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Bildungsrat ja – aber richtig!

Union und SPD wollen eine neue Institution schaffen für mehr Abstimmung und Planung in der Bildungspolitik. Ein faszinierender Plan – aber nur, wenn sie von der Vergangenheit lernen.

Abbildung: Pixabay/Mediengestalter
Abbildung: Pixabay/Mediengestalter

DAS WIRD NOCH Diskussion geben. Noch Anfang der Woche hatte die scheidende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann, der Gründung eines nationalen Bildungsrates eine Absage erteilt. Sie persönlich glaube nicht, dass eine wachsende Zahl an Gremien weiterhelfe, sagte die CDU-Politikern und reagierte damit auf einen Vorstoß ihrer Parteikollegin, der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die KMK sei handlungsfähig, müsse gestärkt werden und vor allem sei sie "im Gegensatz zu einem Bildungsrat entscheidungsbefugt", sagte Eisenmann. Ein Bildungsrat "wäre am Ende doch nur ein Raumschiff ohne Erdung."

 

Nun haben sich die potenziellen Koalitionäre von CDU, CSU und SPD unter Mitwirkung Kramp-Karrenbauers und weiterer Ministerpräsidenten (aber nicht dem von Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann) darauf geeinigt, genau einen solchen Bildungsrat gründen zu wollen. Oder genauer: erneut gründen zu wollen. Es gab ihn ja bereits einmal, einen Deutschen Bildungsrat, und zwar in den Jahren von 1966 bis 1975, angelegt als (strukturell allerdings nur teilweises) Pendant zum bis heute existierenden Wissenschaftsrat. Der Bildungsrat, gegründet von Bund und Ländern, sollte eine gemeinsame Bildungsplanung ermöglichen, das Bildungssystem insgesamt strukturieren und harmonisieren und Vorschläge für seine langfristige Weiterentwicklung machen.

 

Kommt Ihnen bekannt vor? Entspricht ziemlich genau der gegenwärtigen Rhetorik in der Bildungspolitik, den Bildungsföderalismus zugunsten von mehr bundesweiter Koordinierung zurückzuschrauben? "Wir wollen die Bildungschancen in Deutschland im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern verbessern. Dafür wollen wir einen nationalen Bildungsrat einrichten", heißt es in der finalen Fassung des Sondierungspapiers.

 

Tatsächlich begleiten uns Forderungen nach einer Neuauflage des Bildungsrates seit Jahren, besonders heftig zuletzt Ende 2011, als mehrere Stiftungen die Idee pushten und diese es daraufhin sogar in in einen Antrag des CDU-Parteivorstandes auf dem Bundesparteitag schaffte (schon damals zählte Kramp-Karrenbauer zu den Hauptinitiatoren). 2012 versickerte das Thema wieder, abgeblockt ausgerechnet auch von einer Phalanx von SPD-Bildungspolitikern, die mehr Einfluss der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung auf ihre Bildungspolitik fürchteten. Vor wenigen Wochen erst haben nun wiederum Pädagogen und Wissenschaftler eine neue Petition an die KMK und Bundesregierung gestartet, Ziel: ein Bildungsrat für Bildungsgerechtigkeit.

 

Wer ihn will, sollte allerdings auch den Ausgang der Geschichte von einst kennen: Auf mehrheitliches Betreiben vor allem, aber nicht nur der CDU-regierten Länder wurde das Mandat des ersten Deutschen Bildungsrates vor 42 Jahren nicht verlängert – weil die Wissenschaftler im Rat sich nach Meinung der Politiker zu stark in die Politik eingemischt hatten. Indem sie ihre eigenen Themen und Methoden bestimmt hatten, teilweise gegen das Votum der Politik, was ihnen die Konstruktion des Rates ermöglichte: Die sogenannte Regierungskommission im Bildungsrat musste von den Wissenschaftlern nur angehört werden.

 

Woraus gleich drei Lehren für die geplante Neuauflage folgen.

 

Erstens: Die Gründung wird nur gelingen, wenn auch die skeptischen Länder ins Boot geholten werden. Einseitige Absichtserklärungen des Bundes und einiger, aber eben nicht aller Länder werden beim Länderthema Bildung nicht funktionieren. Insofern sei vor zu viel Euphorie, ob der Bildungsrat wirklich kommt, zum jetzigen Zeitpunkt noch gewarnt. 

 

Zweitens: Ein Nationale Bildungsrat müsste wie damals auch heute wieder zwangsläufig und zu einem guten Teil Bildungsforscher enthalten, und zwar vorrangig empirisch arbeitende. Als reines Abstimmungsinstrument von Bund und Ländern im Bereich der Bildungspolitik, wie es die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) für die Wissenschaft ist, würde ein Rat seinem Namen nicht gerecht und darüber hinaus nicht in der Lage sein, wissenschaftlich fundierte und doch vorausschauende Visionen für ein chancengerechtes, zukunftsorientiertes Bildungssystem zu entwickeln. 

