Die Kultusminister sind sauer: Anja Karliczek drücke sich vor klaren Ansagen zum Digitalpakt, weitere Verzögerungen drohten. Die neue Bildungsministerin kontert.
Foto: pixabay
TIES RABE IST seit kurzem der dienstälteste Bildungsminister der Republik. Das gibt seinem Wort Gewicht. Seinem Ärger auch. "Dazu kann ich nur sagen: Das kommt überhaupt nicht in Frage", sagt der Hamburger Schulsenator.
Grund für seinen Ausbruch sind Äußerungen der neuen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Sie hat in Interviews angekündigt, dass vor der Verabschiedung des seit Ende 2016 versprochenen "Digitalpakts Schule" erst noch die im GroKo-Koalitionsvertrag beschlossene Grundgesetzänderung durch sein soll. Karliczeks Vorgängerin Johanna Wanka hatte dagegen stets betont, die Vereinbarung gehe auch ohne Verfassungsänderung. Doch nun sollen es die zwei ersten Bildungsgroßprojekte der neuen Bundesregierung werden: Eine neue Formulierung in der Verfassung soll es dem Bund ermöglichen, direkt und überall in Fällen gesamtstaatlicher Bedeutung "im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur" zu investieren. Und über den Digitalpakt sollen dann auch gleich Milliarden in die IT-Ausstattung der Schulen fließen.
Schon das mit Karliczeks Ankündigung per Interview stört Rabe. "Zurzeit äußert sie sich leider nur über die Medien", sagt der SPD-Politiker. "Besser wäre, wenn Bund und Länder wieder direkt miteinander reden würden." Er habe deshalb als Vertreter der roten und grünen Bildungsminister offiziell um einen Termin bei der Ministerin gebeten. Wenn die Bundesregierung jetzt erst noch das Grundgesetz ändern wolle, bedeute "diese neue Zeitplanung", so Rabe, "dass vor 2020 kein Geld kommt und sich der Digitalpakt letztlich um drei Jahre verzögert."
Nicht nur die SPD-Ressortchefs sind aufgebracht. "Die Lage ist deprimierend", sagt auch Susanne Eisenmann, die CDU-Kultusministerin aus Baden-Württemberg. Zur zeitlichen Perspektive des
Digitalpakts könne sie im Moment nichts sagen. "Es gibt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) keine Terminplanung, es gibt keine Aussage zu der Frage, ob die im vergangenen Jahr
vereinbarten Eckpunkte überhaupt weiter gelten." Und dann sagt Eisenmann einen Satz, der Karliczek in den Ohren klingen dürfte: "Wenn das Verhalten des Bundes beim Digitalpakt
kennzeichnend wird für sein geplantes größeres Engagement in der Bildungspolitik insgesamt, dann sage ich herzlichen Dank.“ >>
WEITERE AKTUELLE THEMEN:
o KITAGEBÜHREN: JE BILLIGER HEISST NICHT AUTOMATISCH DESTO GERECHTER
o KARLICZEK TRIFFT SZENE: DER AUFTRITT DERN NEUEN MINISTERIN BEIM FORSCHUNGSGIPFEL
o WARUM WIR EINE DEUTSCHE TRANSFERGEMEINSCHAFT BRAUCHEN. GASTBEITRAG VON M. BAUMANN
>> Die Wut der Länder erklärt sich auch aus der von Anfang an holprigen Verhandlungsgeschichte um den Digitalpakt. Im Oktober 2016 war Johanna Wanka vorgeprescht und hatte in einem BamS-Interview fünf Milliarden Euro für die digitale Aufrüstung der Schulen versprochen: eine Milliarde pro Jahr, ursprünglich gedacht wohl schon von 2017 an. Die Kultusminister, die parallel gerade an ihrer eigenen digitalen Bildungsstrategie arbeiteten, waren düpiert, zogen aber mit. Stillschweigend wurde das Startjahr 2017 kassiert. 2018, direkt nach der Bundestagswahl, war jetzt das Ziel. Und tatsächlich gingen die Verhandlungen Ende Januar 2017 flüssig los. Besagtes Eckpunktepapier wurde in allen Details geduldig ausgearbeitet, bevor ein zehnwöchiges Sommertheater begann – ausgelöst durch eine abgesagte Unterzeichnung des Papiers durch Wanka und die spitzen Reaktionen der Kultusminister.
Im August schließlich rief die damalige Bundesministerin bei Eisenmann an, die zu der Zeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz war, und versprach eine Bund-Länder-Vereinbarung doch noch bis Ende 2017, die "Voraussetzung für die Umsetzung des Digitalpakts und die Bereitstellung der erforderlichen Mittel in den Haushalten von Bund und Ländern ist". Und Eisenmann sagte, sie sei jetzt wieder zuversichtlich, "dass wir das gemeinsame Ziel einer unterschriftsreifen Bund-Länder-Vereinbarung zum Digitalpakt noch in diesem Jahr erreichen werden."
