Horst Hippler war ein umstrittener HRK-Präsident, viele warteten schon auf seinen Abschied. Doch dann kam DEAL.
EIGENTLICH HATTE ES längst so ausgesehen, als sei seine Karriere gelaufen. Im September ist er 71 geworden, nächstes Jahr im Juli endet seine Amtszeit als Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), und nach einem schrillen Einstieg war es zwischendurch auffällig ruhig geworden um Horst Hippler. Er sei der richtige Mann im falschen Job gewesen, bilanzierten einige bereits über seine Präsidentschaft, sprachen gar von verlorenen Jahren für die HRK. Doch mit einem Mal wirkt Hippler wieder locker, er trägt ein unnachahmliches Grinsen im Gesicht. Was passiert ist? Ganz einfach: Er darf endlich wieder das machen, was er am liebsten tut. Angreifen. Hipplers Glück trägt einen Namen. Elsevier.
Der Reihe nach. Es war im Mai 2012, der Physikochemiker war erst ein paar Tage im Amt, als er der damaligen Financial Times Deutschland ein Interview gab. „Unis müssen Downgrade befürchten“, titelte die FTD danach, der Vorschlag des neuen HRK-Präsidenten: Man könne forschungsschwache Universitäten doch zur Strafe zu Fachhochschulen herabstufen. Die Fachhochschulen waren empört. Hippler selbst attestierte sich den „Mut zur Polarisierung“.
Dazu muss man wissen, dass Hippler bei der HRK-Mitgliederversammlung drei Wochen zuvor nicht nur gegen die Stimmen der meisten Fachhochschulrektoren, sondern sogar gegen die Mehrheit der Rektoren insgesamt gewählt worden war. Da bei der Wahl die Stimmen studentenstarker Hochschulen indes mehr zählten als die von kleinen, pushten die großen Universitäten ihn ins Amt. Ein unglücklicher Start, der Hippler jedoch nicht zu beeindrucken schien. >>
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>> Schon vor seiner Wahl, damals war er noch Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), hatte der Hippler angekündigt, er wolle Schluss machen mit dem ewigen „Harmoniegetue“ in der HRK. Das war auch auf seine Vorgängerin gemünzt, die Psychologin Margret Wintermantel, die versucht hatte, die Fliehkräfte zwischen Groß und Klein, zwischen Unis und Fachhochschulen durch Ausgleich und Diplomatie zu kompensieren.
Hippler dagegen hatte als KIT-Chef die TU9 mitgegründet, den Verbund von neun Technische Unis, die sich für die besten ihrer Art in Deutschland halten, noch 2010 öffentlich den Abschied vom Diplom bedauerten und Hippler zu ihrem Gründungspräsidenten wählten. Das Problem für Hippler, als er HRK-Präsident wurde: Wintermantel hatte die ansonsten meist unentschiedene Organisation ausgerechnet als entschiedene Vorkämpferin der Bologna-Studienreform positioniert und den Bachelor selbst auf dem Höhepunkt der Studentenstreiks 2008/2009 wortreich verteidigt.
Hippler wartete nach seiner Wahl genau drei Monate, dann gab er der Süddeutschen Zeitung ein Interview. „Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker“, verkündete er im August 2012. Eine Universität müsse mehr leisten als Ausbildung, nämlich Bildung. „Das tut sie mit dem Bachelor nicht.“ Hipplers Äußerungen seien nicht mit ihnen abgestimmt gewesen, beeilten sich viele Rektoren zu versichern. „Unzulässige Verkürzungen“ seien das. Wenn Hippler so weitermacht, setzen wir ihn ab, sagten einige sogar. „Wie viel Horst Hippler verträgt die Hochschulrektorenkonferenz?“, fragte Spiegel Online. Vor der nächsten HRK-Mitgliederversammlung im November 2012 wurden Putschgerüchte kolportiert.
