Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer präsentiert heute im Kabinett ihre Runderneuerung des Hochschulgesetzes. Zwei Ideen dürften für Aufsehen sorgen: Professoren sollen per Ur-Wahl Rektoren abwählen können und Doktoranden eine eigene Stimme im Senat erhalten.
Frau Bauer, ist Ihre Hochschulreform das Ende der starken Rektorate?
Ganz und gar nicht. Wir folgen mit der Reform den Auflagen, den wir im vergangenen Herbst durch den baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof bekommen haben, und versuchen gleichzeitig, die Hochschulen handlungsfähig zu halten.
Die Richter hatten unter anderem verlangt, dass die Hochschullehrer allein mit ihrer Mehrheit das Rektorat abwählen können müssen.
Nicht ganz. Der Verfassungsgerichtshof hatte gesagt, dass wir alternativ auch dem Rektorat Entscheidungskompetenzen wegnehmen und dem Senat geben könnten. Dann hätten wir das Wahlrecht lassen können, wie es ist. Das wollen wir aber bewusst nicht, eben weil wir starke Hochschulleitungen für unverzichtbar halten. Deswegen schaffen wir ein neues exklusives Abwahlrecht für die Mehrheit der Professoren.
Das mit den starken Rektoraten sehen nicht alle so. Am Wochenende konnte man etwa in baden-württembergischen Regionalzeitungen lesen, die Chefs würden durch die Reform „geschwächt“, die Heilbronner Stimme kommentierte: „Durch das neue Hochschulgesetz wird der Alltag für die Rektoren zweifelsohne schwerer.“
Das Gegenteil ist der Fall. Im Fall einer tiefgreifenden Vertrauenskrise können die Hochschullehrer künftig den Rektor über eine Ur-Abwahl des Amtes entheben, das ist bundesweit ein Novum. Aber nur ab einer bestimmten Wahlbeteiligung und nur wenn in der Mehrheit der Fakultäten die Mehrheit der Professoren dafür votiert. Vorher muss es die Gelegenheit für Anhörungen und Stellungnahmen geben.
Zum Einleiten eines Abwahlverfahren reichen aber schon 25 Prozent der Professoren. An kleinen Hochschulen könnten sich also ein, zwei Dutzend Kollegen gegen das Rektorat zusammentun und richtig Stimmung machen.
Wenn 25 Prozent der Professoren die Amtsführung des Rektors in Frage zu stellen, ist eine hochschulweite Debatte sicherlich auch nötig. Im besten Fall führt sie dazu, dass die Unterstützer des Rektorats sich ebenso lautstark zu Wort melden. Ich sehe in der Reform eine Stärkung der Rektorate und eine Demokratisierung der Hochschulen zugleich. Wir wollten die Abwahl nämlich nicht in das Belieben einer kleinen Gruppe von Professoren im Senat überlassen, die mit ihrer Mehrheit in einem vermeintlich günstigen Moment Fakten schafft. Die Abwahloption soll für eine Ausnahmesituation den Weg ebnen, aber nicht das Tagesgeschäft bestimmen.
Was ändern Sie noch an der Hochschulgovernance, um den Auflagen des Urteils gerecht zu werden?
Der Verfassungsgerichtshof hat uns ganz grundsätzlich aufgetragen, dem Gebot der Wissenschaftsfreiheit gerecht zu werden, was die Richter insbesondere als individuelles Freiheitsrecht der Hochschullehrer und ihrer Vertretung im Senat interpretiert haben. Anders formuliert: Die Professoren müssen bei allen wesentlichen Entscheidungen von Forschung und Lehre die Mehrheit haben.
Was das Bundesverfassungsgericht eigentlich schon in den 70er Jahren so festgelegt hat. War Baden-Württembergs Hochschulpolitik da über die Jahrzehnte schludrig geworden?
Wir stellen die geforderte Mehrheit ja sicher. Aber in einer Art und Weise, die die Wissenschaftsfreiheit nicht nur als individuelles Recht begreift, sondern auch als Recht der Institution. Die Wissenschaftsfreiheit steht nämlich auf zwei Beinen, und in diesem Sinne ändern wir das Gesetz.
Was heißt das konkret?
Die Richter haben bestimmt, dass Dekane nicht qua Amt Mitglied im Senat sein dürfen, weil das die Professorenmehrheit verwässere. Darum werden wir künftig alle professoralen Senatsmitglieder als Vertreter ihrer Fakultäten wählen lassen, und dabei können sich auch die Dekane zur Wahl stellen. Wir setzen also das Gebot des Verfassungsgerichts um, ohne den Senat aufzublähen.
Sie gelten ja als Liebling der Hochschulrektoren, Frau Bauer, aber eine andere Reform im Gesetz dürfte für Seufzer bei den Chefs sorgen. Noch dazu eine Reform, die so vom Verfassungsgerichtshof gar nicht verlangt war. Doktoranden sollen an den baden-württembergischen Universitäten nämlich eine eigene „Statusgruppe“ werden. Für die Nicht-Experten: Was genau bedeutet denn das?
Das bedeutet, dass die Doktoranden in der akademischen Selbstverwaltung eine eigene Stimme erhalten und mitbestimmen können, wenn es um den künftigen Kurs ihrer Universität geht. Die anderen so genannten Statusgruppen, die eigene Repräsentanten in den Unisenat wählen dürfen, sind die Professoren, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Studierenden.
Also noch mehr Gremiengeschiebe an den Universitäten, von denen nicht nur die Rektoren sagen, sie seien ohnehin schon mit zu vielen Gremien ausgestattet?
