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Wie wir unser Bildungssystem in die Zukunft navigieren

Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, lernende Maschinen und die Automatisierung verändern unsere Gesellschaft. Darum müssen wir unsere Schulen verändern. Ein Gastbeitrag von Denise Feldner.

DIE VIERTE INDUSTRIELLE REVOLUTION fordert von uns, unser Bildungssystem kreativ zu reformieren. Ein zukunftsorientiertes Verständnis von Schule, Studium und Ausbildung bedingt den strategischen Einsatz des "Internet of Things" und der künstlichen Intelligenz, um die Menschen auf die Anforderungen vorzubereiten, die zukünftige Jobs von ihnen verlangen werden. Doch was bedeutet das konkret?

 

Zunächst müssen Bundes- und Landesregierungen mit den Schulen, Berufsschulen, Universitäten, Weiterbildungseinrichtungen und Unternehmen in einen offenen Dialogprozess einsteigen, um zu klären, mit welchen Qualifikationen wir unsere Weltmarktposition in Wissenschaft und Wirtschaft erhalten können. Als Vorbild kann hier die Strategie "Bildung in der digitalen Welt" dienen, die die Kultusministerkonferenz erarbeitet hat. 

 

Aus diesem auf Dauer angelegten Dialogprozess könnte ein bundesweiter "Kompetenznavigator" entstehen, der nach dem Vorbild des SkillsFramework der Regierung in Singapur international und sektorenübergreifend aufgestellt sein sollte. Ziel wäre eine Informationsplattform für Daten über Entwicklungen, Tendenzen und Bedarfe. Aus der Vernetzung dieser Informationen ergeben sich aktuelle Karrierewege und Kompetenzen. Eine solche Agenda wäre die Plattform für alle Bildungseinrichtungen. 

 

Sie sollte mit Fördermaßnahmen unterlegt werden. So würde es den Bürgern möglich, sich entlang neuester Entwicklungen zu qualifizieren. Der Staat würde in einem weiteren Schritt die Weiterbildungsbemühungen finanzieren, zum Beispiel durch Bildungsgutscheine, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und um der Digitalisierung Vorschub zu leisten.

 

Arbeitswelt 2030

 

Jeder, der heute das Bildungssystem durchläuft, wird sich – gewollt oder nicht – in der Arbeitswelt 4.0 wiederfinden. Wie die aussieht, ist allerdings in großen Teilen noch unklar. Darum müssen Bildungsangebote zeitgleich auf Kreativitätsförderung, Job-Designs, neue Management- und Führungsmodelle für die Arbeitswelt 4.0 und auf die innovationspolitischen Strategien der Bundesrepublik fokussiert werden. Ein Beispiel, was das für die Schulen der Zukunft bedeuteten könnte, sind so genannte FabLabs – Fabrikationslabore – wie sie mancherorts bereits existieren. Sie bieten neben dem theoretischen Diskurs im Unterricht eine Gelegenheit zum praktischen Handeln: In den FabLabs könnten die Kinder und Jugendlichen den Umgang mit modernen Produktionsverfahren wie dem 3D-Printing lernen.

 

Auch ein Vergleich mit anderen Staaten ist Voraussetzung für eine intelligente Transformation des eigenen Bildungssystems. Gute Beispiele für fundamentale Änderungen bieten zum Beispiel Südkorea und Singapur.

 

Südkorea ist bekannt für sein sehr gutes Bildungssystem. Der letzte Schritt zur Erneuerung war die ganzheitliche Implementierung des Lebenslangen Lernens im TVET-Programm der Regierung. Hier werden in einem Programm die Stränge Bildung in Schule und Universität sowie die duale Ausbildung bis zum lebenslangen Lernen abgebildet. Neben dem starken Fokus auf Innovation und der politisch-rhetorisch (und uns allzu gut vertrauten) Betonung von Bildung als allerhöchstem Gut scheint diese konkrete Strategie von Erfolg gekrönt zu sein. 

 

Auch Singapur, ein Land, das sich strategisch um die Einwanderung nur der allerschlausten Köpfe bemüht, hat einen ebenso strategischen Blick auf die Bildung gerichtet. Mit dem übergreifenden Programm SkillsFuture wird die gesamte Bildungskette abgedeckt und mit Bildungsangeboten unterlegt. Es ist eine langfristige nationale Agenda, die alle Bürger unabhängig vom Stand der Ausbildung und vom Fortschritt des Lebensalters dazu befähigen soll, aktuellste Kompetenzen zu erwerben.

 

Singapur und Korea haben zudem Bildungssysteme, die traditionell früh Mathematik, IT und MINT-relevante Fächer vermitteln, was einen bedeutenden Vorteil bei der Qualifizierung für Jobs der digitalisierten Welt nach sich zieht. 

 

Die künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, lernende Maschinen und die Automatisierung verändern unsere Gesellschaft. Wir wissen auch, dass die demographische Entwicklung, die Individualisierung, die Urbanisierung sowie die Globalisierung, zunehmende politische Unsicherheiten und der Klimawandel unsere Arbeitswelt beeinflussen werden. Diese Trends wirken gleichzeitig auf die Vermittlungsprozesse der Bildung ein, sodass der Wandel aufgegriffen werden muss.

 

Deutschland kann hier seine starke Tradition in den Sozial- und Geisteswissenschaften nutzen. Ohne kritisches Denken, grundlegende Kenntnisse über das soziale Miteinander und die gesellschaftlichen Reaktionen auf künstliche Intelligenz und den Umgang mit privaten Daten im Netz wird es auf Dauer keinen adäquaten Einsatz neuer Technologien geben können. 

