Seit 20 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der neunte Teil einer Serie.
Tim Reckmann: "BAföG", CC BY-NC-SA 2.0
Minenräumer im Einsatz
Die große Bafög-Reform bleibt bislang im ideologischen Kleinkrieg der Parteien stecken. Die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD verheißen Besserung.
(erschienen in der ZEIT vom 03. November 2005)
DIE BEIDEN HAUPTAKTEURINNEN sind mit einem Mal ganz schmallippig. Noch-Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) lässt ein bereits vereinbartes Interview durch ihren Sprecher absagen mit der Begründung, sie wolle die Verhandlungen nicht durch das Wiederholen bekannter Positionen belasten. Bald-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) verliert sich in allgemeinen Andeutungen und sagt: "Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass wir alles infrage stellen."
Es ist ein vermintes Terrain, das die führenden Bildungspolitiker beider großen Parteien in den Berliner Koalitionsgesprächen diese Woche abschreiten. Die Themen lauten Studiengebühren, Studienfinanzierung und, allem voran, Reform des Bafög, das Studenten derzeit nur dann erhalten, wenn ihre Eltern nicht zu viel verdienen. Veränderungen an der Ausbildungsförderung sind seit der Ankündigung von Studiengebühren in einigen Bundesländern noch komplizierter geworden, weil der Bund zu zwei Dritteln das Bafög finanziert und auf keinen Fall den Ländern indirekt die Studiengebühren bezahlen will. Schavan wollte sich daher vor den Verhandlungen noch nicht einmal die Aussage entlocken lassen, dass sie eine solche Reform überhaupt anstrebe, was wohl auch mit unschönen Erinnerungen zu tun hat: Im April erst hatte sie dem Bulmahn-Lager eine Steilvorlage gegeben mit der an sich wenig spektakulären Bemerkung, Studiengebühren und Studienfinanzierung müssten im Zusammenhang gesehen werden. Schavan wolle die Bafög-Förderung ersatzlos streichen, empörte sich die SPD: eine im höchsten Maße unsoziale Bildungspolitik zugunsten der Reichen. Noch einmal, so hat sich Schavan offenbar geschworen, passiert ihr das nicht.
Andere Unterhändler der Arbeitsgruppe Bildung äußern sich da, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, unbefangener. Natürlich stehe eine große Reform des Bafögs auf dem Programm. Stichwort Drei-Körbe-Modell, das eine Grundförderung für alle mit einkommensabhängigen Zuschüssen und Studienkrediten verbindet: Wenn Schavan das als Vorschlag auf den Tisch legt, könnte sie ihr Gegenüber Bulmahn womöglich aus der Reserve locken, schließlich waren die drei Körbe einmal auch Bulmahns Reformidee, bevor Gerhard Schröder sie 1999 einkassierte. Die rasche Einigung auf einen umfassenden Umbau der Studienfinanzierung, die über die Gummiformulierung "Sicherung und Weiterentwicklung" hinausgeht, wäre allerdings in der Tat eine Sensation. In der Bestandsaufnahme immerhin sind sich beide Seiten schon einig: Das bisherige System, in dem nur ein knappes Viertel aller Studenten eine Förderung erhält, reicht bei weitem nicht aus.
Drei Körbe für ein
sorgenfreies Studieren
Die größten Chancen zur Verwirklichung hätte derzeit folgende Version des Drei-Körbe-Modells: Die Bundesregierung zahlt eine elternunabhängige Grundförderung, zum Beispiel indem sie das Kindergeld, den so genannten Ortszuschlag und die Steuerfreibeträge direkt an die Studenten überweist (Korb 1). Zusätzlich wandeln Bund und Länder das bisher gemeinsam finanzierte Bafög in einen Zuschuss um, der abhängig vom Elterneinkommen in der Höhe variiert (Korb 2). Den dritten Korb füllen öffentliche wie private Studienkredite, die jedem Studenten wiederum unabhängig vom Elterneinkommen zu möglichst günstigen Konditionen zur Verfügung stehen. Der entscheidende Vorteil des Drei-Körbe-Modells: Es ist weitgehend kostenneutral, es berücksichtigt die komplizierte Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern, und Teile davon existieren bereits: Immer mehr Banken bieten Studienkredite an (siehe Kasten), allen voran die staatliche KfW-Bankengruppe. "Hauptsache, Schavan bringt die drei Körbe nicht in Zusammenhang mit den Studiengebühren", sagt ein SPD-Unterhändler. "Dann könnte die Einigung vielleicht gelingen." Beim Stichwort Studiengebühren nämlich fällt bei Edelgard Bulmahn die Klappe, sie will nicht als Verräterin ureigener SPD-Positionen dastehen, indem sie durch ihre Mitarbeit an der Reform die Einführung der Gebühren indirekt auch noch erleichtert.
