Bessere Betreuungsverhältnisse? Hätten Sie ja auch gern, sagen viele Hochschulpolitiker. Aber diese blöde Kapazitätsverordnung verhindert das. Eine schlechte Ausrede.
Foto: Beispielhafte Kapazitätsberechnung nach KapVO, Screenshot der Website der Universität Mainz. http://www.puc.verwaltung.uni-mainz.de/Illustrationen/Formel_KapR.JPG
ACH, WENN NUR die KapVO nicht wäre. An den Hochschulen würden paradiesische Zustände herrschen. Weniger Studenten müssten sich einen Professor teilen. Statt Multiple-Choice-Klausuren im Akkord könnten die Dozenten Essays schreiben lassen und den Erstsemestern in Einzelgesprächen die nötige Orientierung geben.
So in etwa lesen sich flammende Appelle für die Abschaffung der sogenannten Kapazitätsverordnung. Die schreibt mithilfe komplizierter mathematischer Berechnungen exakt vor, wie viele Studenten pro Professor eine Hochschule in jedem ihrer Studiengänge aufnehmen muss. Der Mechanismus hinter der KapVO ist dagegen so einfach wie verheerend: Zusätzlich eingestellte Professoren bedeuten mehr Studienplätze, mehr Studenten – und genauso schlechte Betreuungsrelationen wie zuvor.
Einer der erwähnten flammenden Appelle stammte übrigens von mir, ich schrieb ihn 2007. "Die fiese Formel" habe ich die Kapazitätsverordnung darin genannt. Sie verurteile die Hochschulen zum Stillstand, schrieb ich, daher müsse sie weg. Elf Jahre später ist die Formel immer noch da, und ich muss sagen: Ich habe mich geirrt. Nicht die Formel ist schuld, sondern die Hochschulpolitiker, die sich hinter ihr verstecken. Denn das Elegante an Formeln ist ja, dass man sie ändern kann.
Eine entscheidende Stellgröße in der KapVO sind die Curricular-Normwerte, kurz CW. Jeder Studiengang hat einen. Je kleiner der CW ist, desto größer ist die Zahl der Studienplätze am Ende der Gleichung. Anders formuliert: Anstatt lautstark darüber zu klagen, dass die Kapazitätsverordnung ihnen die Hände binde, könnten die Wissenschaftsminister einfach die CWs größer machen. Wodurch die Zahl der Studenten pro Hochschullehrer sinken würde. Natürlich müssten sie dann den Hochschulen auch das nötige Geld geben, damit sie zusätzliche Professoren einstellen können.
Und genau der letzte Satz, das mit dem nötigen Geld und den zusätzlichen Professoren, ist der eigentliche Grund, warum die Ressortchefs lieber weiter über die abstrakt böse KapVO schimpfen. Und auf das Bundesverfassungsgericht, das sie ihnen einst – Stichwort: gleiche Chancen für alle – eingebrockt hat.
Immerhin, im Hintergrund gibt es Bewegung. Und das liegt an den Fantasien, die die Aussicht auf Bundes-Dauermilliarden in einem verstetigten Hochschulpakt auslöst. Der Wissenschaftsrat, in dem auch die Wissenschaftsminister sitzen, spricht sich, wenn auch nur in einer Fußnote, in seinem jüngsten Papier für "höhere CW-Werte" aus. Die seien verfassungsrechtlich durchaus möglich.
Ideen, wie man die Anpassung der KapVO mit einer sinnvollen Reform des Hochschulsystems verbinden könnte, gibt es auch schon: Die Länder könnten die CWs für alle erhöhen, ganz besonders aber für die Universitäten, fordern etwa Potsdams Unipräsident Oliver Günther und Hans-Hennig von Grünberg, Präsident der (Fach-)Hochschule Niederrhein. Die Folge wären tendenziell weniger Studienplätze an Unis und deutlich mehr an Fachhochschulen. Und für alle bessere Betreuungsrelationen. Nicht ganz das Paradies. Aber immerhin.
Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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