Das Netzwerk Wissenschaftsmanagement möchte eine Debatte zur Zukunft der Organisation Hochschule anzetteln. Zum Glück läuft die schon.
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DERZEIT ERLEBEN POSITIONSPAPIERE eine erstaunliche Renaissance. „Wer liest die denn?“, hieß es vor nicht allzu langer Zeit über derlei Schriften, die meist in großer Runde und in langwierigen Diskussionsprozessen entstehen – so groß und so langwierig, dass am Ende kaum noch Unrundes übrigbleibt.
Doch in letzter Zeit haben einige Positionspapiere tatsächlich starke Reaktionen ausgelöst. Die Junge Akademie forderte „Departments statt Lehrstühle“, das Forum Hochschulräte warnte vor der Übermacht der Professoren, und das Promovierenden-Netzwerk N² widersprach per Positionspapier Bundesforschungsministerin Wanka, dass Wissenschaftlerkarrieren „immer attraktiver“ würden. Sogar die Wissenschaftsminister der 16 Länder meldeten sich in einer gemeinsamen – wenn auch nur halbseitigen – „Berliner Erklärung“ zu Wort.
Bedeutet die Vielzahl scheinbar oder tatsächlich konzeptionell angelegter Wortmeldungen, dass der Ideenwettbewerb um die bestmögliche Zukunft für unser Wissenschaftssystem an Kreativität zunimmt – oder erleben wir das Auseinanderbrechen der wissenschaftspolitischen Debatte in die Formulierung klientelhafter Einzelinteressen?
Zweifellos ist da etwas in Bewegung geraten: Eingefahrene Organisationsstrukturen werden hinterfragt, es werden argumentative Linien gezogen zwischen den vorhandenen Freiräumen für die einzelnen Wissenschaftler auf der einen Seite und gegenseitigen Abhängigkeiten und der Finanzierung von Wissenschaft insgesamt auf der anderen. „Oben der Professor, unten alle anderen“, formulierte am Montag die Süddeutsche Zeitung: „Das Machtgefälle an deutschen Universitäten ist so steil wie nirgends sonst.“ Das ermögliche Schikanen und Ausbeutung. Doch: „Der Widerstand wächst“.
Eine weitere Wortmeldung, die heute erscheint, bringt den Anspruch, den die meisten genannten Positionspapiere teilen, auf den Punkt. „Wissenschaftsfreiheit neu gestalten“, haben die Autoren als Überschrift gewählt. Dahinter steht das „Netzwerk Wissenschaftsmanagement“, ein 2011 gegründeter Zusammenschluss meist jüngerer Wissenschaftsmanager.
Lässt man das unverzichtbare, richtige aber natürlich auch erwartbare Bekenntnis zum großen Ideal (Wissenschaftsfreiheit als „Pfeiler einer offenen Gesellschaft und funktionierenden Demokratie“), mit dem das Papier beginnt, mal beiseite, bleibt als erste zentrale Botschaft: „Eine gute Organisation ermöglicht freie Wissenschaft.“ So weit werden alle zustimmen, doch was heißt das konkret?
Was, fragen die Autoren, hat ein
Urteil von 1973 mit heute zu tun?
Erstmal, so die Autoren, müsse sich die Debatte über freie Wissenschaft und die dafür nötige Organisationsform wegbewegen von juristischen Erwägungen. Gemeint ist damit vor allem das Aufsehen, das der Verfassungsgerichtshof von Baden-Württemberg im November 2016 mit seinem Urteil verursacht hat: Die Macht der Professoren in der Selbstverwaltung der Hochschulen müsse gestärkt werden, das Landeshochschulgesetz neu formuliert werden. Die Richter begründeten dies – in Rückgriff auf das Bundesverfassungsgericht und dessen von 1973 stammende Entscheidung – mit der im Grundgesetz-Artikel 5 verankerten Wissenschaftsfreiheit.
Was aber hat ein Verfassungsgerichtsurteil von 1973 noch mit den Hochschulen von heute zu tun, fragen die Autoren: „Die wissenschaftspolitische Auseinandersetzung mit der Frage, wie Hochschulen im 21. Jahrhundert ihre Wissenschaftsfreiheit nicht nur erhalten, sondern auch lebendig halten können, und was dies für ihre innere Verfasstheit und Organisation bedeutet, findet bisher kaum statt.“ Es müsse mehr über das „inhaltlich Sinnvolle“ gesprochen werden.