Plötzlich eierte Hippler herum
Auch seine Unterstützer wurden nervös. Der ist doch eigentlich ein netter Kerl, sagten sie, er provoziert halt gern, okay. Aber bislang wusste er immer, wann es genug ist. Im HRK-Präsidium rumorte es so stark, dass der Streit längst nicht mehr nur hinter den Kulissen ausgetragen wurde. Hippler trete erkennbar als Präsident der Universitäten auf und „nicht für die Interessen der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ein“, sagte zum Beispiel der damalige HRK-Vizepräsident und Neubrandenburger FH-Rektor Micha Teuscher.
So unbeeindruckt er sich nach außen gab, die Debatten um seine Amtsführung hinterließen mit der Zeit Spuren bei Hippler. Nicht dass er sich je verleugnete. Aber ewig der Buhmann zu sein, das macht vermutlich am Ende doch müde. Irgendwann konnten Journalisten ihn nicht mehr zu jeder Zuspitzung verleiten, und wenn er über die Bologna-Reform sprach, eierte er mit einem Mal herum. Fand sie nicht wirklich schlecht. Nicht wirklich gut. Man musste ihm jetzt manchmal lange zuhören, um zu wissen, was er sagen wollte. Mit dem Ergebnis, dass er höchstens noch ein bisschen aneckte und die HRK-Kollegen ihm die öffentlichen Zurechtweisungen ersparten. 2015 sicherte ihm das die Wiederwahl und seine zweite Amtszeit.
Die Kehrseite war nicht nur, dass die HRK (Slogan „Stimme der Hochschulen“) und ihr Präsident seltener in den Medien auftauchten, während etwa der Deutsche Hochschulverband, eine Professorengewerkschaft mit klar einseitiger Mission, sich zum Lautsprecher vermeintlicher Universitätsinteressen aufschwang. Das Problem war auch, dass Hippler, der begnadete Rhetorik-Raufbold, plötzlich lustlos wirkte. Es ging jetzt um andere Themen: Exzellenzinitiative, die Fortsetzung der Wissenschaftspakte. Gedankenverloren saß er auf manchem Podium und sagte zwischendurch das, was man halt so sagt als HRK-Präsident. Oder von dem die Leute denken, dass ein HRK-Präsident es sagen sollte. Besser als zuvor ging es der Hochschulrektorenkonferenz durch den Mangel Hipplerscher Polarisierung auch nicht.
Und dann kam die Sache mit Elsevier. Sie schlich sich an, und zunächst sah es nicht so aus, als könnte das Thema große Emotionen wecken, erst recht nicht bei einem wie Horst Hippler. Das Schlüsselwort lautete DEAL: „die bundesweite Lizensierung von Angeboten großer Wissenschaftsverlage“.
Und dann kam DEAL
Doch was sperrig–langweilig nach einer Fingerübung für Juristen klingt, ist in Wirklichkeit ein Kampf um Abermillionen Euro. Die Publikation von Forschungsergebnissen findet traditionell in renommierten Journals statt, allein der niederländische Verlag Elsevier veröffentlicht über 2000 – mittlerweile elektronische – Zeitschriften. Für die Journals mussten die Hochschulen, Institute und Bibliotheken bislang Abo-Gebühren zahlen, und weil die Marktmacht sich auf wenige Großverlage konzentriert, konnten diese den einzelnen Abnehmern ihre Preise diktieren. Bis dahin, dass eine Uni, wenn sie eine bestimmte Zeitschrift wollte, schon mal ein paar andere weniger begehrte im Bündel dazubuchen musste – eben weil es das Preismodell der Verlage so vorsah. Unglaubliche 40 Prozent soll die Profitmarge zwischenzeitlich allein bei Elsevier betragen haben.
Und hier setzte DEAL an. Anstatt einzeln mit den Verlagen zu verhandeln und dabei hoffnungslos unterlegen zu sein, taten sich Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen zusammen, um auch eine Marktmacht zu haben. Sie forderten von Elsevier & Co einen nationalen Vertrag, Kerninhalt: eine „angemessene Bepreisung nach einem einfachen, zukunftsorientierten Berechnungsmodell, das sich am Publikationsaufkommen orientiert.“ Parallel will die Wissenschaft eine „Open-Access-Komponente“, damit die Einrichtungen nicht doppelt an die Verlage zahlen, wenn sie schon die Open-Access-Veröffentlichung finanziert haben.
