Beim Forschungsgipfel in Berlin hielt die neue Bundesministerin heute ihre erste wissenschaftspolitische Grundsatzrede. Sie fand klare Worte.
DIE TEILNEHMER DES Forschungsgipfels 2018 warteten geduldig. "Die erste forschungspolitische Grundsatzrede" der neuen Ministerin werde man gleich hören, raunte der eine. "Aber sie hat doch auch schon bei der Verleihung der Leibniz-Preise etwas zur Wissenschaftspolitik gesagt", gab ein zweiter zu bedenken. So oder so waren die Erwartungen an den Auftritt von Anja Karliczek gewaltig, und man tritt der vergangenen Monat ins Amt gekommenen Bundesministerin für Bildung und Forschung nicht zu nahe, wenn man annimmt, dass sie nochmal kräftig durchgeatmet hat, bevor sie vorm Allianz-Forum am Pariser Platz in Berlin-Mitte aus dem Auto stieg.
Den Habitus der zu spät kommenden Spitzenpolitikerin hatte sie schon drauf, das war aber dann aber auch das einzige, was althergebracht an Karliczeks Auftritt war: Ministerin, weiblich und unter 50, trifft auf eine Wissenschaftsszene, die, der Zusammensetzung im Allianz-Forum nach zu deuten, immer noch zum großen Teil männlich und jenseits der 50 ist. Auch die Unternehmer, die sich dazwischen mischten, erhöhten den Frauenanteil nur geringfügig. Ob und in welchen Grenzen eine solche Demographie in den Forschungs-Führungsetagen innovationsförderlich ist, war eine Frage, die auch immer wieder auf dem Forschungsgipfel diskutiert wurde, die aber hier nicht im Zentrum stehen soll.
Im Zentrum steht Anja Karliczek und das, was sie der Szene zu sagen hatte (hier der Link zur Videoaufzeichnung ihrer Rede). Die wichtigste Schlussfolgerung vorweg: Die Neue hat die Gratwanderung erfolgreich gemeistert. Die Gratwanderung, nach vier Wochen im Amt nicht so zu tun, als wolle man 400 versammelten Wissenschafts- und Unternehmenslenkern die Forschungswelt erklären, aber umgekehrt eben auch nicht defensiv-apologetisch daherzukommen nach dem Motto: Fragt mich bitte noch nichts, ich brauche noch Zeit, um eine Haltung zu entwickeln.
Haltung, das wurde deutlich, hat die neue Ministerin. Und ein paar Schwerpunkte zeichneten sich ab. Karliczek sieht es als Aufgabe von Wissenschaft und Forschungspolitik, sich in einer "spannenden Zeit", die zugleich eine "Zeit der Spannungen" ist, mit den Zukunftsängsten der Menschen, auch mit denen durch Forschung und Digitalisierung ausgelösten Zukunftsängsten, auseinanderzusetzen und den Zusammenhalt zu stärken.
Für die Ministerin, das wurde klar, ist Innovationspolitik immer auch Gesellschaftspolitik. "Auf die wesentlichen Fragen unserer Zeit können wir nur mit Forschung und Innovation Antwort geben",sagte die Ministerin. "Aber diese Antworten müssen auch von den Menschen verstanden und akzeptiert werden.“ Neue Ideen müssten die Herzen der Menschen erreichen, daher gelte für die kommenden Jahre: "Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Forschungs- und Innovationspolitik". Damit die Potenziale der Forschung wirklich bei den Menschen ankämen und ihren Bedürfnissen entsprächen, sei eine noch bessere Vernetzung von Wissenschaft, Wissenschaft und Gesellschaft nötig, sagte Karliczek und nannte als Beispiel die Gesundheitsforschung und ihren Kampf gegen den Krebs.
Heißt das eine Absage an die Grundlagenforschung? Einige Zuhörer kritisierten danach Karliczek für ihre "einseitige und eindimensionale Innovationsgläubigkeit". Ich hingegen habe die Ministerin so nicht verstanden. Das Thema war beim Forschungsgipfel nun einmal Innovation und nicht Grundlagenforschung. Aber sicher ist es so (und das ist jetzt meine Deutung), dass sich auch die Grundlagenforschung nicht mit dem Hinweis, sie verwahre sich gegen die schnelle Verwertungslogik, einen schlanken Fuß machen darf. Auch sie muss einer Öffentlichkeit, die nicht mit Fachsprache und Wissenschaftssprech vertraut ist, ihre unbestrittene Relevanz gerade in ihrer Freiheit und Ergebnisoffenheit verständlich machen.