Wir schaffen ja keine neuen Gremien, wir erhöhen nur die Sichtbarkeit einer Gruppe, die immer schon da war, aber bei den anderen mitlief: als Minderheit bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern oder bei den Studierenden. Unsere Reform macht die Welt nicht komplizierter und die Gremien nicht unübersichtlicher, doch endlich wird die Stimme der jungen Wissenschaftler gehört, von der ich glaube, dass sie eine ganz besondere ist.
Wie meinen Sie das?
Die Doktoranden markieren immer den Beginn einer neuen Forschergeneration. Sie lernen die Wissenschaft und ihre Regeln kennen – und hinterfragen sie noch unvoreingenommen. Gleichzeitig ist ihre Arbeit grundlegend für die Forschungskraft und Qualität unserer Hochschulen.
Wenn das so ist, warum ist Baden-Württemberg dann das einzige Land, das bislang auf die Idee mit der Statusgruppe gekommen ist?
Über lange Zeit hinweg war das Promotionsrecht vor allem ein Recht der Fakultäten und der einzelnen Wissenschaftler, also eine sehr individuelle Angelegenheit. Die Universität als Ganzes kam da nur schwer ran und konnte ihre Verantwortung als Institution kaum einmal systematisch wahrnehmen. Insofern ist das schon ein kultureller Wechsel, den wir da einfordern, aber er ist angemessen.
Wollen die Doktoranden überhaupt mehr Mitbestimmung? Haben die nicht mit dem Promovieren genug zu tun?
Wir waren uns da anfangs auch nicht sicher. Darum hatten wir in der vorgehenden Novelle des Hochschulgesetzes nur so genannte Konvente für Promovierende eingeführt, in denen sie überhaupt erstmals ihre speziellen Anliegen formulieren konnten. Angesichts des großen Engagements, das sie dort gezeigt haben, war uns dann klar: Ja, sie wünschen sich mehr Beteiligung. Sie wollen, dass ihr Sichtweise stärker Berücksichtigung findet.
Damit die Doktoranden ihre Vertreter wählen können, müssen Sie wissen, wer überhaupt alles promoviert. In der Vergangenheit hieß es bei entsprechenden Anfragen an die Universitäten stets: Keine Ahnung.
Das war nicht nur in Baden-Württemberg so und hängt wiederum mit diesem traditionell sehr persönlichen Verhältnis eines Doktoranden mit seinem Doktorvater – oder seiner Doktormutter zusammen. Bevor die Dissertationsschrift eingereicht wurde, wusste oft nur der Professor davon. Auch das haben wir schon bei der letzten Reform geändert. Seitdem ist eine schriftliche Betreuungsvereinbarung gleich zu Beginn Pflicht, die Fakultät muss das Promotionsvorhaben annehmen. Mit Heidelberg haben wir eine Universität, die schon sehr weit ist im Aufbau der notwendigen Strukturen, und die Rückmeldungen, die von dort kommen, sind echt spannend. Früher ging die Unileitung von 4000 Doktoranden in Heidelberg aus, jetzt weiß sie: Es sind 7500.
Was im Umkehrschluss heißt: Das Missverhältnis zwischen begonnenen und abgeschlossenen Promotionen ist noch viel größer als lange befürchtet.
In der Tat lernen wir da gerade viel Neues. Wir sehen nicht nur, wie viele Promovierende unterwegs verloren gehen, sondern auch, woher sie kommen: von Fachhochschulen, aus den Betrieben. Und wir erfahren welche Hochschullehrer besonders viele Doktoranden betreuen. Wir werden aber auch lernen müssen, dass wir an all diese Zahlen nicht mit derselben Erwartung herangehen können wie an die Studienabbrecher-Statistik.
Wenn die Doktoranden jetzt einen Sitz in den Senaten kommen, verändert sich die feinziselierte Stimmenarithmetik der anderen Statusgruppen. Wollen Sie da detaillierte Vorgaben machen?
Nein, das überlassen wir den Universitäten, wie genau sie die Statusgruppe in ihre Grundordnungen definieren und wie stark sie Stimmen der Doktoranden gewichten. Es macht doch einen Unterschied, ob eine forschungsintensive Universität wie Heidelberg 7500 Doktoranden hat oder eine andere nur ein paar hundert. Außerdem ändert sich die Arithmetik in den Senaten ohnehin.
Bis März 2018 muss das neue Hochschulgesetz stehen, haben die Richter verlangt. Wird langsam eng, oder?
Das schaffen wir. Jetzt geht der Entwurf ins Kabinett, möglichst im Januar ins Parlament. Ich bin jetzt vor allem mal gespannt, was meine Ministerkollegen in den anderen Bundesländern dazu sagen.
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Th. Klein (Dienstag, 26 September 2017 10:27)
"Wenn das so ist, warum ist Baden-Württemberg dann das einzige Land, das bislang auf die Idee mit der Statusgruppe gekommen ist?" (J.-M. Wiarda)
Ergänzung: Wenngleich nicht auf Landesebene, so gibt es diese Statusgruppe im Senat doch an Hochschulen bereits in anderen Ländern, siehe TUM:
https://www.tum.de/die-tum/die-universitaet/senat/
Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 26 September 2017 11:07)
Lieber Herr Klein, haben Sie besten Dank für den Hinweis! Der Unterschied besteht eben darin, dass es sich um "volle" Senatsmitglieder mit Stimmrecht handeln wird.
Beste Grüße
Ihr J-M Wiarda