Die Verlage dachten zunächst, das Thema aussitzen zu können. Indem sie in Frage stellten, ob die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, in der die großen Forschungseinrichtungen und auch die HRK zusammengeschlossen sind, überhaupt ein Mandat habe zu solchen Verhandlungen. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels reichte sogar eine am Ende erfolglose Kartellbeschwerde gegen die DEAL-Allianz ein und drehte den Vorwurf um: Die Wissenschaft missbrauche rechtswidrig ihre Marktmacht und verschlechtere drastisch den Zugang kleinerer Verlage. Unterdessen rechnete Elsevier vor, dass der Preis pro Artikel ja längst deutlich gefallen sei, zwischen 2011 und 2015 um 3,6 Prozent – und zwar jedes Jahr.
Doch sie hatten ihre Rechnung nicht mit dem Mann gemacht, den die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, welch schlaue Entscheidung, zu ihrem Verhandlungschef gemacht hatte: Horst Hippler. Denn in seiner neuen Rolle darf er endlich wieder ärgern und austeilen. Alles für die gute Sache. Denn, welch ungewöhnliche Erfahrung für ihn, je mehr er ärgert und austeilt, desto mehr führt er die Wissenschaft zusammen.
Schaut man sich den Zeitstrahl auf der DEAL-Website an, wurde es für den HRK-Präsidenten schon von 2015 an so richtig interessant: „Eskalation vorbereiten“ steht da. Und genau das tut Hippler seitdem. 2016 begannen die Verhandlungen zunächst mit Elsevier, den die HRK wegen seiner umstrittenen Preispolitik als schwierigsten Brocken sah. Um den Druck zu erhöhen, kündigten 60 Forschungsinstitutionen, orchestriert von der HRK, ihre bestehenden Einzelverträge zum Jahresende. Doch das Angebot, das Elsevier Anfang Dezember vorlegte, wies Hippler zurück. Die wollten noch mehr Geld anstatt weniger, schimpfte der HRK-Präsident, auf die Open-Access-Komponente wollten sie gar nicht einlassen, und jetzt drohten sie auch noch damit, den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre Zugänge abzuschalten.
Böse Verlage, gute Wissenschaft?
Böse Verlage, gute Wissenschaft: Wer sich die rechtliche Materie hinter den Verhandlungen anschaut, sieht schnell, dass es so einfach nicht ist. Macht aber nichts. Es ist eine wirkungsvolle Geschichte, die sich da erzählen lässt, schön polarisierend, und keiner erzählt sie so gut wie Horst Hippler. Die Verhandlungen scheinen ihm längst verloren geglaubte Energie zurückzugeben.
In den Zeitungen ist er präsent wie selten, in öffentlichen Diskussionen spitzt er wieder zu, übrigens nicht nur zum DEAL-Thema. Und immer öfter ist da dieses Lächeln in seinem Gesicht, das seinen Schnauzer hochzieht und seine Augen zu kleinen Leuchtpunkten werden lässt. Es sind die Momente, in denen er nicht wie Hippler, der Grantler aussieht, sondern wie der nette, gutmütige Kerl, der, wie viele seiner Kollegen und Mitarbeiter behaupten, in Wirklichkeit immer nur spielen will.
Elsevier befindet sich längst in der Defensive. Hannfried von Hindenburg, Senior Vice President „Global Communications“ bei Elsevier, kündigte an, selbstverständlich würden alle Institutionen auch nach dem Auslaufen ihres Abos vorerst weiter versorgt. In den vergangenen Monaten sucht von Hindenburg auffällig oft das Gespräch mit Wissenschaftspolitikern und Rektoren, er trifft Wissenschaftsjournalisten zu Hintergrundgesprächen. Versucht zu vermitteln, warum das mit dem DEAL-Vertrag bei allem guten Willen deutlich komplexer sei, als Hippler es öffentlich darstellt.