 

Hybride Lehrformen 

 

Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen sind das innovative Rückgrat einer Gesellschaft, die sich fundamental verändert. Trotzdem sollte die traditionelle Präsenzlehre nicht ersetzt, sondern durch digitales Buch-, Sammlungs-, Museumsmaterial, verbunden mit einem attraktiven Angebot an Online-Kursen, lediglich ergänzt oder – noch besser – verschmolzen werden. Erste Ansätze sind bereits von der Kiron University und von der Khan Academy entwickelt worden. 

 

Leistungen, die in einem sogenannten MOOC (Massive Open Online Courses)-Modul erbracht werden, müssen künftig wie selbstverständlich beim Zugang in bestehende Studienprogramme anerkannt werden. Universitäten profitieren dabei von erprobten Systemen der Zertifizierung und können digital verträgliche Studienmodelle entwickeln. 

 

Die Universitäten müssen sich aber auch organisatorisch neu aufstellen und dabei vor allem die oft als Insellösung aufgebauten Hochschul-IT-Systeme weiter vernetzen und sichern. Gemeinsame Rechenzentren und Sicherheitslösungen sind eine mögliche Antwort auf bestehende Anforderungen. 

 

Individuelle Wissensvermittlung

 

Der Einsatz künstlicher Intelligenz und neue Analysemöglichkeiten führen zu einer stärkeren Individualisierung der Wissensvermittlung. Das Erheben und Speichern immenser Datenmengen auch in der Bildung wird neue Einblicke in individuelle Lernentwicklungen geben. Eine angemessene Nutzung solcher Instrumente muss schon in der Schule beginnen. Auch hier stellen sich jedoch große regulative Herausforderungen, die sich auf den Berufsbildungs- und Hochschulbereich ausweiten.

 

Denn angesichts zunehmender Mobilität und anhaltender Fluchtbewegungen werden Bildungsbiografien zunehmend nicht mehr linear verlaufen. Dabei kommt es vor, dass Kurse nicht voll absolviert werden können oder etwa nicht mehr alle Zertifikate vorhanden sind. Hier bietet es sich an, das gewohnte Zertifikatssystem in kleinere Module zu zerlegen. Diese können dann ortsunabhängig und zeitunabhängig digital absolviert werden. Auch westliche "Multigrafien" internationaler Studierender lassen sich damit besser abbilden.

 

Neue Technologien können dies durch die Erschaffung von "Global Identities" unterstützen. Global Identities sind digital gespeicherte Lebensläufe mit allen dazugehörigen Zertifikaten und Abschlüssen. Gespeicherte Zertifikate sind so bei physischen Zerstörungen nicht mehr von Verlust betroffen. Die Universitäten stehen für die Echtheit der Informationen ein. Sie sind langlebiger als Unternehmen und versprechen Nachhaltigkeit auch bei der Speicherung der Daten.

 

Damit das funktioniert, werden zwischenstaatliche Einigungen und angepasste Regelwerke zum Umgang mit Daten im nationalen Raum erforderlich. Die Bereitstellung von Speicherplatz und dessen Absicherung müssen in die politischen Entscheidungen einbezogen werden. 

 

Auch der Faktor Mobilität der Menschen ist zu berücksichtigen. Kreative Köpfe werden auf lange Zeit im Zentrum eines hart umkämpften globalen Marktes um Wissen stehen. Sie werden einen großen Anteil am Fortschritt in der digitalen Welt haben und international sehr mobil sein. Die Global Identities könnten daher auch auf das Erwerbsleben ausgedehnt werden (zum Beispiel weltweit gültige Versicherungspolicen). 

 

Ausblick

 

Die neue Bundesregierung ist aufgefordert, die Strategie und die Finanzierung des beschriebenen Wandels hin zur Arbeitswelt 4.0 im Koalitionsvertrag zu verankern, etwa durch eine Weiterentwicklung des Hochschulpakts: Zur Verbesserung der Qualität in der Lehre gehören neue Technologien, der bessere Zugang zu Wissen, die Erfassung und Speicherung von Abschlüssen. 

Zusätzlich muss der Breitbandausbau vorangetrieben werden und das Programmieren schon in der Schule unterrichtet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt "Coding und Charakter" von der Vodafone Stiftung, das breiter ausgerollt werden könnte.

 

Zwingende Voraussetzung, um voranzukommen auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Bildungsbiografie, ist eine funktionierende Zusammenarbeit im Bildungsföderalismus. Insbesondere nach der Abschaffung des bisher gewohnten Bund-Länder-Finanzausgleichs sind hier neue Wege der Vertrauensbildung unumgänglich.

 

Denise Feldner ist Cyber-Juristin und Technologieexpertin in Berlin.

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Kommentare: 2
  • #1

    Chris Liedtke (Donnerstag, 21 Dezember 2017 00:26)

    Interessante Gedanken. Hoffe die entsprechenden Stellen fühlen sich ebenso inspiriert.

  • #2

    Bobos erster Tag in der Schule (Dienstag, 26 Dezember 2017 09:21)

    Die Veränderung des Bildungssystem sollte nicht auf Angst beruhen. Das höre ich aber auch aus diesem Artikel wieder heraus. Wir müssen uns anpassen, auf dass wir hier in Deutschland nicht untergehen... Ich vermisse die Vision. Warum lohnt es sich, da vorweg zu rennen?

    Für die Unis und vielleicht für die Oberstufe mag Eile geboten sein. In den Jahren davor sollte man die Schüler aber ersteinmal intensiv fördern, dass sie sich kreativ und philosophisch entfalten können. Wir brauchen in erster Linie starke Charaktere und keine leistungsgetrimmten Roboter um die Transformation in die digitalisierte Gesellschaft sinnhaft zu meistern.