Dieser Problembeschreibung kann man mit Hinweis auf die oben erwähnten Positionspapiere und weitere Wortmeldungen ein Stückweit widersprechen. Auch die Strategie der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), mit einer bislang so nicht bekannten Urabwahl des Rektorats auf das Urteil zu reagieren und dazu noch die Doktoranden als neue sogenannte Statusgruppe einzuführen, ist weniger eine juristische Abarbeitung der Vorgaben als ein wissenschaftspolitisches Statement.
Trotzdem hat die „Einladung“ zur öffentlichen Diskussion, die das Netzwerk im weiteren Verlauf seines Positionspapiers ausspricht, Charme: „Wie sollte eine Wissenschaftseinrichtung organisiert sein? Was mach eine gute Governance in der Wissenschaft aus? Wie lässt sich die Organisationsqualität definieren, bestimmen und überprüfen?“
Gerade letztere Frage – die nach der Überprüfung, Evaluation der Effektivität einer bestehenden Governance-Form im Vergleich zu anderen ist keine, die Jubelstürme an den seit Jahrzehnten in ihrem Bestehenden tradierten Gruppenuniversitäten auslösen wird. Zumal man zu Recht entgegnen kann: Wie lässt sich denn das Aufblühen von Wissenschaftsfreiheit objektiv prüfen und feststellen?
Eine Antwort auf seine selbst gestellten Fragen hält das Netzwerk natürlich auch parat: Im „Licht der neuen Hochschulautonomie“ müsse die Wissenschaftsfreiheit künftig „stärker als organisationales Grundrecht“ interpretiert werden.
Müssen individuelle und institutionelle
Wissenschaftsfreiheit neu justiert werden?
Schließlich habe sich die Hochschullandschaft in den vergangenen 20 Jahren verändert, so habe sich „spätestens seit dem Jahr 2000“ der Staat sukzessive – „wenn auch nicht in allen Bundesländern mit der gleichen Geschwindigkeit und Stetigkeit – aus der Steuerung der Hochschulen zurückgezogen“. Das müsse Rückwirkungen auf das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit haben, so die Autoren: Solange der Staat stärker direkt auf die Hochschulen eingewirkt habe, sei der Freiheit der einzelnen Wissenschaftler eine große Bedeutung zugekommen, um der „Kritikfähigkeit und Eigengesetzlichkeit der Hochschule gegenüber dem Staat notfalls auch als Einzelpersonen und unter Berufung auf sich selbst Gültigkeit zu verschaffen“. Heute jedoch seien die Hochschulen als Organisation deutlich besser vor „wissenschaftsfremden Einflussnahmen“ geschützt und müssten daher selbst entscheiden können, wie sie ihre Freiheit als Organisation wahrnehmen „und welche Wege der Mandatierung, Abstimmung und Partizipation sie hierfür als notwendig und sinnvoll erachten“. Eine besondere Freiheit einzelner Wissenschaftler jedenfalls, „etwa durch die Rehabilitation der Professorenmehrheit oder Ähnlichem“, sei dann nicht mehr erforderlich „oder schränkt gar die Wissenschaftsfreiheit anderer Mitglieder der Hochschule und somit die Wissenschaftsfreiheit der Hochschule als Gesamtorganisation ein“.
Irgendwo im vorhergehenden Absatz wird bei vielen Professoren das Nicken aufgehört haben. Theresia Bauer hingegen dürfte sich bestätigt fühlen, hatte sie doch in einem Streitgespräch mit dem Philosophen Jens Halfwassen zum Verfassungsgerichtsurteil gesagt: „Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht nur ein Recht, das dem Individuum zusteht, sondern auch der Institution als Ganzes. Wissenschaftsfreiheit bedeutet auch die Freiheit einer Hochschule, sich eigenständig zu verändern und weiterzuentwickeln.“
Die Wortmeldung des Netzwerkes Wissenschaftsmanagement, dessen Mitglieder sich gerade in Bonn zu ihrer Jahrestagung treffen, wäre nicht vollständig, wenn nicht noch die Wendung hin zur eigenen Bedeutung folgen würde: „Den Schlüssel für eine stärker organisationale Wissenschaftsfreiheit sehen wir in einem modernen Wissenschaftsmanagement.“ Aha.
Man muss nicht die doch sehr einseitige Zuspitzung weg von der individuellen hin zur organisationalen Wissenschaftsfreiheit teilen, um an einem entscheidenden Punkt den Autoren zuzustimmen: Am richtigen Verhältnis beider Sphären entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit einer Hochschule. Und zusätzlich muss geklärt werden, ob die individuelle Wissenschaftsfreiheit auch künftig vor allem auf die Wissenschaftsfreiheit einiger weniger – der Professoren – hinauslaufen darf.