Der HRK-Präsident hat unterdessen die Verhandlungen mit den Großverlagen Wiley und Springer/Nature gestartet, und die scheinen wenig Interesse daran zu haben, Elseviers Beispiel zu folgen und ebenfalls in Hipplers Schusslinie zu geraten. „Zielorientiert und konstruktiv“ seien die Gespräche mit Wiley, konstatierte Hippler Ende September. Mitte Oktober teilten HRK und Springer Nature mit, sie hätten „in grundsätzlichen Fragen bereits Annäherung erzielen“ können.
Die einen in der Spur, die anderen (Elsevier) legen sich, einer aktuellen Zuspitzung des Horst Hippler folgend, „auf die Schienen“. Hippler sagt: „Wir kommen mit Springer/Nature und Wiley voran. Dort hat man klar gesehen, dass gewinnt, wer die Zeichen der Zeit erkennt.“ Elsevier dagegen kämpfe „mit harten Bandagen“ und versuche, die Wissenschaftsseite auseinander zu dividieren. Dass Hippler derweil das gleiche – und offenbar erfolgreich – mit den Verlagen tut: geschenkt.
Hippler provoziert – und sie lieben ihn dafür
Der HRK-Präsident setzt noch einen drauf: Dass Elsevier sich nicht mehr lange konstruktiven Verhandlungen verschließen könne, zeigten die prominenten Rücktritte von Herausgebern, sagt er. Rücktritte, die der HRK-Präsident natürlich ebenfalls selbst in persönlichen Schreiben an zahlreiche Wissenschaftler angeregt hatte. Zuletzt erklärte der frühere Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Wolfgang Marquardt, öffentlichkeitswirksam seinen Rücktritt von der Herausgebertätigkeit für Elsevier-Zeitschriften. Die DEAL-Website verzeichnet mittlerweile neun Namen: Forscher von Max Planck, von Hipplers alter Hochschule, dem KIT oder auch von der Universität Konstanz. „Und da werde noch einige folgen“, prophezeit Hippler bewusst wolkig und irgendwie genüsslich zugleich – als arbeite er schon an den nächsten Überraschungen.
Und was passiert, wenn Hipplers HRK-Präsidentschaft nächstes Jahr zu Ende ist? Ja, und dann munkeln sie schon in der Allianz, könnten sie ihn ja zum DEAL-Verhandlungsführer in Vollzeit zu machen – bis auch der letzte Verlag eingeschwenkt ist. Welch Drohung an Elsevier & Co – und welch Genugtuung für Horst Hippler: So oft ist er angeeckt, und jetzt ist es ausgerechnet seine Lust zu provozieren, die ihm die Sympathien der Szene zufliegen lässt. Manche Geschichten in der Wissenschaft sind so schön, die kann man sich gar nicht ausdenken.
Nachtrag am 08. Januar 2018:
"Zwingen Deutschlands Hochschulen den wissenschaftlichen Verlagsgiganten Elsevier in die Knie und schaffen sie am Ende vielleicht einen internationalen Präzedenzfall?", fragt der ZEITChancen Brief heute und zitiert einen THE-Artikel. "Im Moment sieht es fast danach aus." Jedenfalls haben sich Horst Hipplers wolkige Ankündigungen aus dem Oktober erfüllt – die nächste Überraschung kam noch im Dezember. Viele weitere Universitäten haben ihre Verträge mit Elsevier zum Jahresende gekündigt, darunter die Humboldt- und die Freie Universität. Abgeschnitten von der Literaturversorgung sind sie trotzdem nicht, denn der Verlag will, wie schon nach der letzten Kündigungswelle, den Zugang für die Hochschulen für die Dauer der Verhandlungen offenhalten. Und der Bericht bei Times Higher Education und wenige Wochen zuvor in nature zeigen: Je aufmerksamer der Rest der Welt zuschaut, desto mehr wird die Auseinandersetzung mit der deutschen Wissenschaft wird für Elsevier zum grundsätzlichen Problem.
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Detlef Diesing (Montag, 08 Januar 2018)
Hippler provoziert – uns sie lieben ihn dafür
Ist eventuell und mit d gemeint ?
Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 09 Januar 2018 07:59)
Vielen Dank, lieber Herr Diesing, für den Hinweis und das genaue Lesen. Ich habe den Fehler korrigiert.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:49)
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