Die KMK-Amtschefs haben sich auf Eckpunkte zur NC-Reform geeinigt. Gleichzeitig beschlossen sie eine neue Organisationsstruktur und einen personellen Neuanfang bei der kriselnden Stiftung für Hochschulzulassung.
DIE AMTSCHEFS, das sind die höchsten Beamten in den Länderministerien, haben sich vergangene Woche in der Kultusministerkonferenz (KMK) auf Eckpunkte der NC-Reform im Studienfach Medizin verständigt.
Zentrale Neuerung: Die sogenannte Wartezeitquote soll wegfallen. Sie reservierte bislang 20 Prozent der Plätze für Schulabgänger ohne Topnoten, die sich ein Medizinstudium "erwarten" konnten. Als Ersatz könnte ein Mechanismus kommen, den die Kultusministerien "Talentquote" nennen. Sie soll herausragenden Bewerben unabhängig von ihrer Note die Chance geben, ihre Eignung nachzuweisen – über berufliche Vorerfahrungen oder Standardtests zum Beispiel. Die genauen Kriterien müssen hier noch festgelegt werden.
Die bisher 20 Prozent umfassende Abiturbestenquote bleibt bestehen und wird um eine Formel ergänzt, die den Zensurenschnitt über Ländergrenzen hinweg wieder vergleichbar machen soll – und so lange angewendet wird, bis das Abitur an sich wieder vergleichbar ist. Auch die den Hochschulen besonders wichtigen eigenen Auswahlverfahren (zurzeit 60 Prozent) sollen weitergehen, ebenfalls mit gewichteten Abinoten. Außerdem müssen die Hochschulen zu den Zensuren mindestens ein zweites Auswahlkriterium – Standardtests oder strukturierte Auswahlgespräche etwa – "mit erheblichem Gewicht" hinzunehmen, ausgewählt aus einem von der Politik vorgegebenem Katalog. Auch dieser Katalog ist noch offen, doch scheint hier Standardtests künftig eine besondere Bedeutung zuzukommen. >>
ÜBER DIE NC-REFORM HABE ICH HEUTE AUCH AUSFÜHRLICH IN DER ZEIT BERICHTET (NOCH NICHT ONLINE). IN MEINEM ARTIKEL GEHE ICH AUCH DEN FRAGEN NACH, WAS DIE ABSCHAFFUNG DER WARTEZEITQUOTE FÜR DIE BETROFFENEN BEDEUTET, WELCHE ÜBERLEGUNGEN DIE KMK DIESBEZÜGLICH ANSTELLT UND WIE ES MIT DER VERGLEICHBARBEIT DER ABITURNOTE WEITERGEHT.
>> Denkbar ist auch, dass die Talentquote eine Binnenquote im Hochschul-Auswahlverfahren wird, womit dann nur noch zwei Quoten – eine zentrale und eine in Verantwortung der Universitäten – übrigblieben. Dies wiederum käme nahe an einen Vorschlag, den der Medizinische Fakultätentag (MFT) und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) Anfang März gemacht hatten.
Anleihen beim Medizinischen Fakultätentag
Mit einem gewichtigen Unterschied allerdings: MFT und bvmd hatten der reinen Abiturbestenquote eine Absage erteilt und angeregt, beim bundesweit einheitlichen Verfahren sollten "neben der Abiturnote in gleicher Gewichtung ein medizinspezifischer Studierfähigkeitstest und auch soziales Urteilsvermögen sowie berufspraktische Erfahrungen in den Auswahlprozess mit einfließen." Die Auswahlverfahren der Hochschulen wiederum sollten sich dem Verbandsvorschlag zufolge am zentralen Verfahren orientieren, aber durch individuelle Test- und Interviewverfahren am Hochschulort erweitert werden.
Die beiden verbleibenden Quoten würden im MFT-/bvmd-Modell nach Abzug der Vorabquoten jeweils 50 Prozent umfassen; die von den KMK-Amtschefs vereinbarten KMK-Eckpunkte sind in Sachen Quoten-Verteilung bislang nur explizit bei der Vorgabe, die Abiturbestenquote solle künftig "mindestens 20 Prozent" betragen. Womit auch an dieser Stelle deutlich wird: Obgleich die Eckpunkte jetzt feststehen, werden viele Details erst während der jetzt folgenden Ausarbeitung des Staatsvertrags geklärt.
Bemerkenswert an der NC-Einigung der Amtschefs ist dennoch schon jetzt nicht nur die Schnelligkeit, sondern auch der überparteiliche Mut zu Veränderungen: Sie reichen, werden die Eckpunkte umgesetzt, über das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Maß hinaus.
