Die lautstärksten Repräsentanten der aktuellen Studierendengeneration stammen in Wirklichkeit oft aus der Generation davor.
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JEDER, DER REGELMÄSSIG an Universitäten unterwegs ist, kennt sie. In Diskussionsveranstaltungen sind sie oft die einzigen Studenten im Publikum. Wenn sie das Mikrofon ergreifen, folgt erst mal ein Zitat von Heinrich Heine, Karl Marx oder Carl von Ossietzky. Sie sitzen mit Vorliebe in den Asta-Büros, auch wenn ihre eigene Zeit als gewählte Studentenvertreter oft schon zehn, 15 Jahre her ist. Und wenn Journalisten nach Gesprächspartnern suchen, um über „die aktuelle Lage der Studierenden“ zu reden, sind sie die ersten, die druckreife Sätze in die Blöcke diktieren.
Während das Durchschnittsalter der Erstabsolventen deutscher Hochschulen zwischen 2004 und 2014 um fast anderthalb Jahre auf 24,4 gesunken ist, müssen einige ihrer lautstärksten Repräsentanten bei der Frage nach ihrem Studiensemester erst mal passen. Weil sie längst mit dem Zählen aufgehört haben. Jetzt könnte man schmunzeln und sagen: Ist doch nett, dass es solche Originale noch gibt in Zeiten der durchorganisierten Bologna-Universitäten und all der angeblich ständig gehetzten Kreditpunkte-Sammler. Das Problem ist jedoch, dass sie mit ihren Äußerungen ein Bild studentischer Gefühlslagen beschreiben, das längst nicht mehr der Realität entspricht.
Gut lässt sich das gerade in Berlin und anderswo bei der Debatte um die Drittel- beziehungsweise Viertelparität beobachten: Kann man ja machen. Man kann möglicherweise sogar triftige Gründe dafür finden, warum ein Mehr an mittelalterlich anmutender Ständevertretung die Hochschulen demokratischer machen soll. Aber entspricht die Intensität, mit der beileibe nicht nur die gewählten Studentenvertreter das Thema verfolgen, wirklich den drängendsten Problemen und Wünschen der heutigen Studenten? Und wenn die Alten den Verlust von Diplom und Magister beklagen, merken sie nicht die Diskrepanz zu den Umfragen, denen zufolge sich die Mehrheit der Studenten um Studienfinanzierung und Wohnungssituation Gedanken macht, mit der fachlichen Qualität ihrer Lehrveranstaltungen aber sehr zufrieden ist? Wahrscheinlich schon, aber selbst das passt ins Bild, denn der Bachelor macht die Jungen zum Gefangenen eines Systems, dessen Perfidität sie am Ende gar nicht mehr erkennen können.
Die Ironie ist, dass an letzterer Kritik sogar etwas dran ist. Während die Jungen vor allem an ihren Jobeinstieg denken und beim Studieren Tempo machen, lassen sie die Alten für sich reden. Und nehmen in Kauf, dass die Hochschulpolitiker sich an einige der wichtigsten Themen nicht mehr herantrauen, weil die professionellen (nicht zwangsläufig die gewählten!) Studierendenvertreter ihnen sonst die Hölle heiß machen. Verpflichtende Beratung, mehr Orientierung im Studium? Bloß nicht! Die Verschulung ist schon schlimm genug. Nachgelagerte, sozialverträgliche Studiengebühren, damit die Studienbedingungen jetzt besser sind? Auf keinen Fall, das wäre neoliberal. Mehr FH-Studienplätze zulasten der Universitäten? Besser nicht, wo bleibt sonst Humboldts Bildungsideal?
Jede Generation bekommt die Studierendenvertreter, die sie verdient. Auch wenn sie aus der vorigen Generation stammen. Wenn die Jungen nicht bald selbst aktiver werden, können sie sich über die Alten nicht beschweren.
Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEITChancen Brief.
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Klaus Diepold (Dienstag, 07 November 2017 09:54)
Das klingt ein wenig wie der BREXIT-Effekt. Die junge Generation fühlt sich durch das Abstimmungsergebnis von der älteren Generation ihrer Zukunft beraubt. Wären nur mehr junge Leute zum Wählen gegangen ...
Wenn ich dann sehe, dass bei der Hochschulwahl die Wahlbeteiliung bei den Studierenden nur einstellige Prozentzahlen erreicht, dann ist die Legitimation sogar der gewählten Studierendenvertreter in den Gremien eher schwach.
Alexander Mitterle (Donnerstag, 09 November 2017 10:29)
"Aber entspricht die Intensität, mit der beileibe nicht nur die gewählten Studentenvertreter das Thema verfolgen, wirklich den drängendsten Problemen und Wünschen der heutigen Studenten?"
Die Frage suggeriert faktisch, dass sich Bildung an den "Problemen und Wünschen der heutigen" Studierenden, als Quasi-Konsumenten, zu orientieren hätte. Selbst wenn Bildung keine Staatsaufgabe wäre (was sie ist und somit erübrigt sich die Frage), ist es für ein Bildungssystem zumindest bedenklich Studierende als Experten ihrer eigenen kognitiven Wissensaneignung, also ihres Nichtwissens, zu führen (wie das etwa in Evaluationen gerne erprobt wird). Es ist - und hier gebe ich ihnen zumindest teilweise Recht - schon grundsätzlich problematisch Studierende als Experten für irgendwas zu führen (etwa Qualität). Das gilt aber auch für Kommentatoren, die meinen "verpflichtende Beratung" "nachgelagerte, sozialverpflichtende Studiengebühren" wären mehr als normative Anforderungen eines selbstreferentiellen Diskurses, der es tunlichst vermeidet die Funktion (und Effekte) von Massenbildung in der Gesellschaft zu adressieren. Wenn Studierende - von mir aus, nicht als Vertreter, sondern als Irritation - diese thematisieren, leisten sie zumindest mehr als jene, die Hochschulbildung kritisch zu begleiten glauben aber leider doch recht wenig dazu sagen.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:51)
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