Wie soll der Nationale Bildungsrat aufgebaut sein? Welchen Themen soll er sich widmen? Welche Folgen werden seine Beschlüsse haben? Jetzt haben sich die Länder auf das Konzept geeinigt, mit dem sie voraussichtlich in die Verhandlungen mit dem Bund gehen werden. Es wirkt wie eine Retourkutsche.
NÄCHSTE WOCHE TREFFEN sich die Kultusminister mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), um über den Nationalen Bildungsrat zu verhandeln. Entscheidender Diskussionspunkt dürfte dabei die Stimmenverteilung in dem geplanten neuen Gremium zwischen Bund, Ländern und Kommunen werden.
Bereits Anfang Mai hatte Karliczek ihren Vorschlag dazu präsentiert. Demzufolge beansprucht der Bund in der sogenannten Verwaltungskommission 19 Stimmen für sich, die Länder sollten insgesamt 16 erhalten, die Kommunen drei. Karliczeks Ressortkollegen aus den Ländern protestierten teilweise heftig gegen diese Arithmetik – zugleich blieb aber unklar, mit welchem Konzept sie selbst in die Verhandlungen gehen wollen.
Jetzt haben sich die Spitzenbeamten der Kultusministerien auf einen eigenen Vorschlag geeinigt. Das Konzept der zuständigen KMK-Arbeitsgruppe "Kultusministerkonferenz", das mir vorliegt, definiert die Machtverhältnisse genau andersherum als das Bundesbildungsministerium: Zwar soll der Bildungsrat auch den Ländern zufolge zwei Kammern haben und somit wie im schwarz-roten Koalitionsvertrag festgelegt der Blaupause Wissenschaftsrat folgen. Doch gesteht der KMK-Vorschlag dem Bund in der Verwaltungskommission lediglich drei Stimmen zu – genauso viel wie den drei kommunalen Spitzenverbänden. Für sich selbst reklamieren die Länder hingegen 16 Stimmen und damit eine Zweidrittelmehrheit in der Verwaltungskommission. Und genau diese Zweidrittelmehrheit soll zugleich das nötige Quorum für jede Entscheidung der Kammer werden (was bei Karliczek genauso ist).
Der Vorschlag der KMK-Arbeitsgruppe muss offiziell noch von den Kultusministern selbst angenommen werden, doch gilt es als sicher, dass er Grundlage der Verhandlungen mit Karliczek nächste Woche wird. Rechnet man ein bisschen, wird auch schnell klar, warum die im Länder-Konzept geforderte Stimmenverteilung genau wie beschrieben ausgefallen ist: Selbst wenn Bund und Kommunen geschlossen abstimmten, bräuchten sie immer noch mindestens neun und damit die Mehrheit der Länder, um in der Verwaltungskommission ein Anliegen durchsetzen zu können. Gegen die Geschlossenheit der Länder ginge also gar nichts.
Die Bildungskommission als zweite Kammer soll wie die Verwaltungskommission 22 Mitglieder haben, heißt es im KMK-Konzept weiter, wahrscheinlich je zur Hälfte Bildungsforscher und Vertreter "der Bildungspraxis und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens". Bundesbildungsministerin Karliczek hatte die Zusammensetzung der Bildungskommission so ähnlich skizziert. Laut ihrem Vorschlag sollte diese allerdings 38 Mitglieder haben, um die ebenfalls größere Verwaltungskommission zu "matchen".
Auch die Bildungskommission bräuchte nach Vorstellung der Länder (und auch Karliczeks) für gültige Entscheidungen eine Zweidrittelmehrheit. Und selbst wenn beide Kammern per Zweidrittelmehrheit einen Beschluss gefasst haben, ist die öffentliche Wortmeldung des Bildungsrates noch nicht perfekt. Dafür müsste erst noch die Vollversammlung zustimmen, und dort will die AG "Kultusministerkonferenz" sogar eine Dreiviertelmehrheit. Erst dann stünden die öffentlichen Empfehlungen und Stellungnahmen des Bildungrates. Karliczek hat für die Beschlussfassung in der Vollversammlung lediglich ein Zweidrittel-Quorum vorschlagen.
Einseitige öffentliche Wortmeldungen einzelner Kammern seien nicht erlaubt, betonen die Kultusministerien in ihrem Konzept – was offenbar den Erfahrungen mit dem ersten, von 1966 bis 1975 existierenden Bildungsrat geschuldet ist. Damals hatte die Bildungskommission ein starkes Eigenleben entwickelt – und die Bildungspolitik vielfach vorgeführt.
Auch Karliczek hatte in ihrem Konzept voneinander unabhängige Empfehlungen und Stellungnahmen beider Kommissionen als "unzulässig" bezeichnet. Sie begründet dies – wie übrigens durchweg in ihrem Konzept – mit der engen Orientierung am Prozedere im Wissenschaftsrat.
Vergleicht man die von den Ländern diskutierten Beschlussmodalitäten insgesamt mit den Vorstellungen Karliczeks, sind es vor allem die Unterschiede, die ins Auge fallen. Sie machen klar, wie groß die Sorge der Kultusministerien tatsächlich ist, im Bildungsrat überstimmt zu werden – und wie sie sich dagegen durch die zusätzlichen Sicherungen wehren wollen. Man könnte auch sagen: Auf Karliczeks Konzept folgt jetzt die KMK-Retourkutsche.
