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Hört auf, die Hoffnungsträger schlechtzureden!

An den Grundschulen fehlen zehntausende Lehrer. Entsprechend viele Seiteneinsteiger müssen nachqualifiziert werden. Richtig gemacht könnte ihre Weiterbildung den Weg weisen zur Reform des Lehramtsstudiums insgesamt. Ein Gastbeitrag von Myrle Dziak-Mahler.

Nächster Halt Schule?
Nächster Halt Schule?

ANFANG DES JAHRES legte die Bertelsmann-Stiftung erneut den Finger in die Wunde: Bundesweit fehlen zehntausende Lehrer und die meisten gerade dort, wo der Grundstein für Bildung gelegt wird: an den Grundschulen

 

Dabei ging die Kultusministerkonferenz (KMK) noch vor drei Jahren in ihrer Lehrerbedarfsprognose von einem Absinken der Schülerzahlen auf 7,2 Millionen aus. Doch laut der Bertelsmann-Studie wird sich die bereits jetzt spürbare Personalnot an den Grundschulen in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. Bis 2025 sollen bundesweit 35.000 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer fehlen. Rund 105.000 Grundschullehrer müssten bis 2025 neu eingestellt werden, um ausscheidende Lehrkräfte zu ersetzen und steigende Schülerzahlen aufzufangen. Erst von 2026 an werde sich die Lage wieder entspannen. In einer früheren Studie von 2017 hatte die Bertelsmann-Stiftung bereits darauf hingewiesen, dass an den weiterführenden Schulen bis zum Jahr 2030 27.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden müssten. Schon damals ging die Stiftung  von 8,3 Millionen Schülerinnen und Schülern im Jahr 2025 aus.

 

In der Diskussion, wie man dem Mangel an Lehrkräften schnell begegnen kann, kommen die Seiten- und Quereinsteiger wieder ins Spiel. Nach wie vor ist ihr Einsatz hoch umstritten und wird von Gewerkschaften, Lehrerverbänden und auch von Hochschullehrern kritisiert. Die meisten Bundesländer haben keine erfolgreich etablierten Programme, die es Nicht-Lehrern ermöglichen Lehrer zu werden. Doch welche Alternativen zur Rekrutierung von Lehrern gibt es?

 

Die reguläre Ausbildung einer Lehrkraft dauert von der Bewerbung an einer Universität bis zum erfolgreichen Abschluss des Vorbereitungsdienstes rund sieben Jahre. Würden mit dem heutigen Tag ausreichend Studierende in einen Lehramtsstudiengang aufgenommen, könnten sie also von 2025 an ihren Dienst an einer Schule aufnehmen. Diese Rechnung berücksichtigt nicht, dass an den Universitäten zunächst ausreichend Kapazitäten geschaffen werden müssten und dass von einem Jahrgang Lehramtsstudierender erfahrungsgemäß nur ein Drittel Lehrer werden. Wenn die Alternative zu den Seiten- und Quereinsteigern "Unterrichtsausfall" heißt, dann sind die auf nicht regulärem Weg ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer eindeutig die bessere Wahl.

 

Ohne Frage setzt ihr Einsatz voraus, dass sie für den Schuldienst qualifiziert werden müssen. Schleswig-Holstein macht nach Angaben des Bildungsministeriums von Karin Prien (CDU) mit einem neuen Modell positive Erfahrungen: Quer-, Seiten- und Direkteinsteiger, die wie anderswo die kurzfristigen Engpässe füllen, soll der Lehrberuf dauerhaft schmackhaft gemacht werden, und mit einem intensiven Training sollen sie sich auf das Unterrichten vorbereiten. Seiteneinsteiger absolvieren dabei kein klassisches Referendariat, sondern werden binnen zwei Jahren als Angestellte berufsbegleitend am "Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein" (IQSH) fortgebildet. Leider gilt dieses Verfahren aber für vorher definierte Mangelfächer.  

 

Hier im Blog kritisierte neulich der Mathedidaktiker Benjamin Rott den Einsatz von Quereinsteigern. Er sei "keine Lösung": Mathelehrer müssten etwas von Mathematik verstehen. Um diesem immer wiederkehrenden Argument zu begegnen: Quer- und Seiteneinsteiger sind fachlich qualifiziert. Sie haben ein einschlägiges Studium absolviert und bringen oft eine wertvolle Perspektive mit, weil sie Erfahrungen in einem anderen Beruf gesammelt haben. Was ihnen fehlt, ist eine pädagogische und (fach-) didaktische Qualifikation. Das darf nicht unterschätzt werden, ist aber durch geeignete Programme erlernbar.

 

Die in den meisten Ländern gängigen Quer- und Seiteneinsteigerprogramme reichen dafür jedoch nicht aus. Langfristig müssen wir das Thema Schule völlig neu denken. Neue gesellschaftliche Anforderungen, die besonders durch die immer stärkere Digitalisierung ausgelöst werden, müssen sich in der Ausbildung angehender Lehrkräfte widerspiegeln. Ein Festhalten an Ausbildungsstrukturen des 20. Jahrhunderts ist ebenso falsch wie das Tradieren veralteter Unterrichtsinhalte. 

 

Was wir brauchen, ist eine flexiblere Ausbildung, die es ermöglicht, den Lehrberuf auch dann zu ergreifen, wenn man ihn nicht grundständig studiert hat. Und wir brauchen eine klare Haltung: Die gesellschaftliche Aufwertung des Berufs ist Grundvoraussetzung, um seine Attraktivität zu erhöhen. Das gilt besonders für das Grundschullehramt. In Finnland, das nach wie als Bildungsmusterland Nr.1 gilt, ist das praxisnahe Studium ein Schlüssel zum Erfolg. Wer hier in den Schuldienst möchte, muss nicht nur fachlich hervorragend qualifiziert sein, sondern auch seine Motivation klar darlegen. Interessanterweise ist in Finnland der Wettbewerb unter den Bewerbern für die sechsjährige Primarschule besonders groß. 

 

In der Vergangenheit hat Nordrhein-Westfalen schon einmal gute Erfahrungen mit einer Reform des Lehramtsstudiums gemacht: Die Einführung des Praxissemesters hat dazu geführt, dass Studierende frühzeitig mit der Praxis vertraut gemacht werden und ihren Berufswunsch gegebenenfalls korrigieren können. Umgekehrt sollten wir auch Möglichkeiten schaffen, den Lehrberuf nachträglich ergreifen zu können. In vielen europäischen Ländern studiert man gar nicht erst "auf Lehramt", sondern erwirbt das pädagogische und didaktische Handwerkszeug in einem Aufbau-Masterstudiengang. Ein ähnliches Modell hatte zuletzt der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates Manfred Prenzel hier im Blog vorgeschlagen.

 

Warum knüpfen wir nicht daran an? Warum überlegen wir nicht gemeinsam, welche flexiblen Optionen wir gemeinsam schaffen?  So würden wir nicht nur den aktuellen Lehrermangel in Angriff nehmen, sondern wir würden endlich langfristig die Versorgung der Schulen sichern – mit Lehrkräften, die für die aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen gerüstet sind.

 

Myrle Dziak-Mahler ist Geschäftsführerin des Zentrums für LehrerInnenbildung an der Universität zu Köln.


Christoph Hoffmann: "Niederflurbus SSB.JPG", CC-BY-SA-2.0-DE

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