturlaubszeit. Sie sind rechtlich zudem extrem leicht angreifbar, da praktisch kaum verfahrensfehlerfrei durchführbar.
Es ist im Ergebnis also keinesfalls Zufall, dass die Hochschulen derzeit auch in der sog. hochschuleigenen Auswahlquote praktisch durchweg ausschließlich auf die Abinote setzen. Einzige wirksame Maßnahme bleibt m.E. etwas Druck vom Kessel zu nehmen und zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Eine Arzt- oder Zahnarztschwemme, die dagegen sprechen würde, ist mir nicht bekannt. Die kurzfristigen zusätzlichen Kosten werden sich mit Sicherheit in den nächsten Jahren durch eine verbesserte Gesundheitsvorsorge und steuerzahlende Ärzte wieder reinholen lassen.
Herzliche Grüße
Jakob Wassink
Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 16 August 2017 08:54)
Lieber Herr Wassink,
haben Sie besten Dank für Ihren Kommentar, der mir zeigt, wie spannend die Diskussion zum NC ist. Über die Potenziale von standardisierten Aufnahmetests und Interviews lässt sich sicherlich engagiert streiten, zumal die Bildungsforschung hier in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht hat, allerdings ist schon heute eines völlig klar: Die Abiturnote als Haupt-Indikator ist an ihre Grenzen gestoßen. Man muss dafür gar nicht den Vergleich von Bundesländern bemühen, es reicht der Vergleich von Schule zu Schule innerhalb von Bundesländern. Länderquoten bei den den hochschuleigenen Auswahlverfahren werden wahrscheinlich eine Forderung des Verfassungsgerichts sein, sie wären meines Erachtens auch die Mindest-Konsequenz. Und zu mehr wird, wie ich schreibe, vermutlich ohnehin der Mut fehlen. Zumindest vorerst noch.
Beste Grüße,
Ihr Jan-Martin Wiarda
Karla Gstaeck (Donnerstag, 31 August 2017 14:50)
Eignungstest vergleichbar? Lächerlich,wie die Objektiv-Lobby den Einsatz von Medikamenten bei diesen Tests ausblendet. Am Ende hat der einen Platz ,der am Besten an Stimulantien konmt.
Tja. Das ist Amerika. Ein hartes Abitur mit 1 Prozent 1.0er mit verpflichtend Mathematik vierstündig. Das wäre ein Auswahlkriterium. In BaWü ist es so
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:31)
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