Zu den Vorgaben der Verfassungsrichter gehörte, dass das Abitur in seiner Bedeutung relativiert wird, den Hochschulen die Definition von Eignungskriterien nicht allein überlassen werden darf und die Tests und Eignungsprüfungen standardisiert und strukturiert sein müssen. Auch muss die bisher maßgebliche Orientierung der Studienplatzvergabe an den Ortswunschangaben der Bewerber aufhören, bestimmte das Gericht, genauso die Beschränkung der Bewerbung auf bislang lediglich sechs Studienorte. All das wäre mit den Eckpunkten abgearbeitet. Zur Wartezeitquote, die die KMK-Amtschefs abschaffen wollen, hatten die Richter angemerkt, sie sei bis zu einer Wartezeit-Obergrenze von vier Jahren verfassungskonform.
Amtschefs wollen Hochschulstart-Geschäftsführer abberufen
Ebenso weitreichende Neuerungen hat die Kultusministerkonferenz bei der kriselnden Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) eingeleitet. Die SfH, besser bekannt unter ihrem Online-Namen "Hochschulstart.de" kämpft seit Jahren mit der technischen Umsetzung ihrer Online-Plattform DoSV ("Dialogorientiertes Serviceverfahren"), dennoch hatten die Länder ihre Neuaufstellung über Jahre auf die lange Bank geschoben. Erst im vergangenen Dezember hatte die KMK die Weichen für eine grundsätzliche Reform gestellt.
Jetzt zogen die Amtschefs ebenfalls bemerkenswert deutlich Konsequenzen und beschlossen in ihrer Sitzung, dem SfH-Stiftungsrat die Abberufung des derzeitigen Geschäftsführers Ulf Bade zu empfehlen. Da der Stiftungsrat zur Hälfte aus Ländervertretern und zur anderen Hälfte aus Repräsentanten der Hochschulen besteht, gilt der Wechsel an der Spitze der Stiftung damit als wahrscheinlich. "Als vorübergehende Akutmaßnahme" will Nordrhein-Westfalen als Sitzland sogenannte Staatsbeauftragte in die Dortmunder Behörde entsenden, um für voraussichtlich maximal zwei Jahre die Geschicke der Stiftung zu leiten.
Ende vergangenen Jahres hatte der ehemalige Kanzler der Universität Hannover, Günter Scholz, als von den Amtschefs eingesetzter externer Berichterstatter der bisherigen Governance der Stiftung ein katastrophales Zeugnis ausgestellt. Die "Vielzahl" der Stiftungsgremien, die sich in ihren Aufgaben offenbar teilweise überschnitten, werde "einer zügigen Aufgabenerfüllung nicht gerecht". Vom Stiftungsrat, der die Arbeit der SfH-Geschäftsführung begleiten soll, sei aufgrund seiner schieren Größe (32 Mitglieder) nur eine "bedingte Arbeitsfähigkeit" zu erwarten, weil schon die erheblichen Terminabstimmungen dazu führten, dass er gerade zweimal im Jahr tage. Die hohe personelle Fluktuation im Stiftungsrat führe zudem dazu, dass Informationsfluss und Sachkunde vielfach zu wünschen übrig ließen – und in der Folge die Geschäftsführung große und laut Scholz "möglicherweise unerwünschte" Freiräume erhalte.
Darum soll es nicht bei personellen Veränderungen bleiben, sondern in den nächsten zwei Jahren sollen auch die kompletten SfH-Entscheidungsstrukturen umgestaltet werden, inklusive Reform des zugrundeliegenden Stiftungsgesetzes und einer Aufspaltung der Geschäftsführung. Statt eines einzigen Chefpostens soll es künftig jeweils einen Geschäftsführer für Technik und einen für Administration geben.
Der Stiftungsrat wird zu einem Aufsichtsrat zurückgenommen, zwischen ihn und den Geschäftsführern soll ein neuer Stiftungsvorstand gezogen werden, ebenfalls paritätisch besetzt aus Länder- und Hochschulvertretern, aber mit vier stimmberechtigten Mitgliedern deutlich kleiner. Auch im Vorstand, obgleich ohne Stimmrecht, sollen ein externer IT-Berater und ein Vertreter des SfH-Personalrats sitzen. Der neue Stiftungsvorstand soll deutlich häufiger als der Stiftungsrat bisher tagen und damit eine enge und vor allem reaktionsschnelle Begleitung der Geschäftsführung ermöglichen. Als viertes, rein externes Organ der Stiftung soll ein bis zu fünfköpfiger IT-Beirat dienen, der Empfehlungen und Stellungnahmen zur technischen Weiterentwicklung der Stiftungs-Software abgeben soll.
Die Zeit ist knapp. Die Studienplatzvergabe in den bundesweiten zulassungsbeschränkten Medizin- und Pharmazie-Studiengängen wollte die Stiftung eigentlich vom Wintersemester 2018/19 an über DoSV abwickeln, nach diversen Verschiebungen war zuletzt von 2021 die Rede. Doch seit dem Urteil gelten neue Regeln, und die müssen bis 31. Dezember 2019 umgesetzt werden. Wie soll das gehen? Die KMK hat der Stiftung vier Wochen gegeben, um diese Frage zu beantworten.
