Die Kultusministerkonferenz ist in der Krise – mal wieder. Diesmal könnte es wirklich ernst werden.
Die KMK ist stolz darauf, älter als die Bundesrepublik zu sein (links u. die Gründung 1948). Anfang 2018 übergab Susanne Eisenmann die Präsidentschaft an Helmut Holter, der die Feier zum 70. Geburtstag ausrichtete. Doch ausgerechnet im Feierjahr stapeln sich die Probleme. Fotos: KMK/Ralf Rühmeier.
NACH SEINEM AMTSANTRITT kürzte der neue Ministerpräsident die Hochschulbudgets, strich den Lehrern das Urlaubsgeld und verkündete die Schließung der Landeszentrale für politische Bildung. Alles, um das Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Die Beliebtheitswerte rauschten in den Keller, da kam dem Mann eine Idee: Niedersachsen steigt aus der Kultusministerkonferenz (KMK) aus. Spart noch ein paar Euro – und die KMK mag ohnehin keiner.
"Zu teuer, zu bürokratisch, zu wenig effektiv" sei der Klub der Bildungsminister, schimpfte Christian Wulff im September 2004. Sein Kalkül ging auf. Mochten Kollegen aus anderen Bundesländern ihm auch Populismus vorwerfen, Wulff kündigte trotzdem das seit 1959 bestehende KMK-Länderabkommen, und die eben noch gebeutelten Hochschulrektoren applaudierten. Der Arbeitgeberverband BDA forderte das Ende der "Gängelung" und der Tagesspiegel kommentierte: "Die Kündigung der KMK kann nur der Anfang sein."
Die Geschichte der Kultusministerkonferenz endete damals natürlich nicht. Die "Sekretariat“ genannte Behörde hinter der KMK musste 20 Prozent der Stellen einsparen, die versammelten Ressortchefs schworen sich gegenseitig auf die große Reform ein, und Wulff wandte sich anderen Themen zu. Der heiße KMK-Herbst 2004 offenbarte allerdings das ständige Dilemma einer politischen Institution, die zu den unbeliebtesten, zugleich aber auch unbekanntesten des Landes zählt. Kaum einer weiß die Ministerrunde zu schätzen. Allerdings weiß auch kaum einer genau, was sie treibt. Dabei ist das gar nicht mal wenig (siehe Kasten). Die KMK gilt als Auswuchs eines fehlerbehafteten Bildungsföderalismus, von dem bei Umfragen mindestens die Hälfte aller Deutschen sagen, er gehöre abgeschafft. >>
"Wir müssen in die Puschen kommen"
Bevor die Bundesrepublik gegründet wurde, gab es die Länder, die sich bis heute stark über ihre primäre Zuständigkeit für Schule, Hochschule und Kultur definieren. Damit ihre Kulturhoheit nicht zum totalen Auseinanderdriften führte, entstand schon 1948 die „Ständige Konferenz der Kultusminister“. Die Ressortchefs treffen sich mehrmals im Jahr, ihre Ministerien vernetzen sich zudem in Kommissionen und Ausschüssen. Die Aktivitäten werden laut KMK "im Kernbereich" von 102 Mitarbeitern organisiert.
Bei aller Kritik an ihrer vermeintlichen Unbeweglichkeit konnte die KMK seit 2004 durchaus Fortschritte vorweisen. Es wurden Bildungsstandards etabliert, ein eigens
von der KMK gegründetes Forschungsinstitut überprüft, ob sie erreicht werden. Ein gemeinsamer Abituraufgabenpool entstand, die Akkreditierung von Studiengängen wurde reformiert. Trotzdem attestierte das Bundesverfassungsgericht den Abinoten im Dezember eine weiter mangelnde Vergleichbarkeit, die Schulsysteme unterscheiden sich immens, und der tiefgreifende Lehrermangel zeigt, wie gründlich die Bedarfsplanung danebengegangen ist.
