In San Francisco trafen sich am Wochenende hunderte deutsche Postdocs mit der deutschen Wissenschaftselite. Eine erfolgreiche Veranstaltung – und doch muss die GAIN-Jahrestagung neu ausgerichtet werden.
HEUTE MORGEN DÜRFTE auf den Transatlantikflügen, die von der US-Westküste nach Europa unterwegs sind, auffällig viel Deutsch gesprochen werden. Die deutsche Wissenschaftselite befindet sich auf der Rückreise.
Gestern ist sie zu Ende gegangen, die 17. GAIN-Jahrestagung, bei der 500 Deutsche in einem Hotel in San Francisco drei Tage lang über Exzellenzstrategie, Tenure Track und Karrierechancen an Fachhochschulen diskutiert haben.
GAIN steht für „German Academic International Network“, laut Selbstbeschreibung handelt es sich um ein „Netzwerk für deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nordamerika“, doch wer deshalb eine Graswurzelbewegung vermutet, irrt. Hinter der Initiative stehen drei Tanker der staatlichen Wissenschaftsförderung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Deutsche Akademische Austauschdienst sowie die Humboldt-Stiftung, und ihr erklärtes Ziel lautet: die zumeist jungen Forscher auf die Rückkehr nach Deutschland „vorzubereiten“. >>
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BLICK ZURÜCK (5): NUMMER 250.000
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>> Allerdings hat sich die GAIN-Tagung über die Jahre auch zu einem Forum der Beschäftigung der eigens angereisten Hochschulrektoren, Forschungslenker und Politiker mit sich selber entwickelt. Fernab der Heimat habe man noch Zeit, in Ruhe miteinander ins Gespräch zu kommen, schwärmen sie. Und so kommt es vor, dass zu Mittag an einem Tisch hoffnungsfrohe Postdocs sitzen, während am nächsten die Wissenschaftsstrategen die neuesten Deals bereden oder Insider-Infos austauschen. Immerhin: Bei der Talentmesse, der digital angebahnten Kontaktbörse oder den vielen Podien kommen die Jungen mit den Alten dann doch in intensive Gespräche.
Mit Spannung war vor der diesjährigen Tagung erwartet worden, ob sich das Werben um die Gunst des Nachwuchses mit kriegsgewinnlerischen Untertönen vermischen würde nach dem Motto: Je stärker US-Präsident Donald Trump die Wissenschaft mit Füßen tritt, desto strahlender stehen wir in Deutschland da. Bis auf grenzwertige Ausnahmen (Humboldt-Präsident Helmut Schwarz nannte Trump einen „Trottel“) beherrschte jedoch eine angenehme Zurückhaltung die Reden. Die USA seien ein herausragender Wissenschaftsstandort und würden es bleiben, sagte etwa Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium. Dies liege auch im deutschen Interesse.
Also alles fein? Nicht ganz. GAIN sieht sich zunehmend mit einer existentiellen Herausforderung konfrontiert: Ist es in einer globalisierten Wissenschaftswelt noch angemessen, auf einer größtenteils deutschsprachigen Veranstaltung in Nordamerika fast ausschließlich um Deutsche zu werben? Oder lässt sich das teure Schaulaufen künftig nur rechtfertigen, wenn man die besten Nachwuchswissenschaftler in den USA, unabhängig von ihrer Herkunft, einlädt – und zwar nicht für ein paar Stunden, sondern für die ganze Tagung? Die Antwort liegt auf der Hand. Die Frage ist, ob die Chefs bereit sind, Hand anzulegen an ihren so lieb gewordenen Klassenausflug.
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Nächstes Jahr sind sicher auch die Abgeordneten wieder dabei
So groß der Auflauf an Rektoren und Wissenschaftsmanagern war: Einige von ihnen äußerten dennoch die Meinung, in früheren Jahren seien noch mehr von ihnen dabei gewesen. Und die Riege der Politiker erst, sagten andere: Gerade mal ein Landesminister (Boris Rhein aus Hessen) und eine Staatssekretärin aus dem BMBF (Cornelia Quennet-Thielen).