Übergangslösung aus Software-Gründen?
Die Amtschefs sind ernüchtert, dass Technikprobleme politische Entscheidungen behindern. Denn wahrscheinlich muss der Staatsvertrag wegen der DoSV-Hängepartie eine Übergangslösung vorsehen – mit einem möglichst simplen Zulassungsverfahren, das eine schnell geschriebene Software bewältigen kann. Bevor dann in einem zweiten Schritt, möglichst ab 2021 oder 2022, der große Neuanfang folgt. Was die Kultusminister noch nicht laut sagen wollen: Die Übergangslösung könnte darauf hinauslaufen, dass die Auswahlverfahren der Hochschulen vorübergehend ausgesetzt werden müssen.
Der politische Druck auf die Stiftung ist so hoch, dass die jetzt offenbar alle ihre Kapazitäten auf die Entwicklung einer funktionierenden Software zur Studienplatzvergabe für die zentralen NCs konzentrieren soll. Was im Umkehrschluss allerdings auch bedeutet: Die Arbeit an der technisch ebenfalls nicht rund laufenden DoSV-Anbindung von Mehrfach-Studiengängen rutscht in der Prioritätenliste nach hinten. Schon jetzt liegt ist die Stiftung auch hier deutlich hinter dem ursprünglichen Ziel zurück, bis 2018/19 möglichst alle in Frage kommenden lokalen NC-Studienfächer ans DoSV anzubinden.
"Nicht ohne persönlichen Härten"?
Spannend, mehr noch, persönlich einschneidend wird die Ausgestaltung einer möglichen Übergangsphase für die "Altwartenden". So nennt die KMK jene Bewerber, die zum Teil seit sechs oder mehr Jahren auf einen Studienplatz per Wartezeitquote warten und bislang sicher davon ausgehen konnten, dass ihr Studienstart im wahrsten Sinne des Wortes nur eine Frage der Zeit war. Die Kultusminister haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das unter anderem klären soll, was die Abschaffung der Wartezeitquote rechtlich für diese Gruppe direkt Betroffener bedeutet. Die Verfassungsrichter hatten in ihrem Urteil Ende 2017 zu Protokoll gegeben, ein Recht auf "chancengleichen Zugang zum Hochschulstudium" gebe es nur innerhalb der vom Staat zur Verfügung gestellten Ausbildungskapazitäten. Auch müsse aus verfassungsrechtlicher Sicht "nicht jeder grundsätzlich hochschulreife Bewerber den Anspruch auf Zulassung zu seinem Wunschstudium im Ergebnis tatsächlich realisieren können".
Aber müsste es nicht Vertrauensschutz geben für all jene, die sich jahrelang auf die geltende Regelung verlassen und ihre Lebensplanung entsprechend ausgerichtet haben? Die meisten Experten sagen: Nein. Juristisch gesehen haben die Betroffenen womöglich kein Recht auf Vertrauensschutz. Volker Epping ist Verfassungsrechtler und Präsident der Universität Hannover. Er sagt: Das "Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage (ist) durch die Einbringung eines Gesetzentwurfs in Frage gestellt und jedenfalls durch den endgültigen Beschluss des Gesetzgebers zerstört." Zudem seit dem Urteil bekannt, dass die Wartezeit als ein Kriterium Ende 2019 entfallen könnte – "immerhin eine üppige Übergangszeit."
Robert Brehm indes sieht das anders. Er ist Studienplatzanwalt in Frankfurt am Main und fordert eine Übergangsfrist von insgesamt drei Jahren für die Betroffenen, damit der Vertrauensschutz gewahrt werde. "Das Verfassungsgericht hat ja die Wartezeitquote nicht als verfassungswidrig verworfen, sondern sie lediglich begrenzt." Mit einem vollständigen Wegfall der seit rund 40 Jahre bestehenden Wartezeitzulassung hätten die Bewerber nicht rechnen müssen. Sogar die jüngste, 2016 beschlossene Reform des Staatsvertrages habe noch eine feste Wartezeitquote von 20 Prozent vorgesehen, betont Brehm.
Doch wie auch immer die Rechtslage am Ende sein mag: Wird es der Politik gelingen, in einer Übergangsregelung die Folgen für die "Altbewerber" so gering wie möglich und erträglich zu halten?
Heyo Krömer ist Vorstandssprecher der Universitätsmedizin Göttingen und Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), dessen NC-Konzept ja ebenfalls die Abschaffung der Wartezeitquote
vorsieht. Er sagt: "Wenn wir ehrlich sind, müssen wir auch deutlich sagen: Eine solche Reform kann nicht ohne persönliche Härten für einzelne Betroffene ablaufen."