Zum Beispiel die von den Ländern geforderte Dreiviertelmehrheit in der Vollversammlung: Legt man Karliczeks Modell mit insgesamt 76 Stimmen und lediglich einer Zweidrittelmehrheit zugrunde, hätten die Länder mit ihren 16 Stimmen keine Sperrminorität. Anders formuliert: Beschlüsse könnte die Vollversammlung ohne Zustimmung auch nur eines einzigen Bundeslandes fassen. Zwar wären auch beim BMBF-Vorschlag zuvor in der Verwaltungskommission einige Länderstimmen zum Erreichen der Zweidrittelmehrheit erforderlich – aber, sobald der Bund sich mit den Kommunen einig wäre, eben nur sehr wenige. Ganze vier Länder müsste der Bund im ganzen Entscheidungsprozess auf seine Seite ziehen, um im Extremfall eine Empfehlungen, womöglich gegen das Votum von 75 Prozent der Länder, durchsetzen zu können.
Der im der KMK-AG beschlossene Vorschlag bedeutet demgegenüber, dass neben den neun Länderstimmen in der Verwaltungskommission selbst in der größeren Vollversammlung mindestens fünf Länder an Bord sein müssen. Das ergibt sich aus der dort verlangten Dreiviertelmehrheit (33 von 44 Stimmen, das Ländermodell des Bildungsrates ist ja insgesamt kleiner).
Nach all der Mathematik noch ein paar Grundsätzlichkeiten, die Länderministerien in ihrem Vorschlag unterstreichen: Die Bildungsforscher in der Bildungskommission sollen "alle Bereiche der Bildungsbiographie abdecken", was mit dem Plädoyer Karliczeks zusammenpasst, der Bildungsrat dürfe nicht nur die Schule in den Blick nehmen. Die Empfehlungen des neuen Gremiums sollen sich übergreifend auf die "Fortentwicklung des Bildungswesens" insgesamt beziehen, sie sollen der Bildungspolitik insbesondere "langfristige Strategien zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen im Bildungswesen" liefern und außerdem Hinweise "zum effizienten Ressourceneinsatz".
Ganz wichtig aus Sicht der Kultusministerien: Die Beschlüsse des Bildungsrates dürfen in keiner Weise die Haushalte der Länder binden. Zwar betont auch die Bundesbildungsministerin immer wieder den Empfehlungscharakter des neuen Gremiums. Doch hatten nicht nur zwei ehemalige Landesstaatssekretäre in einem Beitrag für die FAZ Karliczeks Vorschlag anders gelesen: Bund und Länder sollten "verpflichtet werden, Empfehlungen des Nationalen Bildungsrats bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne zu berücksichtigen", schrieben Michael Voges und Burkhard Jungkamp. "Die sogenannten Empfehlungen sollen also verbindliche, insbesondere die Länder bindende Beschlüsse sein, Beschlüsse, die so der Plan, jederzeit auch ohne deren Zustimmung zustande kommen können.“
Tatsächlich heißt es im BMBF-Konzept: "Die Bundesregierung und die Landesregierungen werden die Empfehlungen des NBR bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne im Rahmen der haushaltsmäßigen
Möglichkeiten berücksichtigen", es folgt ein Verweis auf eine wiederum ähnliche Bestimmung beim Wissenschaftsrat. Allerdings zeigt die dortige Erfahrung, dass die Länder sich
trotzdem selten zu etwas finanziell haben verpflichten lassen.
Erst werden die Länder überstimmt, dann diktiert der Bildungsrat ihnen, wofür sie ihr Geld ausgehen sollen: Zwei Schreckensszenarien aus Sicht der Länder, und ganz gleich, wie realistisch sie sein mögen: Sie erklären die Logik hinter dem Konzept der KMK-Spitzenbeamten. Nur an einer Stelle sind die Länder dann doch für ein größeres Engagement des Bundes. Die Geschäftsstelle des Bildungsrats soll zwar als eigene Abteilung beim Bundesrat angesiedelt werden. Die "persönlichen und sächlichen Kosten" sollen jedoch "je zur Hälfte von den Ländern und vom Bund getragen" werden.
Nachtrag: Ich habe den Text am 07. Juni gegen Mittag um weitere Informationen ergänzt.
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Th. Klein (Donnerstag, 07 Juni 2018 10:24)
Interessante Berechnungen, was die Mehrheiten und Konstellationen dafür betrifft. Die 3/4-Mehrheit kann sehr schnell lähmen. Beim Wissenschaftsrat gilt dies m.W. für die Mitglieder, nicht nur die Anwesenden. Somit müssten auch min. 3/4 alle Mitglieder bei der Vollversammlung da sein, um überhaupt abstimmen und beschließen zu können. Die kommen aber gar nicht immer zusammen oder sind nach den vorherigen Verhandlungen in den beiden Kommissionen, die die gewichtigeren sind, vielleicht nicht mehr da. Vielleicht sollte man sich da mal beim Wissenschaftsrat erkundigen.
Klaus Hekking VPH (Freitag, 08 Juni 2018 12:31)
Ein bisschen viel Gedöns um ein Bürokratengremium, das strukturkonservativ „weiter so“ rufen soll.