Wissenschaft und Wirtschaft einigen sich erstmals auf einen gemeinsamen Forderungskatalog zur Innovationspolitik. Die Zahl der Unterzeichner übersteigt allerdings das Gewicht ihrer Argumente.
ANFANG JANUAR HABEN die Chefs der fünf größten Wissenschaftssorganisationen einen Brief an die Politik geschrieben, Titel: "Empfehlung zur Fortsetzung des Paktes für Forschung und Innovation". Das Schreiben kam bei den Adressaten (Bundestag, Bundesforschungsministerium und Gemeinsame Wissenschaftskonferenz) nicht wirklich gut an. Zu allgemein, lautete der Tenor, dem Positionspapier mangele es an richtungsweisenden neuen Ideen. "Konkret werden die fünf vor allem bei ihren Forderungen an die Politik", kommentierte auch ich damals, "ein erwartbares Papier, dem die Vision, das mutige Angebot in Richtung Gesellschaft fehlt." Die informelle Reaktion der Autoren auf all die Kritik: leicht resigniertes Achselzucken. So sei das halt gelegentlich, wenn man so viele unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen müsse.
Deutlich formulierten Max Planck, Helmholtz, Fraunhofer, Leibniz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihrem damaligen Papier eigentlich nur, dass sie "weiterhin anhaltende jährliche Zuwächse" im Rahmen des Paktes erwarten. Deutlich formulierte die Politik daraufhin in Richtung von Max Planck & Co, dass da noch mehr kommen müsse.
Monatelang kam erstmal gar nichts. Bis gestern die Frankfurter Allgemeine Zeitung vorab über ein weiteres Papier berichtete. Diesmal nicht nur unterzeichnet von den Big Five, sondern von insgesamt 22 Organisationen und Verbänden. "Ein Weckruf von Wirtschaft und Wissenschaft" sei das, titelte die FAZ, und die DFG verkündete in der begleitenden Pressemitteilung, anlässlich der beginnenden Regierungsbildung hätten sich "erstmals führende Wissenschaftsorganisationen und Wirtschaftsverbände auf gemeinsame Empfehlungen für eine wirksame Innovationspolitik verständigt". Der Stolz über ihre konzertierte Aktion ist vor allem in der Wissenschaft groß, ist das doch die kraftvolle Positionierung, die die Politik immer gefordert hat. Wobei die Frage erlaubt ist, ob sich die Wirkung eines solchen Papiers vor allem aus der Zahl der Unterzeichner oder aus den enthaltenen Vorschlägen ableitet.
Ein kurzer Inhaltscheck. Die Unterzeichner, darunter auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Leopoldina, der Pharma-Verband VFA und der Wissenschaftsrat, "unterstützen das Ziel", die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf einen Anteil von 3,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt zu steigern – freilich ein Ziel, das zu unterstützen vor ein, zwei Jahren wegweisender gewesen wäre als heute, nachdem sich vor der Wahl als letzte Bundestagsfraktion auch die Union dazu bekannt hat. Was nichts über seine Realisierungschancen aussagt, die sich mehr in der Dimension des künftigen Verteidigungshaushaltes entscheiden dürften.
Aber gut. Die Hinweise, wie die 3,5 Prozent laut Wissenschaft und Wirtschaft zu erreichen sind, lauten kurz zusammengefasst: 1. die steuerliche Forschungsförderung für F&E in Unternehmen einführen, aber (Kompromiss!) dafür bitte nicht die "bewährte Projektförderung" einschränken. 2. Die Wissenschaftspakte, inklusive Pakt für Forschung und Innovation (siehe oben), fortsetzen, Begründung: "Die Kombination von forschungspolitischen Zielen und kontinuierlichem Aufwuchs der Grund nanzierung hat sich außerordentlich bewährt." Ausgeblendet wird erneut die Unzufriedenheit vor allem in den Bundestagsfraktionen mit der bisher zu schwammigen Zielformulierung im Pakt und dem unzureichenden Monitoring. Auch diesmal: Kein Wort dazu von den Wissenschaftsorganisationen. Zumindest nicht an dieser Stelle.
Die Hochschulen dürften dagegen zufrieden sein: Das Papier fordert, nach Ende des Hochschulpakts die Mittel "unbefristet und umfassend verwendbar" weiterfließen zu lassen. Fehlt eigentlich nur noch (zum Glück!) das Stichwort "konditionslos". Punkt 3 fordert: Die technologieoffene Forschungsförderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung und des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand sollen auch Zuwächse erhalten, die "dem tatsächlichen Bedarf" entsprechen.
Punkt 4: Die Spitzenforschung soll gestärkt, Innovationen sollen gefördert werden. Sowohl "herausragende Grundlagenforschung" (hier spricht die DFG) als auch" exzellente anwendungsnahe Forschung" (darauf kann man sich immer einigen) müssten ihren "hohen Stellenwert" behalten. Ach ja, und dann gelte es noch neue Förderformate (kommen bei Punkt 5 nochmal) in den Blick zu nehmen, "die auf disruptive Innovationen" abzielen. Schade nur, dass keiner so genau weiß, wie disruptive Innovationen gezielt zu fördern sind und auch das Papier keinerlei Beispiele solcher neuer Förderformate vorschlägt.