Entsprechend groß sind die Erwartungen an eine Reform, auch in der KMK selbst. „Wir müssen jetzt in die Puschen kommen“, sagt Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU).
>> Und nun erreicht die Dauerkrise den nächsten Höhepunkt. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machte 2017 Wahlkampf mit der Forderung, das sogenannte Kooperationsverbot abzuschaffen. Damit meinen Kritiker, dass der Bund bislang nicht vom Grundgesetz ermächtigt ist, dauerhaft in die unterfinanzierten Schulen zu investieren. Gleichzeitig warnen Forscher davor, dass Deutschlands Schüler nach einem Jahrzehnt mit besseren Ergebnissen bei internationalen Vergleichstests wie Pisa wieder zurückfallen. Auch der wilde Mix von Ländern, die in zwölf oder 13 Jahren zum Abitur führen, die ein zwei- oder dreigliedriges Schulsystem von zum Teil sehr unterschiedlicher Ausprägung haben, erhöht den Druck im Bildungskessel. Dazu kommen immer neue Statistiken, denen zufolge die Abiturnoten stetig besser werden, die Kompetenzen der Schüler aber nicht.
Mehr Vergleichbarkeit, mehr Harmonisierung, mehr Abstimmung – so lauteten schon 2004 die Schwüre der Kultusminister. Doch krankt die KMK an einer Schwäche: Ihre Beschlüsse sind selten bindend, sondern fast immer nur Empfehlungen. Jedes Land kann jederzeit ausscheren. Weshalb selbst größere Reformen auf das Format des kleinsten gemeinsamen Nenners schrumpfen.
So formulierten es auch drei frühere Bildungspolitiker, die Anfang 2018 die KMK mit einem offenen Brief aufschreckten: Ein Staatsvertrag müsse her, der endlich bundesweit verbindliche Regeln definiere: Über wie viele Jahre die Grundschule geht, wie Oberstufe und Abitur funktionieren sollen, welche Koordinaten für die Lehrerbildung und die Inklusion gelten. Gleichzeitig müsse die KMK ihre Beschlussfassung weiterentwickeln und ihre Behörde überprüfen. Die Botschaft der drei KMK-Altvorderen Burkhard Jungkamp, Michael Voges und Josef Lange war eindeutig: So, wie die KMK heute ist, muss sie scheitern.
Die große Koalition will einen
Nationalen Bildungsrat – für
mehr Einheit in der Vielfalt
Aber kapieren das auch die Adressaten? Und werden sie von ihren Regierungschefs so unterstützt, wie es für eine Reform nötig ist? In vielen Landeskabinetten spielen die Kultusminister nur die zweite Geige. Die meisten machen den Job nur ein paar Jahre. Denn die Ministerpräsidenten wollen von ihnen keine Visionen; sie wollen, dass sie Eltern und Lehrer ruhig halten.
Diesmal jedoch scheint etwas anders zu sein. Die große Koalition hat sich darauf verständigt, das Grundgesetz zu ändern, damit der Bund Milliarden in die Ausstattung der Schulen stecken kann. Die Kulturhoheit der Länder wackelt – ein klein wenig. Gleich nach ihrer Nominierung sagte die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) forsch, "mit der Abgabe von Verantwortung der Länder an den Bund" im Bildungsbereich würden neue Aufgaben auf ihr Ministerium zukommen.
Im Koalitionsvertrag verabredeten Union und SPD zudem, der KMK einen Nationalen Bildungsrat zur Seite zu stellen. Er soll "auf der Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen". Das neue Gremium soll auch dabei helfen, sich über die Ziele in der nationalen Bildungspolitik zu verständigen, und die Zusammenarbeit der beteiligten politischen Akteure und Ebenen zu verbessern. Ein Rat gegen die Zersplitterung.