Ein Zeichen für die abnehmende Attraktivität der Veranstaltung? Höchstens, wenn man die Rektoren als erste Zielgruppe sähe und nicht die Postdocs. Von denen kamen so viele wie nie. Was meinen oben formulierten Einwand nicht weniger dringlich macht.
Für die Knappheit an angereisten Politikern gibt es übrigens eine naheliegendere Begründung, noch dazu eine, die ich im Kern sehr erfreulich finde. Anders als in den Vorjahren, in denen jeweils rund ein halbes Dutzend Bundestagsabgeordnete an der GAIN-Jahrestagung teilnahm, verweigerte die Bundestagsverwaltung ihnen diesmal die Reise, weil vier Wochen vor der Wahl keine Rückbindung mehr in den parlamentarischen Betrieb zu erwarten sei.
Eine plausible Begründung, so sehr die Jung-Wissenschaftler in den vergangenen Jahren auch vom Austausch mit den Politikern profitiert haben mögen. Und eine Begründung, die den Glauben in das Funktionieren unserer Bürokratie stärkt.
Nächstes Jahr dürfen die neu gewählten Abgeordneten dann sicher wieder dabei sein – vielleicht schon bei einem anders gestalteten Event?
Mein Vorschlag wäre wie folgt: Drei Tage Diskussionen auf Englisch, davon möglichst viele in kleiner Runde, dazu die Talentmesse und die Kontaktbörse – und eingeladen werden herausragende Jung-Wissenschaftler in Nordamerika gleich welcher Nationalität, die ihr Interesse an Deutschland in einer kurzen, aber aussagekräftigen Bewerbung formulieren müssen.
Und was ist mit den Deutschen? Von denen werden sicherlich noch überdurchschnittlich viele dabei sein, und so, wie es momentan einen Nachmittag an den drei Tagen auf Englisch gibt, könnte man ja künftig einen Nachmittag auf Deutsch anbieten – mit Workshops, die sich speziell den Fragen und Belangen der Deutschen widmen.
Fazit: So unangemessen und allzu simpel es wäre, diese erfolgreiche Veranstaltung aufgrund ihrer hohen Kosten per se für überflüssig zu erklären, so fahrlässig wäre es, das Format nicht noch entschiedener weiterzuentwickeln. Immerhin: Die Diskussionen über eine wie auch immer geartete Neuausrichtung der GAIN-Jahrestagung schien mir in den vergangenen Tagen Fahrt aufzunehmen.
Nachtrag vom 30. August: Wie ein Postdoc die GAIN-Tagung erlebt hat
Am Tag nach meinem obigen Artikel erreichte mich folgende Zuschrift. Da sie für die Kommentarspalte zu lang ist, veröffentliche ich sie an dieser Stelle.
Aus der Sicht eines Postdocs im Bereich der Biowissenschaften stand die 17. GAIN Jahrestagung unter dem Leitbild "Deutsche Universitäten brauchen Euch nicht”. Die Tagung begann mit vielversprechenden Vorträgen der Präsidenten/innen der drei größten Förderinstitutionen über wissenschaftliche Verantwortung und der Wertschätzung von Diversität in der deutschen Wissenschaft. Ziel dieser 17. GAIN-Tagung war die Vernetzung der Wissenschaftsgemeinschaft aus Nordamerika mit deutschen “wissenschaftspolitischen Schlüsselfiguren” aber auch „praktische Tipps für die Zeit nach dem Postdoc” zu erhalten.
