Bei der Exzellenzstrategie ist der Cluster "Normative Ordnungen" durchgefallen. Wissenschaftler aus aller Welt fordern in einem Brief: Das darf nicht das Ende für den Forschungsverbund sein. Hessens Wissenschaftsminister Rhein reagiert prompt.
DER EXZELLENZCLUSTER „Normative Ordnungen“ an der Frankfurter Goethe-Universität zählt zu den bekanntesten Forschungsverbünden in den Geistes- und Sozialwissenschaften der Bundesrepublik insgesamt. Entsprechend groß war die Überraschung, als der seit 2007 geförderte Cluster schon beim Vorentscheid der neuen Exzellenzstrategie (ExStra) Ende September aus dem Wettbewerb kippte.
Jetzt haben sich fast 80 Wissenschaftler aus aller Welt zusammengetan, um in einem Offenen Brief gegen das drohende Aus des Clusters zu protestieren. Unter dem Briefkopf der Yale-Universität haben die Initiatoren Seyla Benhabib und Charles Larmore, die beide im internationalen Beirat der „Normativen Ordnungen“ sitzen, ein Who is Who der internationalen Forscher-Community als Mitunterzeichner versammelt: aus den USA, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Indien und weiteren Staaten. Die bekannte Philosophin, Politikwissenschaftlerin und gegenwärtige Präsidentin der American Philosophical Association, Nancy Fraser, ist genauso darunter wie die Harvard-Professorin und ehemalige Präsidentin der American Political Science Association, Jane Mansbridge. Auch ein knappes Dutzend deutscher Wissenschaftler steht auf der Liste (siehe unten), darunter Jürgen Habermas, Julian Nida-Rümelin und Hartmut Rosa.
„Wir wollen mit größtmöglichem Nachdruck unsere Besorgnis und unsere Enttäuschung zum Ausdruck bringen“, heißt es in dem Schreiben, dass dem Cluster „von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine Verlängerung der Förderung für seine wissenschaftliche Arbeit“ versagt worden sei. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Frankfurter Forschern seien „bedeutsame Bände“ entstanden, anregende Konferenzen hätten stattfinden können. Ehemalige Studenten des Clusters, die exzellent seien, befänden sich mittlerweile auf Positionen an Universitäten überall auf der Welt. „Kurz gesagt sind wir der Meinung, dass die Frankfurter Kollegen ein wirkmächtiges Zentrum für die philosophische, aber auch die empirische Bearbeitung der wichtigsten sozialen, politischen und ethischen Fragen unserer Zeit aufgebaut haben, das sich in Bezug auf seine Qualität und die Originalität der betriebenen Forschung weltweit an der Spitze befindet“.
Auch wenn die Unterzeichner betonen, sie wollten mit ihrem Schreiben nicht den Evaluationsprozess der DFG in Frage stellen, tun sie es indirekt natürlich doch. Schon dem ExStra-Vorläufer Exzellenzinitiative hatten Kritiker eine Einseitigkeit zugunsten der Natur- und Lebenswissenschaften vorgeworfen.
Bei der Vorentscheidung Ende September hatte eine international besetzte Jury aus 195 Cluster-Skizzen 88 Projekte ausgewählt, die nun bis Ende Februar einen Vollantrag abgeben dürfen. Waren die eingereichten Skizzen von ihren thematischen Schwerpunkten her noch in etwa gleich verteilt auf die vier von der DFG klassifizierten Fächergruppen – Geistes- und Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Lebenswissenschaften und Naturwissenschaften – so kamen die Geistes- und Sozialwissenschaften bei der Vorauswahl nur noch auf 19 Prozent der Vollanträge, die Naturwissenschaften erreichten 31 Prozent.
Die Briefeschreiber bekräftigen ihr Unverständnis, dass ausgerechnet die „Normativen Ordnungen“ zu den Aussortierten zählten: Der Cluster habe wahrhaftig herausragend die intellektuellen Ziele erreicht, die die Exzellenzinitiative gesteckt habe. „Es wäre ein furchtbarer Verlust für die internationale Forscher-Community, nicht nur in den USA, sondern in vielen Ländern weltweit, wenn die Arbeit des Clusters abreißen würde.“
Der Brief endet mit einem Appell an das Bundesland Hessen und „andere Institutionen der Forschungsförderung in Deutschland“, das ihnen Möglichste zu tun, um die Weiterführung dieses „extrem erfolgreichen“ Clusters zu sichern.
Die DFG teilte mit, sie werde das Schreiben nicht kommentieren, da weder sie selbst noch das Verfahren kritisiert werde und auch die Adressaten des Offenen Briefes andere seien. Der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) sagte in einer unmittelbaren Reaktion, der Exzellenzcluster seit "etwas Einzigartiges. Wir müssen uns daher sehr genau anschauen, woran es gelegen hat, dass der Antrag die erste Hürde nicht geschafft hat." Er wolle sich aber sehr klar hinter die Beteiligten stellen, die eine "großartige Arbeit" leisteten: "Das Land Hessen wird sie weiter unterstützen.“
Kommentar schreiben
tmg (Freitag, 17 November 2017 16:11)
Ein etwas peinliches Theater. Wenn nun schon öffentliche Protestbriefe
geschrieben werden, um die (bisherige) Exzellenz und Unverzichtbarkeit des Clusters zu belegen, könnte man seitens Frankfurt doch auch das DFG-Gutachten veröffentlichen, das zur Ablehnung der Skizze geführt hat, um auch die 'andere Seite' zu Wort kommen zu lassen.
Klaus Diepold (Montag, 20 November 2017 10:27)
Wenn das Ergebnis einer DFG Begutachtung ein wissenschaftlich diskursfähiges Dokument ist, dann wäre eine Veröffentlichung in der Tat eine lehrreiche Lektüre. Leider ist diese wissenschaftliche Satisfaktionsfähigkeit nicht sichergestellt.
Ich finde es bemerkenswert, dass es bisher nicht öfter einen international intonierten Aufschrei gab, wenn Cluster bei der DFG Begutachtung durchgefallen sind. Ich kennen durchaus Beispiele, wo sich internationale Beobachter ungläubig die Augen reiben, ob der ein oder anderen, bizarr erscheinenden Entscheidung. Selbst DFG Senatoren geben zu, dass diese Entscheidungen über Forschungsgroßprojekte oft auch von der Tagesform des Berichterstatters im DFG Senat oder von der politischen Großwetterlage abhängt. Mich würde interessieren, wie dieser Sachverhalt in einen veröffentlichbaren Bericht übertragen werden kann.
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:53)
1