Eigentlich wollten die "Ärzte gegen Tierversuche" an einem Berliner Forschungsinstitut gegen die Gefühlskälte der Wissenschaftler demonstrieren. Doch die reagierten mit Umarmungstaktik – und lieferten ein Lehrstück für gelungene Wissenschaftskommunikation.
ES IST EIN PREIS, den keiner haben will. "Herz aus Stein", heißt die Skulptur, die die "Ärzte gegen Tierversuche" am vergangenen Donnerstag einem Forscher des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) überreichen wollten. Weil er aus reiner Neugier "ohne jeglichen Bezug zum kranken Menschen" Nacktmulle und Mäuse gequält und erstickt habe. "Niemand braucht solch eine abstruse Forschung", sagte Corina Gericke, Vorstandsmitglied der "Ärzte gegen Tierversuche".
So plakativ die Aktion war, so einseitig fiel zunächst auch die Berichterstattung aus. "Preis für 'Schlimmstes Tierexperiment des Jahres' geht nach Berlin", titelte zum Beispiel die Huffington Post und versah das Ganze noch mit der Unterzeile: "Die Versuche sind unnötig, grausam und durch Steuern finanziert." Sogar der öffentlich-rechtliche Sender RBB übernahm zunächst fast wortwörtlich die Pressemitteilung der Tierversuchsgegner, ein Statement des MDC wurde offenbar erst später hinzugefügt.
Tatsächlich hatten die kritisierten Versuche aber gar nicht an dem Berliner Forschungsinstitut, sondern in Chicago stattgefunden. Und zur vermeintlichen Abstrusität der Forschungsanordnung sagte der MDC-Vorstandsvorsitzende Martin Lohse, die Ergebnisse der Studie sollten dabei helfen, Herz und Gehirn von Patienten nach Infarkt und Schlaganfall zu schützen. "In solchen Fällen sind Zellen von Sauerstoffmangel bedroht, der beim Menschen verheerende Auswirkungen haben kann."
Demgegenüber können Nacktmulle längere Zeit ohne Sauerstoff auskommen. Bis zu 18 Minuten, ergab die Studie – ohne bleibende Schäden zu erleiden. Wie schaffen die das, wollten Forscher am MDC, in den USA und in Südafrika wissen. Und fanden Antworten: "Die Studie hat bei Nacktmullen einen bisher völlig unbekannten Schutzmechanismus gegen Sauerstoffmangel beschrieben", sagt Lohse. "Der Weg bis zu einer Therapie für Menschen mag lang sein. Doch bereits die Hoffnung darauf hat ein großes positives Echo in der Wissenschaft und auch in der Öffentlichkeit erzeugt." Medien in aller Welt hätten über die Entdeckung berichtet.
All das spielte für die "Ärzte gegen Tierversuche" freilich keine Rolle, als sie den Nacktmull-Versuch in einer Internet-Abstimmung gegen vier weitere vermeintliche Negativ-Kandidaten antreten ließen. Wobei sie sich in der öffentlichen Darstellung nie so recht entscheiden konnten, ob sie sich mit der Kampagne nun gegen den Versuch, gegen die Forschungseinrichtung oder gegen den namentlich an den Pranger gestellten MDC-Forscher Gary Lewin richten wollten. Sei es drum: Von 3529 abgegebenen Stimmen entfielen 48,3 Prozent auf die Nacktmulle, knapp 29 Prozent votierten für eine Studie des Innovationszentrums für Biochemie in Martinsried.
Man kann sich vorstellen, wie sie im Berliner Ortsteil Buch, wo das MDC seinen Campus hat, in Krisenrunden beraten haben, wie sie auf den Besuch der Tierversuchsgegner reagieren sollen. Emotional konnte man da doch nur verlieren, oder? Und dazu die Macht der Bilder, wenn die Tierversuchsgegner mit ihrer Skulptur vor dem MDC aufkreuzen würden. Doch anstatt die Türen zu verrammeln, erdachten Lohse und seine Leute ein intelligentes Stück Wissenschaftskommunikation.
Apropos Macht der Bilder: Nach der Aktion stellten die "Ärzte gegen Tierversuche" ein Foto auf ihre Website, darauf zu sehen sind eine Handvoll Mitstreiter, die ein Transparent, die Herz-Skulptur und Plakate mit Nacktmullen in die Kamera halten. Im Hintergrund die Glasfassade eines MDC-Gebäudes. Ein voller Erfolg?