Während sich die Vertreter aus Wirtschaft und Administration offen den Fragen stellten und hilfreiche Hinweise vergaben, vor allem in persönlichen Gesprächen, schienen die Vertreter der Universitäten und der Forschungsförderinstitutionen die Verbindung zu den nachkommenden Generationen größtenteils verloren zu haben und/oder sich nicht zu interessieren. So zeigten sich Universitätspräsidenten erstaunt, dass ein Großteil der anwesenden Postdocs eine Karriere an der Universität anstrebte. Wenn man jedoch bedenkt, dass eine akademische Karriere die Einzige ist, die einem während der mehr als zehnjährigen Ausbildung täglich vorgelebt wird, ist dieser Berufswunsch kaum verwunderlich. Eine Vertreterin der DFG schien die Lebensläufe aller Beteiligten in der fachbezogenen Arbeitsgruppe “Biowissenschaften” zu kennen, da Sie mehrfach betonte, dass man weder unsere noch ihre Zeit verschwenden solle und sich gar nicht erst auf das Emmy Noether-Programm für Junior-Gruppenleiterstellen bewerben solle. Dieses Programm sei nur für die “absolute Elite”, zu der man als DFG-geförderter Postdoc scheinbar mit Sicherheit nicht gehörte. Während eine realistische Einschätzung natürlich wichtig und gewünscht war, so kann man mit dem Sprichwort „der Ton macht die Musik“ argumentieren.
Anstatt aus der aktuellen politischen Situation in den USA zu lernen oder gar zu profitieren, lobten sich die Vertreter der deutschen Universitäten größtenteils selbst und sahen wenig Anlass für Änderungen im System. Kritischen Stimmen, ob denn die Forscher mit den “besten Ideen” auch die talentiertesten Lehrer seien, da Universitäten schließlich auch einem Lehrauftrag folgten, wurden genauso abgeschmettert wie die Fragen, ob es nicht auch Verbesserungsbedarf im System gebe, um Forschern an den Universitäten eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits-und Privatleben zu bieten (etwa durch mehr unbefristete Stellen im Mittelbau), oder ob man Doktoranden nicht besser auf alternative Karrierewege vorbereiten müsse. Von außen betrachtet schien das deutsche Universitätssystem selbstgefällig und gesättigt, was sicherlich auch eine Konsequenz aktueller weltpolitischer Umstände ist. Daher scheint es momentan ratsam, sich schon während oder kurz nach der Promotion nach alternativen Karrierewegen wie Wirtschaft, Management, Kommunikation und Politik umzuschauen.
Das Frustrierende an der Selbstgefälligkeit der Vertreter der Universitäten war nicht etwa zu hören, dass ein Großteil der Postdocs, die sich auf akademische Stellen bewerben werden, keine Zukunft in der akademischen Wissenschaft haben, das wussten wir auch schon vor der GAIN-Tagung. Das Frustrierende ist, dass genau dieselben Professoren uns mehr als zehn Jahre lang ins Gewissen redeten, dass sich der Frust des ständigen wissenschaftlichen Scheiterns, der fehlenden Anerkennung von Familie, Gesellschaft, aber auch anderen Wissenschaftlern, so wie auch private Entbehrungen durch häufige Umzüge, erwartete Flexibilität, geringe Vergütung und damit verbundene Existenzangst lohnen, um später seiner Leidenschaft folgen zu können und somit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Wenn von vornherein jedoch klar ist, dass „95 Prozent aller promovierter Biologen“ nicht mit einer Professur an einer deutschen Hochschule rechnen können, dann muss man sich doch fragen, ob die Professoren motivierte, und wissenshungrige Doktoranden/innen und Postdocs nicht unnötig lange im System halten, nur um für ihre eigene Karriere wichtige Publikationen zu generieren.
Trotz der unglücklichen Vertretung der deutschen Universitäten an der diesjährigen GAIN-Tagung glaube ich an die Bedeutung der akademischen Wissenschaft und den Stellenwert der deutschen Universitäten in der internationalen Forschung und hoffe, dass sich Deutschland nicht zu lange auf seiner Führungsrolle ausruhen wird. Wären die Universitätspräsidenten an ernst gemeinten Dialogen mit Postdocs interessiert gewesen, hätten sie vielleicht gemerkt, dass auch wir Ideen für und Vorstellungen von einem gut funktionierenden Wissenschaftssystem haben, und dass die amerikanische „anything is possible“-Mentalität mit deutlich flacheren Hierarchien motivierend und inspirierend sein kann.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:33)
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