Dann jedoch kamen die Wahl und die langwierigen Koalitionsverhandlungen, und erneut war alles anders. Anfang Dezember teilte der damalige Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun (CDU) mit, die Bundesregierung habe "von Beginn an" darauf hingewiesen, dass der Digitalpakt erst nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung verabschiedet werden könne, "sobald auch die dafür notwendigen Haushaltsmittel veranschlagt wurden." Der "Erarbeitungsprozess zwischen Bund und Ländern", zu denen Braun die Eckpunkte verbal degradierte, bilde dafür "die Grundlage". Womit man mit dem Digitalpakt-Start faktisch Mitte 2018, möglicherweise sogar Anfang 2019 gelandet war. Was dann auch die im Koalitionsvertrag eingeplanten nur noch 3,5 Milliarden für die laufende Legislaturperiode erklärte.
Doch davon, dass zuerst die Verfassungsänderung kommen muss, sei selbst zu dem Zeitpunkt noch nicht die Rede gewesen, heißt es aus den Ländern. Warum auch, sagt Ties Rabe: Während die SPD im Bundestagswahlkampf die Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbots forderte, hatte der Schulsenator schon im Oktober 2016 versichert: "Wenn Frau Wanka über die wacklige Brücke des (bestehenden) Artikels 91 c gehen will, wird kein Land sie runterschubsen." So sinnvoll die Grundgesetzänderung aus seiner Sicht sei, betont der Senator jetzt: "Bitte den Digitalpakt nicht dranhängen!"
Karliczek: Beide Seiten haben
noch Hausaufgaben zu machen
Die Länder vermuten hinter dem neuen Zeitplan eine Verzögerungstaktik. Offenbar habe das BMBF die erforderlichen Mittel immer noch nicht im Haushalt verankern können, so dass Anja Karliczek jetzt wie schon ihre Vorgängerin auf Zeit spiele.
Die neue Bundesministerin versteht derweil die ganze Aufruhr nicht. "Es ist doch nicht so, dass wir die Länder blockieren. Bis der Digitalpakt startet, haben beide Seiten noch Hausaufgaben zu erledigen." Und dann bestätigt Karliczek die Länder sogar: Tatsächlich müsse sie zum Beispiel in den Haushaltsverhandlungen noch das Digitalpaktgeld für 2019 besorgen, doch sei sie "zuversichtlich", dass das gelinge. Umgekehrt, sagt Karliczek, hätten die Kultusminister genug damit zu tun, die angekündigte Ausrichtung der Lehrerbildung und -fortbildung hin auf die Digitalisierung voranzubringen, aber auch die Anpassung der Curricula.
Doch warum hält die neue Ministerin anders als Wanka die Grundgesetzänderung überhaupt für eine nötige Voraussetzung des Digitalpakts? "Der Umgang der Länder mit den Bafög-Milliarden hat gezeigt, dass die Verbindlichkeit der Zweckbestimmung wichtig ist, wenn der Bund Geld in die Länder gibt", sagt Karliczek. 2015 hatte das BMBF den Länderanteil der Studienfinanzierung übernommen, eine gute Milliarde pro Jahr – doch die Länder hatten nur einen Teil der freigewordenen Mittel in die Hochschulen gesteckt und einen anderen Teil in Schulen und Kitas. Einige Landesfinanzminister hatten das Geld sogar komplett eingesackt. "Angesichts dieser Geschichte glaube ich, dass die Kultusminister selbst auch großes Interesse an der Grundgesetzänderung haben, damit das Geld auch bei ihnen ankommt."
Unterstützung erhält Karliczek von der SPD-Digitalexpertin im Bundestag, Saskia Esken. "Die Reihenfolge – erst Grundgesetzänderung, dann Digitalpakt – ist richtig so. Gut, dass das im BMBF inzwischen auch so gesehen wird."
Tatsächlich überrascht die Überraschung der Länder ein wenig. Im GroKo-Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: Um die "Investitionsoffensive für Schulen" auf den Weg zu bringen, werde man die "erforderliche Rechtsgrundlage in Art. 104c Grundgesetz" anpassen. Womit die Reihenfolge spätestens zum Zeitpunkt des auch von den CDU- und SPD-regierten Ländern mitgetragenen Koalitionsvertrag klar gewesen sein müsste.
Wie schnell geht es wirklich
mit der Grundgesetzänderung?
Im Übrigen, sagt Karliczek, verursache die Grundgesetzänderung gar keine nennenswerte Verzögerung: Der erste Referentenentwurf liege bereits vor, die Neufassung könne der Bundestag noch im Herbst beschließen. "Und ich gehe davon aus, dass dann auch die Länder zeitnah zustimmen.“
Wobei das die optimistische Version ist. Da Union und SPD die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag fehlt, werden die Oppositionsparteien zum Zünglein an der Waage. Und auch wenn Grüne, Linke und FDP grundsätzlich für mehr Bundesengagement in der Bildung sind, dürften sie doch noch auf der einen oder anderen Veränderung drängen – was wiederum Verhandlungszeit kosten könnte. Die Freien Demokraten sollten ihre Gestaltungschance bei der Reform des Kooperationsverbots nutzen, sagte FDP-Chef Christian Lindner vergangene Woche Teilnehmer zufolge in der Sitzung seiner Bundestagsfraktion.
