Die Große Koalition will Deutschland zum Digitalland machen und die öffentliche Verwaltung reformieren. Ein paar Vorschläge, wie das gelingen könnte. Von Ines Mergel.
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DER ZWISCHEN CDU/CSU und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag sieht eine E-Government- oder Digitalagentur vor. "Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln", heißt es im Koalitionsvertrag. Aber was könnte das konkret bedeuten? Deutschland hat bisher keine Erfahrung mit Digitalagenturen. Umso wichtiger ist es, sich entsprechende Vorbilder im Ausland anzuschauen.
Der Blick nach Dänemark, Großbritannien oder in die USA lehrt: Wenn eine Digitalagentur richtig aufgestellt ist, kann sie den digitalen Wandel der öffentlichen Verwaltung rasant vorantreiben, gemeinsame Standards auf allen Verwaltungsebenen schaffen, Bürokratie reduzieren und mehr Bürgernähe ermöglichen. Im Kern geht um neue, für alle Menschen einfach anwendbare Onlineangebote, die denen ähneln, die wir alle aus unserem privaten Lebensumfeld gewöhnt sind, zum Beispiel wenn wir online einkaufen oder soziale Netzwerke nutzen.
In Europa hat Dänemark bereits 2011 eine Digitalisierungsagentur im Finanzministerium gegründet, die digitale Lösungen gemeinsam mit Bürgern vorbereitet, auf breiter Fläche testet und allen Verwaltungsebenen zur Verfügung stellt. Vor allem im anglo-amerikanischen Ausland haben sich Digitalagenturen bereits als wichtiges Instrument der Verwaltungsmodernisierung etabliert. In Großbritannien wurde die Digitalagentur Government Digital Service (GDS) vor sieben Jahren gegründet. Sie bezieht Designer, Softwareentwickler, Verwaltungsmitarbeiter und Bürger von Anfang an in die Gestaltung von digitalen Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung ein, um einen hohen Grad von Akzeptanz und Nutzbarkeit zu garantieren.
In den USA wurden unter Präsident Obama nach dem Crash der HealthCare.gov-Webseite zwei Teams gegründet: Zuerst der U.S. Digital Service (USDS), der zunächst als sogenanntes Feuerwehr-Team geschaffen wurde und danach dem Weißen Haus als Stabsstelle zugeordnet wurde. Später kam 18F dazu, ein Team, das der öffentlichen Verwaltung mit Rat und Tat zur Seite steht, um digitale Dienstleistungen aus Nutzersicht zu entwickeln. Nach dem Vorbild von GDS, USDS und 18F wurden seitdem Digitalagenturen in Kanada, Australien, Neuseeland und Italien gegründet.
Gemein ist ihnen allen, dass sie direkt der obersten Regierungsebene zugeordnet sind. Die Führungsmannschaften der Agenturen – zumeist auf Staatsekretär-Ebene – wurden vor allem aus dem privaten Sektor rekrutiert, von Amazon zum Beispiel, von Pixar, Google, Guardian. Lediglich in Dänemark hat sich die Agentur aus der Verwaltung heraus gebildet.
Die Digitalagenturen haben umfassende Budgets für Verwaltungsprojekte, seien es Onlinezahlungssysteme oder die Einführung von elektronischen ID-Karten, aber auch für die Modernisierung der verwaltungsinternen Prozessgestaltung. Die Digitalagenturen haben die Freiheit, ähnlich wie Start-ups experimentell zu arbeiten, um schnell Einsichten zu erlangen, wie Onlinedienstleistungen der Verwaltung gestaltet sein müssen, um vom Bürger angenommen zu werden. Dazu gehört auch die Reduzierung von Bürokratie, indem bereits bestehende Verwaltungsprozesse überdacht werden. Zudem haben die Digitalagenturen die Aufgabe, nicht nur Standards zu entwickeln, sondern auch deren Einhaltung sicherzustellen. Ihre "digitalen Servicestandards" sind geltende Richtlinien für alle anderen Behörden und Ministerien. Erfüllen sie diese Standards nicht, wird die Arbeit an Services unterbrochen und teilweise werden Budgets eingefroren.