In der KMK war man zuerst wenig angetan. "Da frage ich: Was ist denn dann die Kultusministerkonferenz?", kommentierte Helmut Holter, Thüringens linker Bildungsminister und derzeitiger KMK-Präsident im Februar. Doch nur ein paar Wochen später beschlossen die Minister, gemeinsam mit dem Bund die "Weichen" für einen Nationalen Bildungsrat zu stellen. Auch Holter klang plötzlich anders: "Wenn sich die großen Parteien bei dem Thema annähern, bin ich der letzte, der als Bremsklotz agiert." Seine Vorgängerin im KMK-Präsidium, Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), erklärt den Meinungsumschwung so: "Der Rat kommt, das werden wir nicht verhindern. Also beteiligen wir uns konstruktiv an seiner Ausgestaltung."
Noch ist der "Bildungsrat" nur ein Schlagwort. Aber eines, das Hoffnungen mobilisiert. Schulen, Hochschulen, Bildungsverbände: Alle wollen den Rat. Alle diskutieren darüber. Also verlagern die Kultusminister ihren Abwehrkampf. Neues Ziel ist, dass der Rat, wie Eisenmann es formuliert, "sicherlich kein Beschlussgremium werden kann". Soll heißen: Welche Personen auch immer drinsitzen werden, sie sollen nichts entscheiden dürfen. Das dürfen nur die Länder.
Dem Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth wäre das zu wenig. Die KMK-Mitglieder sollten sich probeweise auf ein paar Jahre verpflichten, Empfehlungen des Bildungsrates umzusetzen. "Das muss ein folgenreiches Gremium werden, kein folgenloses." Was Hamburgs SPD-Bildungssenator Ties Rabe für absurd hält. "Es wird nicht so kommen, dass sich weitab von Eltern, Lehrern, Schülern und Schulen einige Professoren am grünen Tisch großartige Konzepte ausdenken, die wir Minister umsetzen sollen und für die wir dann von wütenden Lehrkräften und Eltern gegrillt werden."
Die Bildungsminister fürchten
um ihre Länderhoheit und
ergreifen die Flucht nach vorn
Ties Rabe gehört neben Eisenmann zu denjenigen Kultusministern, die am meisten auf die Tube drücken bei der KMK-Reform. Denn inzwischen dreht nicht mehr nur der Bund an der Erwartungsschraube. Kürzlich schlug der rheinland-pfälzische Kulturminister Konrad Wolf (SPD) vor, eine eigene Kulturministerkonferenz zu gründen, weil die Kultur neben all den Bildungsdebatten zu wenig Beachtung finde. Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) regte an, auch die Wissenschaft müsse sich unter Umständen aus der KMK zurückziehen. Beide rühren an einem wachsenden Komplexitätsproblem des Gremiums: Waren Kultusminister zu KMK-Gründungszeiten noch für alles zuständig – Schule, Hochschule, Kultur – sind die Themen heute je nach Land auf bis zu drei Ressorts aufgeteilt. Und alle reden mit in der KMK.
Erstmals seit 2004 scheint es nicht mehr ausgeschlossen zu sein, dass der Klub auseinanderfliegt. Und so entwickeln die Bildungsminister einen vor Monaten undenkbaren Eifer, sich – ergebnisoffen – an den neuen Staatsvertrag zu machen. Es wäre eine Revolution, sollte er kommen. Aber selbst das wird plötzlich vorstellbar: Schon bei der nächsten Ministersitzung im Juni sollen erste Ideen vorliegen.
Den ganzen Frust der Bildungspolitiker symbolisiert derweil eine Zahl. So sehr die Öffentlichkeit über den Bildungsföderalismus und die KMK schimpft – wenn es um Reformideen geht, interessiert auch das wieder keinen. Der offene Brief der Ex-Staatssekretäre, der die KMK wie selten aufgerüttelt hat, steht seit Januar bei Zeit Online, wo Artikel über Inklusion, Lehrermangel und Abinoten hunderte Kommentare provozieren. Die Zahl der Kommentare unter dem KMK-Brief: fünf.
Dieser Artikel erschien in leicht gekürzter Fassung zuerst am 23. April 2018 in der Süddeutschen Zeitung.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 04:38)
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