Bildungsbildungsministerin Karliczek bekräftigt unterdessen, dass die Kultusminister schon jetzt sehr wohl planen könnten, was sie mit dem Digitalpakt-Geld finanzieren wollen. "Sie wissen doch, dass es kommt, also können sie alles Nötige in die Wege leiten."
Genau dieses sichere Wissen bestreiten die befragten Kultusminister. Nach ihrer Auffassung hat sich das neue BMBF noch nicht klar genug zu den Eckpunkten bekannt. Und bis das passiere, hänge alles in der Schwebe: "Die Länder warten", sagt Susanne Eisenmann. "Die Kommunen als Schulträger warten auch und stellen ihre Investitionen zurück, weil sie nicht wissen, wofür genau es am Ende Bundesmittel gibt und wofür nicht.“ Wenn die Kommunen dann in Eisenmanns Ministerium nachfragten, könne man ihnen nur bedauernd antworten: "Wir wissen es auch nicht. Das ist doch kein Zustand!" Auch Hamburg, sagt Ties Rabe, habe bereits Programme ausgearbeitet, die jederzeit auf Abruf beginnen könnten, sobald der Bund die Finanzierung "wie vereinbart" starte: "Die Länder warten jetzt seit über einem Jahr auf die vom Bund versprochenen Gelder." Eigentlich habe Hamburg mit dem Geld der Bundesregierung dieses Jahr alle weiterführenden Schulen mit WLAN ausstatten wollen. "Nun sehen wir staunend, dass selbst das Jahr 2019 wackelt."
Das, was Karliczek zu den Eckpunkten sagt, klingt in der Tat ähnlich offen wie Helge Brauns Ansage im Dezember: Der "Entwurf der Eckpunkte" bleibe unverändert "die Grundlage für weitere Gespräche. Bis zu einer fertigen Bund-Länder-Vereinbarung müssen noch eine Reihe von Punkten für eine optimale Umsetzung geklärt werden." Dazu seien in den vergangenen Monaten ja auch schon "auf Arbeitsebene" weitere Einzelheiten zwischen Bund und Ländern vorgesprochen worden.
Auch KMK-Präsident Holter
will dringend Klärung
Ja, aber handelt es sich um letzte Details oder um ein Nachhandeln zentraler Punkte? Das wollten die Länder jetzt schon gern mal wissen, sagt auch Helmut Holter (Linke), der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK). Auch er wartet auf sein Treffen mit der neuen Ministerin. Ein Termin sei jetzt für die zweite Maiwoche angesetzt. "Da hoffe ich dringend auf Klärung." Dass jetzt erst die Grundgesetzänderung kommen soll, sei ihm zum Beispiel neu. "Dazu habe ich offiziell vom BMBF noch gar nichts gehört."
Derweil poltert Senator Rabe sicherheitshalber schon mal in Richtung BMBF. "In mühevoller Arbeit" hätten Bund und Länder auf Ebene der Staatssekretäre ein sehr gutes Ergebnis erzielt. "Ich bin strikt dagegen, das alles wieder zur Diskussion zu stellen und wieder von vorn zu beginnen. Wir müssen endlich ins Handeln kommen, die Schulen warten schon zu lange." Rabe verweist darauf, dass das BMBF in den Verhandlungen hochrangig durch Cornelia Quennet-Thielen vertreten gewesen sei – "die alte und neue Staatssekretärin". Soll heißen: Die Kontinuität ist doch da.
Auch Bundespolitikerin Saskia Esken sagt, die Länder bräuchten jetzt Planungssicherheit und deshalb die klare Ansage der Ministerin, dass die ausgehandelten Eckpunkte gelten. „Wenn Karliczek jetzt offensiv zu den Eckpunkten steht und sagt, der Pakt ist ausverhandelt, dann ist wirklich keiner mehr gebremst.“
Kommentar schreiben
Donate Kluxen-Pyta (Montag, 23 April 2018 16:31)
Im Prinzip muss auch noch erst die Versteigerung der Lizenzen erfolgen, aus denen der Pakt finanziert werden soll
Klaus Hekking (Mittwoch, 25 April 2018 14:21)
Das Vorgehen der Bundesbildungsministerin ist nicht zu beanstanden.
1. kann sie nicht verfassungswidrig Geld verteilen. Ob da ein Land schubst oder nicht, ist völlig unerheblich
2. sind primär die Länder für das Thema verantwortlich, nicht der Bund und wenn sie es so eilig haben, können sie ja zwischenfinanzieren bis die Bundesförderung kommt
3. ist es sehr angebracht, dass der Bund auf eine korrekte Mittelverwendung achtet, damit sich solche Dinge wie bei BAFöG und Hochschulpakt nicht wiederholen