In Punkt 5 werden die Reallabore von Fraunhofer als Erfolgsmodelle (sind sie wirklich!) gepriesen, doch dann stehen da wieder so aussagefreie Sätze wie der folgende: "Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist weiter zu fördern und mit dem Ziel zu stärken, vollständige Innovationskreisläufe von der Grundlagenforschung bis in die Anwendung und zurück abzubilden." Positiv ist die Forderung, im Rahmen sogenannter "Validierungs- und Transferaktivitäten" Technologie- und Wissenstransfer gleichermaßen zu berücksichtigen, wenn die Wissenschaft in den stärkeren inhaltlichen Austausch mit der Gesellschaft tritt also – wobei auch hier zu fragen ist, ob die Wissenschaft nicht längst von sich aus viel mehr tun könnte und sollte, anstatt erst auf mehr Förderung zu pochen.
Der letzte – 6. – Punkt schließlich ist symbolisch für fast den gesamten Punktekatalog: Die Hochschulbildung, heißt es da, bleibe wichtig, die Nachfrage hoch. Aber die duale Ausbildung und die betriebliche Weiterbildung seien "ebenfalls entscheidend". Auch an dieser Stelle sollen also alle alles bekommen. Der Orientierungswert für die Politik tendiert gegen null. Das "Lastenheft für die Politik", das die FAZ lobte, ist mehr eine Wünsch-dir-was-Liste ohne Überraschungseffekte und ohne zwingende Argumentation. Bis zu dieser Stelle.
Denn zum Glück ist das Papier mit Punkt 6 noch nicht zu Ende. Nach all den Kompromissen folgen zwei wirklich wertvolle Forderungen an die Politik: Regierung und Parlament sollten künftig stärker die Auswirkungen berücksichtigen, die geplante Gesetze auf Forschung und Innovation haben können. Implizit kann man daraus die Erwartung ableiten, dass die Politik zusätzlich die Auswirkung geltender Gesetze und Fördervorhaben nach einigen Jahren ernsthaft evaluieren sollte. Eine starke, eine wichtige Empfehlung, die unterstützt wird durch eine weitere im vorletzten Absatz des Positionspapiers: Die Förderschwerpunkte müssten "stärker als bisher ressortübergreifend und methodisch konsistent" festgelegt werden, inklusive einem Mehr an Transparenz und (ja, bitte!) einer nachvollziehbaren Förderberichterstattung.
So sind es ausgerechnet diese letzten Absätze, die wie ein Nachklapp wirken, diejenigen, die mit dem Papier ein Stückweit versöhnen. "Toll, dass Ihr 22 Euch habt einigen können", möchte man Wissenschaft und Wirtschaft zurufen, "nur bitte macht mehr aus dieser geballten Kraft." Auch wenn das mal bedeutet, das nicht jeder jeden Wunsch formulieren kann.
Das Papier finden Sie auf den Websites der unterzeichnenden Organisationen, zum Beispiel hier.
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Klaus Diepold (Mittwoch, 11 Oktober 2017 14:32)
die alleinige Tatsache, dass die Forderung formuliert wird, dass es eine verbesserte Förderung für disruptive Innovationen geben soll, lässt mich an am Sachverstand der Autoren zweifeln. Für mich ist das so wie die Forderung "Wir brauchen bessere Methoden für die Vorhersage von unvorhersehbaren Ereignissen".
Die Forderung nach mehr Geld für die Forschung kann ich aus sicht der Big Five verstehen und gut nachvollziehen. Mehr Geld für die Bildung ist auch eine gute Forderung. Verbesserte Bedingungen für Innovation ist auch in Ordnung. Die enge Kopplung zwischen Forschung und Innovation basiert allerdings auf einer traditionellen und meist falschen Vorstellung darüber, wie Innovation eigentlich funktioniert.
Marcel Schütz (Montag, 16 Oktober 2017 12:27)
@Klaus Diepold
"Die enge Kopplung zwischen Forschung und Innovation basiert allerdings auf einer traditionellen und meist falschen Vorstellung darüber, wie Innovation eigentlich funktioniert."
Danke für diesen Hinweis. Das trifft es ziemlich genau. Wo steht so etwas einmal in unseren gefühlt monatlich erscheinenden Innovationsdenkschriften über das Hochschulwesen? Wann und wo immer in der Hochschulpolitik der Innovationsbegriff bemüht wird: Was man unter Innovation versteht (und wie man sich vorstellt, sie "herstellen" zu können), weicht mitunter erheblich ab von dem, was die Innovationsforschung dazu zeigen kann. Aber derartige Entkopplung ist in Hochschuldebatten ja alles andere als neuartig. Hingegen erscheint die Feststellung aber wiederum beinahe bleibend innovativ.