Der Wohlfahrtsstaat verspricht: Bei uns kann es jeder schaffen. Eine neue Studie zeigt: Die familiäre Herkunft entscheidet. Den nötigen Bildungsaufbruch will trotzdem kaum einer.
ARBEITSMARKTFORSCHER HABEN DEN sozialen Status von Familien bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt. Das Ergebnis: War die Uroma arm, ist es die Urenkelin höchstwahrscheinlich auch. Die soziale Ungleichheit in Deutschland baue sich nur sehr langsam ab, sagt Mitautor Sebastian Braun vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. "Ein niedriger Status der Vorfahren wirkt wie eine Last, die den sozialen Aufstieg auch vier Generationen später noch bremst." Braun und sein Kollege Jan Stuhler von der Universität Madrid haben 10669 Familien in Deutschland untersucht und können den Zusammenhang sogar in Zahlen ausdrücken: Rund 60 Prozent von dem, was hierzulande die gesellschaftliche Stellung eines Menschen ausmacht, hat er von seinen Eltern mitbekommen.
Was okay wäre, wenn dieses Erbe vor allem in besonderen Begabungen und Talenten bestünde. Tatsächlich aber festigen Familien ihren sozialen Status den Forschern zufolge offenbar auch mittels anderer Faktoren: über die gesellschaftlichen Beziehungen der Eltern und Großeltern zum Beispiel, also das sprichwörtliche Vitamin B. Oder auch ganz praktisch über das Geld, das Mama und Papa in Nachhilfelehrer investieren konnten. >>
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"Armut liegt in der Familie", titelte die ZEIT. Was eigentlich nicht ganz stimmt. Armut liegt im System. Das zentrale Wohlfahrtsversprechen der Bundesrepublik lautet: Hier kann es jeder schaffen. Wir schaffen Chancengerechtigkeit. Hunderte Milliarden Euro investiert der Staat jedes Jahr in Sozial- und Familienleistungen. Die Wirkung offenbar: bescheiden. Besonders deutlich zeigt das der Vergleich zu Schweden. Dort ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf die eigene gesellschaftliche Position um bis zu 30 Prozent geringer – und das, obwohl die Eltern sich dort genauso für ihre Kinder starkmachen.
Was läuft bei uns anders als in Schweden? Womöglich ist die Antwort einfach: Die Menschen in Deutschland sind mit der sozialen Schichtung, wie sie ist, ganz zufrieden. Zumindest derjenige Teil der Menschen, die Einfluss genug hätten, wirklich etwas zu ändern. Die Facharbeiter sind stolz, Facharbeiter zu sein. Wer Akademikereltern hat, geht studieren. Und die anderen? Bekommen ja Mindestlohn und Sozialleistungen.
Doch sozialen Aufstieg gibt es eben nicht über mehr Sozialleistungen, sondern allein über mehr Bildung für alle. Dass die Bundesrepublik bis vor wenigen Jahren ein dreigliedriges Schulsystem hatte, das der Ständegesellschaft im Kaiserreich entstammte, passt da ins Schema. Dass laut einer repräsentativen Studie im Auftrag der CDU-/CSU-Fraktionsvorsitzenden die große Mehrheit der Eltern den verbindlichen (den "gebundenen") Ganztagsunterricht ablehnt, irgendwie auch. Der Nachmittag gehört der Familie und den Vereinen: eine schöne Überzeugung – aus der Mitte des Bildungsbürgertums. Dabei sagen die meisten Experten, dass Kindern bildungsferner Eltern nur der gebundene Ganztag wirklich etwas bringt. Derweil übt sich die Politik alle paar Jahre in Bildungsaufbruch-Rhetorik, die nach der Wahl in ein paar Milliarden mehr hier und da umgemünzt wird. Mit mehr Reform würde man die Mehrheitsgesellschaft wieder mal nur unnötig aufregen.
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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