Einige Bildungsexperten befürchten daher eine "Große Stillhalte-Koalition" in Sachen Studienfinanzierung. Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Köln, sagt: "Die SPD will keine Studiengebühren, die CDU will den Bund aus der Hochschulpolitik heraushalten. Beides spricht nicht dafür, dass wir eine bundesweite Lösung sehen werden." Doch sogar die Bildungsdenkfabrik CHE (Centrum für Hochschulentwicklung), die sich in der Vergangenheit für Studiengebühren und gegen eine bundeseinheitliche Hochschulpolitik stark gemacht hat, fordert eine bundesweite, elternunabhängige Grundsicherung der Studenten. "Die Sozialverträglichkeit der Studiengebühren ist ansonsten gefährdet", warnt CHE-Leiter Detlef Müller-Böling.
Kleine Schritte statt
des großen Wurfs
Für Baden-Württembergs Wissenschaftsminister sind das Problem jedoch nicht die Studiengebühren. "Die bisherige Diskussion verkennt, dass die Lebenshaltungskosten um ein Vielfaches höher liegen", sagt Peter Frankenberg (CDU), der vergangene Woche sein Studiengebührenmodell vorgestellt hat. Demnach bietet die landeseigene L-Bank baden-württembergischen Studenten ein Darlehen von 500 Euro pro Semester, aber nur zur Finanzierung der Gebühren. Zum Bestreiten der Lebenshaltungskosten sei eine grundlegende Reform des Bafögs im Sinne des Drei-Körbe-Modells unumgänglich, betont Frankenberg und baut so elegant eine Brücke für die Gebührengegner. "Ich hoffe, dass dies in den Koalitionsverhandlungen zumindest thematisiert wird."
Frankenbergs Hamburger Kollege dagegen bremst die Erwartungen: "Es sollte keine großen Sprünge geben, sondern einen schrittweisen Prozess weg von der Ausrichtung der Förderung am Elterneinkommen hin zu einer nachgelagerten Finanzierung für alle", sagt Wissenschaftssenator Jörg Dräger. Nachgelagerte Finanzierung heißt, dass Studiendarlehen erst nach dem Examen und mit dem Erreichen einer bestimmten Einkommenshöhe beglichen werden müssen. Anderswo, etwa in Australien, ist das seit langem Praxis. "Der KfW-Studienkredit ist ein guter Einstieg, um erste Erfahrungen zu sammeln", so Dräger.
Die beiden Chefunterhändlerinnen lassen sich indes auf keinerlei öffentliche Diskussionen ein. Annette Schavan begnügt sich mit der wolkigen Formulierung, dass sie das Thema Bildungssparen, einen Unionsvorschlag aus dem vergangenen Jahr, in den Koalitionsverhandlungen zur Sprache bringen werde. Demnach könnten Eltern nach der Geburt eines Kindes jeden Monat Geld für dessen spätere Ausbildung zurücklegen – mit staatlicher Förderung. Auf dieser Grundlage könne man überlegen, "wie wir weiter vorgehen", sagt Schavan. Die SPD signalisiert bereits Zustimmung. Das war es dann aber auch schon mit den Andeutungen. Denn eines ist für die künftige Bundesbildungsministerin entscheidend: "Wir dürfen nichts tun, was die Studierenden verunsichert."
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:44)
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