Die Ex-Forschungsministerin nimmt Abschied vom Bundestag. Im ZEIT-Interview sagt sie noch einmal, was ihr wichtig ist und wie ihre Reformen in Schröders Agenda 2010 passten.
30 JAHRE LANG war sie Abgeordnete, sieben Jahre Bundesministerin, sie war Vorsitzende des Bildungsausschusses und später des Wirtschaftsausschusses. Sie hat die Exzellenzinitiative auf den Weg gebracht, die Bologna-Reform vorangetrieben, die Juniorprofessur eingeführt, die Grundlagen für den Pakt für Forschung und Innovation und für den Hochschulpakt gelegt: ein Feuerwerk an Reformen, wie es die Hochschulen selten erlebt haben.
Jetzt verlässt Edelgard Bulmahn, 66, das Parlament. Und so wie in ihrem Ressort eine Reform die andere jagte, so hat die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder insgesamt mit ihrer Politik das Land verändert. Die "Agenda 2010" spaltet bis heute die Nation: Markierte sie den Aufbruch in ein neues Wirtschafts- und Beschäftigungswunder, oder war sie der Auftakt eines historisch einmaligen Sozialabbaus? Bulmahn sagt, 90 Prozent der Menschen assoziierten mit dem Begriff die Arbeitsmarktreform, und die gelte heute vielen als neoliberal. Dabei sei die grundsätzliche Idee der rot-grünen Politik eine andere gewesen: "Menschen mehr Chancen zu eröffnen, Gesellschaft und Wirtschaft zu modernisieren und innovationsfähiger zu machen." Feststeht: In ihren sieben Jahren als Ministerin von 1998 bis 2005 hat die Frau aus Hannover unserem Wissenschaftssystem seinen bis heute beherrschenden Rahmen gegeben.
Anfang des Jahres habe ich Edelgard Bulmahn gefragt, ob Sie Lust hat, im Interview noch einmal die zentralen Themen ihrer Amtszeit Revue passieren zu lassen. Zusammen mit meiner Kollegin Anna-Lena Scholz habe ich sie dann zum Gespräch für die heutige ZEIT (leider noch nicht online) getroffen. Es ist das letzte Interview der ehemaligen Bundesforschungsministerin als Parlamentarierin, und es liest sich wie die forschungs- und bildungspolitische Bilanz ihrer Arbeit. Ob Ganztagsschulen, Bafög oder das Paket der Wissenschaftspakte: Bulmahn sagt noch einmal, was ihr besonders wichtig war – und warum.
Ausführlich äußert sie sich zum Beispiel zur Bologna-Studienreform, der Einführung der gestuften Studiengänge Bachelor und Master: Sie habe selbst nicht erwartet, dass viele Universitäten so große Schwierigkeiten bei der Umsetzung haben würden, sagt Bulmahn und kritisiert die Rektoren für ihr Schwanken: "Anders als viele heute behaupten, waren die Universitäten und die Hochschulrektoren von Anfang an eine treibende Kraft. Erst hinterher haben sich manche distanziert." Die Reform hält Bulmahn weiter für richtig: "Wir brauchen in unserer heutigen Welt ein Studiensystem, das in der Lage ist, 50 Prozent eines Jahrgangs gut auszubilden."
Zur Exzellenzinitiative sagt Bulmahn, die sei immer "ein Herzensprojekt von mir" gewesen, zusammen mit dem Pakt für Forschung und Innovation habe der Wettbewerb eine deutlich stärkere Profilierung und Vernetzung zwischen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen gebracht. "Das große Problemthema der 90er Jahre war ja das Nebeneinander und die Erstarrung der einzelnen Einrichtungen. Diese sogenannte Versäulung haben wir dann durchbrochen." Nach ihrer Ministerzeit allerdings sei allmählich "etwas aus der Balance geraten zwischen der Projektfinanzierung auf der einen Seite und der Grundfinanzierung auf der anderen." Die mangelnde Grundfinanzierung der Hochschulen mithilfe von Bundesmitteln zu beheben, sei jetzt "die hochschulpolitische Notwendigkeit unserer Zeit."
Bulmahn kritisiert auch die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes nach dem Ende ihrer Amtszeit, gegen die sie sich immer gesperrt habe: "dass Drei-, Fünf- oder Neun-Monatsverträge en masse erlaubt wurden. Diese Kettenverträge zu begünstigen war ein Riesenfehler meiner Nachfolgerin Annette Schavan." Die aktuelle Forschungsministerin Johanna Wanka wiederum habe "nicht couragiert" genug für eine besser Grundfinanzierung der Hochschulen gekämpft.
Ansonsten findet Bulmahn für ihre CDU-Nachfolgerinnen durchaus lobende Worte. So habe Schavan, die 2005 ins Amt kam, die Exzellenzinitiative nicht aus ideologischen Gründen abgeschafft, sondern weitergeführt, "obwohl sie anfangs dagegen war." Dann folgt allerdings doch noch eine Spitze: Schavan sei überhaupt "wirklich gut" darin gewesen, ihre (Bulmahns) Ideen zu verwalten. Sie habe aber auch eigene Akzente gesetzt, indem sie etwa den Hochschulpakt zu einem "richtig großen Pakt" gemacht habe. Über Schavans Nachfolgerin Wanka sagt Bulmahn, diese habe sich um die Verstetigung der Exzellenzinitiative verdient gemacht. "Und das habe ich auch in der SPD unterstützt, wo ich konnte."
Für die kommenden Jahre kündigt Bulmahn an, sie werde "nicht nur auf dem Sofa sitzen", sondern "weiter nach vorne denken, Ideen mitentwickeln." Womöglich wird die ehemalige Ministerin die neu gewonnene Freiheit sogar intensiver nutzen, als viele Sozialdemokraten es vermuten: Im Februar war sie gemeinsam mit weiteren SPD-Fachpolitikern erstmals seit Jahren wieder öffentlich auf dem Feld der Hochschulpolitik in Erscheinung getreten mit einem Vorschlag, wie der Bund sich an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligen könnte.
Eine der prägenden Wissenschafts- und Bildungspolitikerinnen der vergangenen Jahrzehnte nimmt ihren Abschied – und bleibt doch präsent. Manchmal, sagt sie, sei sie immer noch ungeduldig, "weil ich wirklich Sorge habe, dass wir nicht zeitgerecht handeln."
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:39)
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