Die Promovierenden von Helmholtz, Max Planck und Leibniz haben einen gemeinsamen Dachverband gegründet. Wie sie vereint der Politik Beine machen wollen, sagt Leonard Borchert.
Herr Borchert, im Frühjahr haben Sie und Ihre Mitstreiter N² gegründet, als Netzwerk der Doktoranden-Netzwerke vom Helmholtz, Max Planck und Leibniz. Ist das nicht ein bisschen viel Meta-Ebene?
Wenn ich Sie richtig verstehe, fragen Sie nach dem Mehrwert von N², weil jede einzelne außeruniversitäre Forschungsorganisation schon ihr eigenes Promovierendennetzwerk hat. In der Tat könnte man ein solches Dachnetzwerk für überflüssig halten, wenn denn die Belange von uns Doktorand_innen in der Wissenschaftspolitik bereits ausreichend Beachtung fänden. Tatsächlich aber konnten Bundesforschungsministerin Wanka und andere bislang fast unwidersprochen behaupten, die Karriereperspektiven für junge Wissenschaftler_innen würden „immer attraktiver“. Als Zusammenschluss hoffen wir auf mehr Sichtbarkeit und können auch unsere Öffentlichkeitsarbeit viel besser organisieren. Kürzlich haben wir unsere erste gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht und sagen darin ganz klar: Ministerin Wanka hat Unrecht.
Sie selbst promovieren zum Thema Klimamodellierung – und dann?
Ich bin auch so einer, der in der Wissenschaft bleiben möchte, und das schon seit meinem ersten Schülerpraktikum im Landesmuseum Hannover. In der neunten oder zehnten Klasse war das, und schon damals haben sie mich gewarnt. Aber natürlich bin ich trotzdem in mein Studium gestartet mit dieser romantischen Vorstellung, welch ein cooler Job der eines Wissenschaftlers ist. Und das glaube ich bis heute. Wo sonst wird man dafür bezahlt, seiner Neugier zu folgen, Neues zu erforschen und auszuprobieren? Doch seit ich promoviere, hat sich in meiner Wahrnehmung etwas verschoben.
Und das wäre?
Ich dachte immer, wenn man sich reinhängt und anstrengt, dann schafft man es in der Wissenschaft automatisch. Dann eröffnet sich irgendwann die berufliche Perspektive, auf die man hingearbeitet hat. Doch in Wirklichkeit ist da ein gleichbleibender Druck, eine hohe Unsicherheit. Und selbst diejenigen, die irgendwann auf einer Professur ankommen, sind konfrontiert mit einer enormen Arbeitsverdichtung. Sie müssen forschen, publizieren, zwischendurch ins Ausland. Familienfreundlich ist das alles nicht.
Keiner zwingt Sie, in der Wissenschaft zu bleiben.
Und weil das so ist, steigen die meisten tatsächlich aus. Ich bin Sprecher des Max Planck PhDnet, und da haben wir neulich eine Umfrage unter den Max-Planck-Promovierenden gemacht. Von allen Befragten sagten 80 Prozent, sie würden gern in der Wissenschaft bleiben. Laut Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs können aber angesichts von Zeitverträgen, niedriger Bezahlung und maximaler zeitlicher Belastung nur 20 Prozent in der Forschung bleiben. Darum orientieren sich die anderen um.
Vielleicht sind die 80 Prozent, die gehen, ja auch die Leute, die die Wissenschaft ohnehin nicht haben will.
Weil sie vielleicht Lust haben, eine Familie zu gründen oder ein Leben neben der Forschung zu haben? Es wäre doch dramatisch, wenn wir all jenen, die sich Kinder wünschen oder andere private Ziele verfolgen, die Botschaft vermitteln würden: Ihr habt in der Wissenschaft nichts verloren. Nur weil jemand nicht für die Wissenschaft allein leben möchte, ist er oder sie keine schlechtere Wissenschaftler_in. Im Gegenteil: Ich finde, wir müssen die Wissenschaft so attraktiv machen, dass die Besten in der Wissenschaft bleiben und nicht abwandern, weil die Bedingungen anderswo erträglicher sind.
Die Wissenschaft vertreibt also ungewollt die besten Leute?
Zumindest verliert sie jede Menge Leute, die ihr ausgesprochen guttun würden. In Hochschulen und Forschungseinrichtungen gelten immer noch Wissenschaftler_innen als brillant, die im letzten Detail stecken, die Fragestellungen bis in die zehnte Nachkommastelle ergründen. Dagegen will ich auch gar nichts sagen. Aber es schadet der Wissenschaft, wenn gleichzeitig jene abwandern, die den Blick aufs Große und Ganze haben, die sich eindenken können in die Belange von Gesellschaft und Wirtschaft, die womöglich auch den wissenschaftlichen Nachwuchs ganz anders betreuen würden oder besonders talentiert in der Lehre wären. Doch die landen derzeit eben eher in Unternehmensberatungen oder anderswo.
Die Politik verweist auf die Verbesserungen der jüngsten Zeit. Streiten Sie wirklich ab, dass die Lage für Doktoranden und Postdocs heute günstiger ist als noch vor einigen Jahren?
Es gibt tatsächlich einige Sachen, die glücklicherweise inzwischen besser laufen. Dazu zähle ich die Reform der Promotionsförderung bei Max Planck, wo von Stipendien auf sozialversicherte Arbeitsverträge umgestellt wurde. Auch die Zahl strukturierter Promotionsprogramme wächst zum Glück, sie bringen mehr Verlässlichkeit, eine klare Organisation und meist auch eine bessere Finanzierung.
Und wo sehen Sie den dringendsten Veränderungsbedarf?