Aufschlussreich ist der Wechsel auf die Website des MDC. Auch dort haben sie ein Foto von der Szene hochgeladen, diesmal allerdings in der Totalen. Und plötzlich zeigt sich: Da stehen über 100 MDC-Mitarbeiter neben den Aktivisten, sie alle halten auch Schilder hoch, auf denen steht: "Lassen Sie uns reden!", "Fragen Sie mich!" oder auch "Gesprächsbereit".
Nein, sie haben am MDC nicht die Tür verrammelt, sondern sie haben sich vor ihren Kollegen Gary Lewin gestellt und wollten diskutieren mit den sichtlich verdutzten Tierversuchsgegnern. Das taten sie dann dem Vernehmen nach auch. Durchaus engagiert und ohne laute Töne. Die Einladung, in der Mensa weiterzudiskutieren, hätten die Gäste freilich nicht annehmen wollen, berichtet das MDC.
Die "Ärzte gegen Tierversuche" halten dem entgegen, die Diskussionsrunde sei nicht zustande gekommen, "weil sich das MDC nicht auf den Wunsch des Ärztevereins nach gleich verteiltem Kräfteverhältnis einlassen wollte". Das MDC bestreitet dies und betont, darauf habe man sich sehr wohl eingelassen, doch hätten die Tierversuchsgegner mit dem Hinweis verabschiedet, sie müssten den nächsten Zug erwischen.
Noch einen Punkt haben beide Seiten offenbar unterschiedlich in Erinnerung. Auf der Website von "Ärzte gegen Tierversuche" steht, die "Tierexperimentatoren" des MDC hätten die Auszeichnung erhalten. Das Forschungsinstitut teilt demgegenüber mit, man habe den Preis selbstverständlich nicht angenommen, weil man ja eben kein Herz aus Stein habe, die Aktivisten hätten die Skulptur daher wieder einpacken müssen.
Man nehme sachliche und fachliche Kritik an Tierversuchen ernst und sei zu einem Dialog bereit, sagte MDC-Chef Lohse. Die Kampagne der "Ärzte gegen Tierversuche" beruhe jedoch darauf, durch die Verleihung eines "Herz aus Stein" für einen Tierversuch einzelne Personen persönlich und pauschal zu diffamieren. "Diese Art der Kritik ist nicht akzeptabel." Davon distanziere man sich als Wissenschaftler und als gesamte Institution.
Die meisten Unterstützer von "Ärzte gegen Tierversuche" werden die Aktion trotzdem feiern. Doch die Gegenaktion des MDC zeigt, dass Wissenschaftskommunikation auch gegenüber populistischer Kritik nicht machtlos ist. Was keinesfalls bedeutet, dass Forscher automatisch und immer im Recht sind, wenn sie Tierversuche durchführen. Was aber in jedem Fall bedeutet, dass es sich für die Gesellschaft lohnt, genau hinzuschauen und den Beweggründen der Wissenschaftler zuzuhören.
Zum Glück haben das die meisten Hauptstadtmedien ohnehin und von sich aus getan, allen voran der Tagesspiegel, dessen Stück zum vermeintlichen "Herz aus Stein" ausgewogen und kenntnisreich geworden ist.
Dass Aufklärung weiter Not tut, zeigt indes auch eine Initiative aus der von Grünen Dirk Behrendt geführten Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Die Behörde will das Tierschutzgesetz ergänzen. Tierschutzorganisationen sollen einem Referentenentwurf zufolge weitreichende Mitwirkungs- und Klagerechte bei "tierschutzrelevanten Verwaltungsverfahren" erhalten, berichtet die Berliner Morgenpost. Mit gravierenden Folgen für die Genehmigung von Tierversuchen in der medizinischen Forschung: Die Justizbehörde sieht ein Verbandsklagerecht vor, das Klagen grundsätzlich eine aufschiebende Wirkung einräumen würde – solange, bis das Verwaltungsgericht geurteilt hat. Was in Einzelfällen Jahre dauern könte. Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) warnt, eine solche Neuregelung "würde medizinischen Fortschritt und Heilungsmöglichkeiten bei schweren Krankheiten ausbremsen".
Es bleibt viel zu tun in Sachen Wissenschaftskommunikation.
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Lars Dittrich (Dienstag, 17 April 2018 21:21)
Danke für den schönen Bericht! Da wäre ich gerne dabei gewesen.