Es ist angebracht, sich über die Personalie Bär zu entrüsten. Aber aus ganz anderem Grund.
DAS FLUGTAXI HAT es zum Hashtag gebracht. Dankbar macht sich die Bildungs- und Digitalisierungsszene über eine designierte Staatsministerin im Bundeskanzleramt her, die in einem ZDF-Interview allzu frei assoziiert hat. Bei der CDU gehe die Tendenz dahin, in Dorothee Bär "eine Art Covergirl der Digitalisierung zu sehen", kommentiert die FAZ heute, noch dazu sprachlich irgendwie aus der Zeit gefallen.
Dass die CSU-Politikerin in den vergangenen Tagen auch einige kluge, diskutable und – für die Mediengesellschaft nicht unwichtig – hinreichend plakative Vorschläge gemacht hat, ist glücklicherweise der einen oder der anderen Beobachterin ebenfalls aufgefallen. Gesche Joost zum Beispiel, Designprofessorin und Internetbotschafterin der Bundesregierung: "Prima, dass Bär das so beherzt vorträgt", zitiert der Tagesspiegel Joost als Reaktion auf Bärs Vorschlag, Programmieren gehöre als Grundfertigkeit in die Lehrpläne der Schulen und sei "so wichtig wie Lesen und Schreiben".
Sieht man von den (wie schon bei der Nominierung von Anja Karliczek als künftige Bildungsministerin) zum Teil erstaunlich harten und extrem persönlichen Herabsetzungen einer Politikerin ab, noch bevor diese überhaupt ihre neue Aufgabe übernommen hat, bleibt ein Missstand übrig, der viel mehr öffentliche Erregung verdienen würde als das sinnfreie Räsonieren über Flugtaxis. Die neu geschaffene Position einer Staatsministerin für Digitalisierung sollte eigentlich dazu beitragen, das laut Tagesspiegel in 244 Teams in 76 Abteilungen in 14 Bundesministerien aufgespaltene Querschnittsthema zumindest im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung zu bündeln und so endlich eine konzise Politik zu machen. Soweit die Theorie. Praktisch gesehen dient das Amt aber vor allen dazu, die Postenarithmetik zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU auszugleichen.
Denn es gibt im Bundeskanzleramt bereits einen Mann, der sich über die Jahre eine große Expertise in Sachen digitaler Transformation, auch, aber längst nicht nur der öffentlichen Verwaltung, erarbeitet hat: Der neue Bundeskanzleramtsminister Helge Braun (CDU). Vor wenigen Tagen erst hat er dem Focus ein Interview (leider nicht online) gegeben, das in seiner Detailtiefe, aber auch in seiner konzeptionellen Klarheit beeindruckend war. Um es einmal platt zu sagen: Da ist ein Mann, der will Digitalisierung und der kann Digitalisierung.
Und was machen CDU-Chefin Angela Merkel und Noch-CSU-Chef Horst Seehofer? Ernennen eine Netzpolitikerin zu seiner Staatsministerin, die verständlicherweise ehrgeizig ist und sich auf diesem neuen Posten beweisen muss. Eine Lösung, die nicht weniger Kompetenzgerangel in Sachen Digitalisierung mit sich bringen wird, sondern mehr. Und die sich für beide – Braun wie Bär – als undankbar erweisen wird.
Einen Vorgeschmack gibt ausgerechnet ein Schlagabtausch auf Twitter. "Mit uns wird Digitalisierung zur Chefsache. @DoroBaer jetzt Staatsministerin für Digitales! // cc. @CDU", twitterte die CSU am Montagnachmittag. Und die CDU wenig später ebenfalls per Tweet: "Thema #Digitalisierung liegt beim künftigen Chef-BK @HBraun, dabei ihm zur Seite steht @DoroBaer als Staatsministerin. Beide haben für Union das Thema Digitalisierung verhandelt. cc @CSU".
Helge Braun selbst sagte in einem Radiointerview mit hr-iNFO, das heute Abend ausgestrahlt wird, aus dem aber die CDU bereits zitiert: "Wenn’s schwierig wird, bin ich da." Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit Dorothee Bär. Wer Braun in seiner ausgleichenden, überlegten Art kennt, der weiß, dass er das ernst meint. Und auch, dass er das tatsächlich hinbekommen könnte.
Aber: Ist die Bündelung von Kompetenzen in einer Bundesregierung, wo die tatsächlichen Zuständigkeiten für Digitalisierung in den einzelnen Ministerien (von Verkehr bis hin zum BMBF) verteilt bleiben sollen, nicht schon schwierig genug?
Es scheint sich zu einer Leitlinie der neuen alten Großen Koalition zu entwickeln, Zukunftshemen erst rhetorisch groß zu beschwören, um dann die Postenverteilung oder sogar die Schaffen neuer Posten unter rein machtpolitischen Gesichtspunkten vorzunehmen. Denken wir an die SPD, die mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz die Themen Bildung und Wissenschaft zum wiederholten Male hypte und dann das Bundesministerium für Bildung und Forschung ebenfalls zum wiederholten Male der Union überließ – auch weil der zu dem Zeitpunkt bereits ehemalige Kanzlerkandidat Schulz von einer Zukunft im Auswärtigen Amt träumte. Denken wir an Angela Merkel, die daraufhin in einer allzu durchsichtigen Personalrochade das angeblich so bedeutende BMBF zur personalpolitischen Verfügungsmasse machte. Vom Hin und Her in Sachen Digitalpakt vor der Wahl ganz zu schweigen.
„Die Staatsministerin braucht Beinfreiheit“, forderte gestern Spiegel Online in einer fairen Bewertung der Personalie Bär und ihrer durchaus umfangreichen Erfahrungen als Fachpolitikerin. Gemeint war natürlich ihre Abstimmung mit den anderen Ministerien. Zu Recht. Aber eigentlich viel wichtiger wäre eine andere Forderung gewesen: Lasst Helge Braun seine Beinfreiheit. Aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.
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