 

Drittens: Bund und Länder sollten von den Konstruktionsfehlern des Bildungsrates 1.0 lernen. Das heißt: Er muss diesmal wirklich wie der Wissenschaftsrat organisiert sein: mit zwei gleichberechtigten Kammern, einer wissenschaftlichen und einer Verwaltungskommission, die dann gemeinsam in der Vollversammlung mit Zweidrittelmehrheit Beschlüsse fassen können. Auch wenn die dann erzielten Kompromisse, wie der Wissenschaftsrat zeigt, kaum spektakulär und nur selten richtig mutig sind, gibt es dann immerhin die Chance auf die Erdung und Handlungsfähigkeit, die Susanne Eisenmann dem neuen Gremien nicht zutraut.

 

Dann, aber nur dann könnte aus dem Bildungsrat mehr werden als eine schillernde Idee. Mal sehen, wie die Kultusminister sie bei ihrer anstehenden 70-Jahrfeier am Montag diskutieren werden.


Kooperationsverbot: Keine totale Aufhebung

Die Jamaikaner hatten das Thema noch mit spitzen Fingern in spätere (und dann nicht mehr abgeschlossene) Verhandlungsrunden geschoben. "Über die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss noch gesprochen werden, insbesondere über die Frage des Kooperationsverbotes", hieß es Ende Oktober lediglich im als Verhandlungszwischenstand veröffentlichten Papier. 

 

Im Gegensatz dazu haben sich Union und SPD in ihren Sondierungsgesprächen bereits darauf verständigt, erneut eine Änderung beim Kooperationsverbot vorzunehmen. Konkret soll der erst 2017 eingefügte Grundgesetzartikel 104c "angepasst" werden, heißt es im Ergebnispapier – mit der Folge, dass  der Bund künftig den Ländern "Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen" ALLER Gemeinden und nicht nur wie bisher der FINANZSCHWACHEN "im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren" kann. Auf dieser Grundlage wollen Union und Sozialdemokraten "eine Investitionsoffensive" für die Schulen starten, insbesondere für "Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, Digitalisierung und berufliche Schulen". Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) twitterte von einem "gemeinsamen ehrgeizigen Plan", der damit auch den Digitalpakt umfasse. Wie hoch der ausfallen soll, ist offenbar noch nicht beziffert. Seine Finanzierung ist jedenfalls nicht in der Liste priorisierter Bildungsinvestitionen enthalten.

 

Komplett abgeschafft ist das Kooperationsverbot mit der gefundenen Einigung nicht, denn eine dauerhafte Finanzierung schulischer Einrichtungen durch den Bund (also vor allem die Übernahme von Personalkosten) ermöglicht auch der neue Wortlaut nicht. Und wie die Sondierer betonen: "Die Kultushoheit bleibt Kompetenz der Länder."

 

Zusammen mit einem wie oben skizzierten Bildungsrat könnte sich die gefundene Lösung indes als kluges Konsensmodell herausstellen, dem alle zustimmen könnten – und das die ewigen Debatten ums Kooperationsverbot ein für alle Mal beendet. 


NACHTRAG am 12. Januar abends: 

Wir werden sehen, ob mein diesbezüglicher Optimismus wirklich berechtigt ist. In den Stunden nach der Veröffentlichung des Papiers gab es jedenfalls schon wieder den üblichen Symbolstreit zwischen Union und SPD, ob denn nun das Kooperationsverbot erledigt ist oder doch nicht. Der Berliner SPD-Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach verkündete per Twitter: "Ende Kooperationsverbot in der Bildung". Auch der sozialdemokratische Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann sagte laut Spiegel Online: "In der Substanz wird das Kooperationsverbot abgeschafft." Der CDU-Bildungsexperte Stefan Kaufmann meinte dagegen,  er verstehe die Änderung lediglich "als Erweiterung der Möglichkeiten des Bundes, die Länder im Bildungsbereich noch stärker zu unterstützen".

 

NACHTRAG am 16. Januar:

SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil gab gestern laut Tagesspiegel zu Protokoll, seine Partei sei mit dem Erreichten in Sachen Kooperationsverbot zufrieden. "Wir hatten nie vor, Bundeslehrer einzustellen", sagte er bei einem Pressegespräch. Union und SPD hatten vereinbart, dass der Bund künftig wieder in Schulbauten und Infrastruktur investieren dürfen soll. Personal dagegen kann weiter nur über die Kinder- und Jugendhilfe und nur für Betreuung finanziert werden.  Über die in den Sondierungsgesprächen erreichten Ziele hinausgehende Bundesbefugnisse seien noch nie das Ziel der SPD gewesen, betonte Heil. Was so nicht ganz stimmte und stimmt, wenn man sich unter Sozialdemokraten umhört oder auch in alten Äußerungen führender Bildungspolitiker stöbert, aber sei's drum: Das Signal, das Heil aussendet, ist ein richtiges und wichtiges: Der ewige Streit ums Kooperationsverbot könnte mit dem gefundenen Konsensmodell, wie ich es vor dem Wochenende schon skizziert hatte, tatsächlich zu Ende gehen. Was gut wäre. Denn dann könnte endlich das konkrete Arbeiten an einem neuen Bund-Länder-Verhältnis in der Bildung beginnen. 

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