Ein neuer Sound hallte also durch das Allianz-Forum, später gönnte die Ministerin dem Publikum dann aber doch noch ein paar der häufiger auf dem Forschungsgipfel gehörten und in ihrer Schwammigkeit immer irgendwie richtig klingenden Allgemeinplätze. "Wir müssen mehr Risiko wagen" zum Beispiel. Und wo notwendig, sagte Karliczek, müsse der Staat mutig vorangehen, sich auch als "Visionär betätigen, um die positive Dynamik im Bereich von Forschung und Entwicklung noch stärker zu treiben".
Es waren diejenigen Passagen von Karliczeks Rede, in denen plötzlich das Ministerium stärker zu hören war als die neue Ministerin. Deshalb durfte im Folgenden natürlich auch der Hinweis auf den nahezu erreichten 3,0-Prozent-Anteil der Forschungsausgaben an der Wirtschaftsleistung fehlen und auch nicht die Beschwörung des neuen 3,5-Prozent-Ziels.
Es folgten also ein paar Minuten obligatorische Aufzählung des von ihrem Ministerium bereits Erreichten, begleitet von einem Schnelldurchlauf durch die Nomenklatur der Förderprogramme und Strategieinitiativen, bevor die Ministerin hörbar wieder bei dem ihr selbst besonders Wichtigen ankam: Es komme auf den Transfer aus der Grundlagenforschung in die Anwendung an, sagte sie. Denn bei allen Fortschritten blieben "immer noch zu viele gute Ideen in den Köpfen unserer Forscherinnen und Forscher stecken oder werden zuerst im Ausland verwertet." Darum gehe es ihr sehr um eine offenere Innovationskultur: "Offenheit bedeutet, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Experimentierräume nutzen und dabei neue Akteure bis hin zu späteren Anwendern in den Innovationsprozess integrieren." Sie wolle "deshalb etwas einführen, was das deutsche Innovationssystem bisher noch nicht hat: eine Innovationsagentur für Sprunginnovationen, die staatlich finanziert, mit außergewöhnlichen Freiheitsgraden ausgestattet, Möglichkeiten schafft, um Außergewöhnliches zu erreichen." Im Mittelpunkt aller Projekte müsse aber immer die konkrete Anwendungsfähigkeit für den Menschen stehen.
Keine wirklich überraschende Ansage war das, das Thema kursiert seit längerem in der Szene, aber in der Konsequenz war es dann doch ein sehr deutliches Versprechen der neuen Ministerin, dass sie sich hinter dieses Vorhaben klemmen will. Und es passt, siehe oben, ja auch zu ihrem Credo von Innovationspolitik, die immer auch Gesellschaftspolitik ist.
Zu dem Zweiklang Innovations- und Gesellschaftspolitik gehört für Karliczek noch etwas drittes, auch das wurde sehr deutlich in ihrer Rede: ein wachsendes Engagement des Bundes in der Bildung und Weiterbildung, um "Zukunftskompetenzen zu fördern". Die Ministerin unterschied dabei zwei Dimensionen. Einerseits gehe es darum, die Menschen für ihr Berufsleben vorzubereiten – "und andererseits die Grundbildung zu gewährleisten, damit die Menschen ihren Platz und ihre Aufgabe in der Gesellschaft einnehmen können."
So wurde Karliczeks Auftritt beim Forschungsgipfel tatsächlich zu der forschungspolitischen Grundsatzrede, die einige erhofft und andere der neuen Ministerin gar nicht zugetraut hatten. Sie habe ja von der Wissenschaft keine Ahnung, kritisierten viele Forscher und Wissenschaftsmanager hinter vorgehaltener Hand – und fast eingeschnappt – bei ihrer Nominierung. Spätestens nach ihrer heutigen Rede ist klar: Karliczek, die in Interviews nie ein Hehl daraus macht, dass sie sich als Lernende sieht, hat Ahnung. Und zwar eine ziemlich genaue Ahnung von der Richtung, in die sie ihr Ministerium und die Wissenschaftspolitik in den nächsten Jahren steuern will.
Anmerkung: Normalerweise schreibe ich bewusst nichts über Veranstaltungen, die ich als Moderator mitgestaltet habe. In diesem Fall mache ich angesichts des Nachrichenwerts der Rede von Anja Karliczek eine Ausnahme – liefere den dazu gehörigen Hinweis aber deshalb mit.
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McFischer (Mittwoch, 18 April 2018 12:36)
Lieber Herr Wiarda,
gut, dass Sie hier mit Ihrem Grundsatz gebrochen haben - und Danke für den informativen Artikel!