Nutzerfreundlicher und kostengünstiger
Welche Vorteile haben Digitalagenturen? In einer dezentralisierten Bürokratie wie in Deutschland stellt sich die dringende Frage, ob wirklich für jede Verwaltungsebene das Rad neu erfunden werden muss oder ob einmal gestaltete Verwaltungssysteme auf anderen Ebenen repliziert werden können. Dadurch können Kosten gespart werden und für die Bürger sehen die Interaktionen mit der öffentlichen Verwaltung dann überall gleich aus, was die Nutzerfreundlichkeit erhöht. Italien und Großbritannien tun das bereits: Sie bieten einmal entwickelte Onlinedienstleistungen zentral an und stellen sie allen Verwaltungsebenen zur Verfügung. Dadurch werden sogar Steuergelder gespart.
In Deutschland beschäftigt sich die öffentliche Verwaltung zurzeit mit der Einführung der E-Akte: Die physische Akte soll abgeschafft werden, alle Dokumente werden eingescannt, Prozesse werden digitalisiert. Für die Bürger sollen Bürgerkonten eingerichtet werden, so dass jeder seine Daten nur einmal eintragen muss und diese dann mit anderen Behörden geteilt werden können. Für viele Verwaltungsmitarbeiter verändern sich dadurch die gewohnten und erlernten Arbeitsschritte. Wichtig wäre also, in diesen Veränderungsprozessen auch die Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung zu ändern. Nach dem Vorbild der Digitalagenturen sollten agile Arbeitsweisen eingeführt werden, wodurch die Verwaltungsmitarbeiter und Bürger einbezogen werden und nicht nur passive Nutzer bleiben.
Neue Aufgaben, neue Berufsbilder
Für die Führungskräfte und Mitarbeiter in den Verwaltungen bedeutet die Digitalisierung eine große Herausforderung. Sie müssen sich fortbilden, viele Prozesse neu lernen. Wo nötig, müssen sogar neue Berufsbilder aufgebaut oder externe Kompetenzen in Anspruch genommen werden. Wichtig ist in jedem Fall, dass eine "digitale Denkweise" in der Verwaltung entsteht – die innere Haltung, dass es selbstverständlich wird, Verwaltungsdienstleistungen zu automatisieren.
Solche grundlegend neuen Organisations- und Arbeitsformen in der öffentlichen Verwaltung brauchen Vorbilder. So hat die kanadische Regierung, bevor sie ihre eigene Digitalagentur aufbaute, zunächst Gespräche mit bestehenden Digitalagenturen im Ausland geführt, um einmal gemachte Fehler zu vermeiden und einen eigenen kanadischen Weg einschlagen zu können. Eine Digitalagentur braucht eine finanzielle Ausstattung, die es ihr erlaubt, personelle Kapazitäten für neue Arbeitsformen aufzubauen. Intern brauchen die Teams die Freiheit zu experimentieren, Verwaltungsprozesse aus der Sicht der Nutzer neu denken zu können und eine Start-up-Kultur zu entfalten, so dass Veränderungsprozesse angestoßen werden können. Sie brauchen politischen Beistand und weitreichende Weisungsgewalt, die diese für die deutsche Verwaltungslandschaft radikalen Veränderungen unterstützen.
Die drei nächsten Schritte in Deutschland
Der Koalitionsvertrag steht, die Große Koalition, das wissen wir seit dem Wochenende, kommt. Bund und Länder müssen jetzt handeln, die Prioritäten lauten wie folgt: (1) Die Bundesregierung sollte sich Experten – auch aus dem Ausland oder mit Auslandserfahrung – an die Seite stellen, um das Konzept der Digitalagentur zu erarbeiten. (2) Wie in einigen Verwaltungen bereits geschehen, sollte Deutschland die digitalen Kapazitäten der Verwaltung ausbauen. Dazu gehört, dass die digitalen Kompetenzen der Verwaltungsmitarbeiter und vor allem der Führungskräfte erweitert werden. (3) Die Digitalagentur muss mit ressortübergreifenden Befugnissen und einem angemessenen Budget ausgestattet werden, um Basiskomponenten der digitalen Verwaltung in-house entwickeln zu können und dann für alle Verwaltungsebenen zur Verfügung zu stellen.
Dann, aber auch nur dann kann aus der Idee Digitalagentur eine Erfolgsgeschichte werden.
Ines Mergel ist Professorin für Public Administration an der Universität Konstanz. Sie erreichen Sie per E-Mail oder auf Twitter.
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