Die Hochschulräte hatten in ihrem Papier fast genau dieselbe Frage gestellt. Und die Junge Akademie bietet mit ihrem Engagement für Departmentstrukturen eine Antwort, wie aus dem „Chosen Few“ der Lehrstuhlinhaber zumindest schon mal ein „Chosen Many“ werden könnte.
Die Debatte, die sich die Wissenschaftsmanager wünschen, läuft also schon. Zum Glück.
DAS POSITIONSPAPIER DES NETZWERKS WISSENSCHAFTSMANAGEMENT ZUR WISSENSCHAFTSFREIHEIT UND EIN WEITERES ZUM ZUSAMMENHANG VON EXZELLENZSTRATEGIE UND GOVERNANCE FINDEN SIE HIER.
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Florian Bernstorff (Freitag, 01 Dezember 2017 16:08)
Die in dem Diskussionsbeitrag aus dem Netzwerk vorgeschlagene Perspektive darf m. E. nicht als Relativierung des individuellen Grundrechts freier Forschung und Lehre missverstanden werden. Ebenso wenig wird darin ein Gegensatz von individueller und organisationaler Wissenschaftsfreiheit konstruiert.
Wissenschaftseinrichtungen wurden lange Zeit nur als öffentlich organisierte Institutionen betrachtet, die als sozialer Ort für die individuellen Träger*innen von Wissenschaftsfreiheit fungieren. Die drastisch veränderten politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Erwartungen heutzutage führen aber dazu, dass die jeweilige organisationale Verfasstheit der Wissenschaftseinrichtungen reale praktische Bedeutung dafür hat, wie gut oder nicht so gut in ihnen geforscht und gelehrt werden kann.
Diese Frage, wie Wissenschaftsfreiheit nicht mehr nur institutionell, sondern nun auch organisatorisch gesichert wird, kann nicht vor Gericht beantwortet werden. Bislang dominiert im Diskurs der Duktus von Warnungen und Problemanzeigen - den Vorstoß der jungen Akademie mal ausgenommen. Deswegen scheint mir das Plädoyer in dem Papier absolut plausibel: Wir brauchen eine inhaltlich und konzeptionell produktive Auseinandersetzung über Wissenschafts-
o r g a n i s a t i o n , wenn es darum geht, das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit in der heutigen gesellschaftlichen Realität zu sichern .
René Krempkow (Dienstag, 12 Dezember 2017 11:57)
Auch in der Forschung wird seit einiger Zeit verstärkt die Frage diskutiert, welche Steuerungsmodelle für die Leistungserbringung von Hochschulen am besten angemessen sind: Ist es ein Mehr an Hochschulautonomie, verbunden mit mehr managerialen Steuerungselementen? Oder ist es angemessener, wenn Hochschulen im Wesentlichen als „specific organisations“ betrachtet werden? Letzteres würde weniger manageriale Steuerung implizieren, ließe dann allerdings (zumindest in Deutschland) eher keine deutlich weitergehende Hochschulautonomie erwarten. Es gibt hierzu inzwischen Versuche, sich – angelehnt an theoretische Ansätze – auch quantitativ-empirisch dem Thema Hochschulautonomie und ihren Zusammenhängen mit der Performanz von Hochschulen zu nähern. So wird in einem dieser Versuche der Frage nachgegangen, ob tatsächlich von einem maximalen Managementmodell-Anteil als Idealvorstellung für hohe Leistungen von Hochschulen auszugehen ist, bzw. von einer linearen Beziehung zwischen Hochschulautonomie und Performanz – oder nicht doch von einem „hybriden“ Leitungsmodell (wie auch Kleimann 2016), bzw. einer kurvilinearen Beziehung (wie Jansen u.a. 2007). Ein zentrales Ergebnis der Analyse ist, dass nach den bisher vorliegenden empirischen Daten eher eine Mischung von (Instrumenten) managerialer Steuerung und kollegialer Steuerung als angemessenste Form der Hochschulsteuerung anzusehen ist (siehe Beitrag in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Hochschulmanagement" Nr. 2+3/2017, S. 51-58, bzw. www.researchgate.net/publication/320282542_Hochschulautonomie_Forschungs-_und_Innovationsperformanz_im_deutschen_Hochschulsystem).
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:56)
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