Da muss ich nochmal was zur Familienfreundlichkeit der Wissenschaft sagen. Nur sieben Prozent der Promovierenden in der Max-Planck-Gesellschaft haben Kinder, und das bei einem Durchschnittsalter von Ende 20, Anfang 30. Das muss uns doch zu denken geben. Auch bei der Finanzierung sieht es in anderen Wissenschaftsorganisationen und Universitäten immer noch finster aus. Da läuft immer noch viel über Stipendien. Und selbst die Leute, die auf einer regulären Stelle sitzen, bekommen 50 Prozent bezahlt, arbeiten aber mindestens Vollzeit. In unserer Umfrage, an der immerhin 2000 Promovierende teilgenommen haben, kommen wir auf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 47 Stunden. Kein_e Doktorand_in verlangt eine 35-Stunden-Woche, aber angesichts von 50- oder 65-Prozent-Verträgen ist die Diskrepanz dann doch zu groß. Und das ist absolut kein exklusives Max-Planck-Problem.
Wie wollen Sie das Problem mit den mangelnden Karriereperspektiven lösen? Der Flaschenhals zwischen Promotion und Professur ist doch, wie er ist.
Nicht zwangsläufig. Wir fordern in einer Stellungnahme, die wir als N² vor ein paar Wochen veröffentlicht haben, flachere Hierarchien und eine Stärkung des wissenschaftlichen Mittelbaus. So unterstützen wir beispielsweise den Vorstoß der Jungen Akademie, die Department-Strukturen an die Stelle von Lehrstühlen setzen möchte. Übrigens noch aus einem anderen Grund. Wissenschaft gibt sich international, ist es auch auf der Ebene der Promovierenden, aber sicherlich nicht auf der Ebene der Professuren. Ein Lehrstuhl-Inhaber, der Einfluss auf die Karrierechancen vieler hat, wird im Zweifel immer ein Stückweit sich selbst kopieren in seiner Nachwuchsförderung. Und das hilft nicht der Vielfalt, wenn wir doch wissen, dass die meisten Lehrstuhlinhaber weiße Männer sind.
Departments statt Lehrstühle mag rechnerisch mehr Professuren bringen, aber die meisten werden den Sprung trotzdem nicht schaffen.
Weshalb wir uns auch fordern, mehr feste Wissenschaftler_innenstellen unterhalb der Professur einzurichten, auf denen Forscher unabhängig und frei arbeiten können.
Das hilft genau einer Generation von jungen Wissenschaftlern, und dann sind die festen Stellen wieder auf viele Jahre dicht.
Das sind sie faktisch doch auch jetzt. Schauen Sie doch mal, wie viele Leute über zehn, 15 Jahre auf immer wieder neuen Zeitverträgen hocken. Wenn Sie denen berufliche Sicherheit geben, ändert das die Stellenstruktur praktisch gar nicht. Aber subjektiv macht es einen riesigen Unterschied und die Änderungen wären sogar nachhaltig.
Um die Vielfalt in der Wissenschaft zu erhöhen, fordern Sie auch einen „Pakt für Diversität“. Wie sollte der aussehen?
Wir stellen uns eine Vereinbarung vor, die angelehnt sein sollte an den Nachwuchspakt. Es geht um ein klar definiertes Diversity Management, das gleiche Bezahlung vorsieht, wo nötig, auch Quoten, und das die internationale Mobilität junger Wissenschaftler_innen fördert. Warum geben wir Postdocs, die nach Deutschland gehen wollen, nicht viel häufiger eine Art finanzielle Starthilfe? Wir müssen vernünftige Regelungen für die Elternzeit definieren und die Kinderbetreuung in der Promotionsphase sicherstellen. All das gehört für uns zur Förderung von Diversität.
Alles Forderungen, die Sie im Verband mit den Kollegen von Helmholtz und Leibniz lautstärker als bislang vertreten wollen. Warum ist Fraunhofer eigentlich nicht dabei?
Das hat was mit den Traditionen der einzelnen Netzwerke zu tun. Unser Max Planck PhDnet und die Helmholtz Juniors gibt es schon seit über zehn Jahren, wir besuchen uns bei unseren Generalversammlungen gegenseitig und reden über gemeinsame Probleme und Lösungsansätze. Da hatten wir irgendwann die Idee, auch Leibniz und Fraunhofer ins Boot zu holen, woraus dann auch die Gründung des Leibniz-Netzwerks vergangenes Jahr resultierte. Mit den Fraunhofer-Leuten sind wir im Gespräch, aber deren Interessenlage ist etwas anders. Durch den hohen Grad an Industrieforschung haben dort schon einige eine Vollzeitstelle, und die persönliche Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen scheint höher zu sein; das ist aber nur mein subjektiver Eindruck.
Heute laden Sie mit N² auch zu Ihrer ersten Veranstaltung ins Berliner Museum für Naturkunde. Motto: „Science Beyond Borders“.
Es hat uns selbst überrascht, wie schnell unser Science Festival ausgebucht war. Es findet im Rahmen der Berlin Science Week statt, und die Organisation war ein Riesenaufwand, alles von Promovierenden selbst organisiert und zu hundert Prozent im Ehrenamt – finanziert übrigens von unseren jeweiligen Mutterorganisationen. Wir wollen die Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst ergründen. Ist Wissenschaft vielleicht selbst eine Kunst? Gut 100 Leute haben sich angemeldet. Im Anschluss an die Veranstaltung setzen sich die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler unserer drei Netzwerke zusammen, nochmal über 150 Leute. So können wir richtig was bewegen; ich spüre schon das Kribbeln im Bauch.
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Th. Klein (Dienstag, 07 November 2017 13:48)
"... finanziert übrigens von unseren jeweiligen Mutterorganisationen."
Da stellt sich die Frage, wie unabhängig diese Vertretung überhaupt ist.