BMBF und Berlin legen dem BIG-Aufsichtsrat einen entsprechenden Plan vor. Seine Umsetzung würde ein wissenschaftspolitisches Novum bedeuten – enthält allerdings ein Hintertürchen.
NACH EINER MEHR als einjährigen Hängepartie scheint die Zukunft des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG) entschieden. Am Freitag beschloss der BIG-Aufsichtsrat den Berichten mehrerer Teilnehmer zufolge einstimmig, "die Möglichkeit einer Integration des BIG in die Charité strukturell und inhaltlich zu konkretisieren" und bereits zur nächsten Aufsichtsratssitzung im November den Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung vorzulegen. Damit folgte der Aufsichtsrat einer Empfehlung von BMBF-Staatssekretär Georg Schütte und seinem Berliner Kollegen, Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach.
Der Sitzung voraus ging ein laut Aufsichtsratsmitgliedern bemerkenswertes Hin und Her. Erst Anfang der Woche – und damit extrem spät – wurde ein Beschlussvorschlag versendet. Darin lautete die – deutlich weitergehende – Formulierung, der Aufsichtsrat empfehle, "das BIG in die Charité zu integrieren mit der Maßgabe, dass das aufgrund des Finanzierungsanteils des Bundes bestehende Bundesinteresse zu wahren ist." So hatte es auch ein Gutachten der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PWC) empfohlen.
Doch offenbar bekam das BMBF kurzfristig Angst vor der eigenen Courage, vermuten Aufsichtsratsmitglieder, jedenfalls folgte erst am Tag vor der Sitzung ein nochmals überarbeitete Vorschlag. Dieser formuliert den Integrationsplan nicht nur vorsichtiger, sondern lässt noch ein Hintertürchen offen. "Der Aufsichtsrat", heißt es in dem gestern beschlossenen Papier, "bittet den Zuwendungsgeber, parallel ein Alternativmodell zu prüfen, das "Art. 91b, Absatz 1 Satz 2 GG nicht berührt".
Was damit gemeint ist: Die Vollintegration des BIG in die Charité wäre wissenschaftspolitisch ein Novum. Erstmals würde eine Bundeseinrichtung innerhalb einer Landeseinrichtung installiert, was in der Form erst durch die Grundgesetzreform von 2014 möglich ist, die es dem Bund ermöglicht, dauerhaft Wissenschaftseinrichtungen der Länder zu fördern. Im GroKo-Koalitionsvertrag wird ein ähnliches Konstrukt explizit erwähnt: Man wolle prüfen, wie über den Grundgesetzartikel 91b "ausgewählte forschungsstarke und exzellente Institute an Hochschulen bundesseitig" mutgefördert werden können, "ohne sie aus der Hochschule herauslösen zu müssen".
Weder Schütte noch Krach äußerten sich zunächst öffentlich zu dem Beschluss. Wie weit indes die Überlegungen zur BIG-Integration bereits gediehen sind, geht ebenfalls aus internen Dokumenten vor. In den Anfang der Woche verschickten Unterlagen zur BIG-Aufsichtsratssitzungen wurden schon die Grundzüge der neuen Struktur ausführlich beschrieben. Das BIG solle als "Forschungszentrum oder als zusätzliche Säule neben Forschung, Lehre und Krankenversorgung in die Charité integriert" integriert werden, das ins bisherige Trägermodell eingebundene Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft "privilegierter Partner" werden, insbesondere durch gemeinsame Nutzung der etablierten Infrastrukturen und Forschungsplattformen." Das BIG solle eine hohe funktionale Selbstständigkeit erhalten und als Teil der Charité "eigenbetriebsartig" ausgestaltet werden mit eigenem Personal, Wirtschaftsplan und eigener Finanz- und Budgethoheit. Ähnlich wie beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das am ehesten als Vergleich dienen kann, müsste eine sogenannte Trennungsrechnung vorgenommen werden. Ein weiteres Novum: Für seine Bereitschaft, das BIG in eine Landeseinrichtung zu integrieren, würde der Bund einen Aufsichtsratssitz in der Charité erhalten.
Die Vollintegration des BIG in die Charité wäre eine mutige Lösung, es wäre aber auch die richtige, weil es endlich eindeutige Zuordnungen schaffen würde. Seit dem seltsamen Abgang des ehemaligen Vorstandschefs Erwin Böttinger im vergangenen Sommer steckt das Institut in einem Provisorium fest und ist darüber nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Krise des BIG dauert allerdings noch viel länger und ist nach Meinung von Experten konstruktionsbedingt.
Das BMBF zögerte dennoch die überfällige Richtungsentscheidung über die künftige Konstruktion und Ausrichtung des BIG bis zum Start der neuen Bundesregierung hinaus. Jetzt ist es dringend an der Zeit zu handeln. Zumindest, wenn die Partner den ersten Satz ihrer eigenen Beschlussvorlage ernst nehmen. Ziel sei, "die systematischen Probleme hinsichtlich der organisatorischen Strukturen des BIG zu lösen". Dann mal los.
Nachtrag am 18. Juni:
Auf Anfrage bestätigte Berlins Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach am Montag, zwei Modelle sollten geprüft werden: "eine Integration des BIG als rechtlich unselbständige, aber wirtschaftlich und zuwendungsrechtlich autonome Säule in die Charité oder ein mit Charité und MDC verbundenes BIG mit eigener Rechtspersönlichkeit." Es gehe darum, die Struktur des BIG so zu verändern, dass es noch effizienter arbeiten könne, sagte Krach und ließ seine Präferenz deutlich erkennen: "Die erste Variante schafft dafür die besten Voraussetzungen."
Krachs Bundes-Kollege Georg Schütte äußerte sich nicht persönlich, aber das BMBF gab eine Erklärung heraus, die fast wortgleich ist mit der Krachs – bis auf dessen persönliche Wertung am Ende. Dafür betont das Bundesministerium seinerseits: "Die Details und Konsequenzen beider Lösungsansätze (wie z.B. im Hinblick auf Berufungen, Rekrutierungen, sonstiges Personal, Infrastrukturen und Bauten) werden im Zuge dieser weiteren Prüfung entwickelt." Das finanzielle Engagement von Bund und Land am BIG ändere sich durch die Wahl eines der beiden Modelle nicht, die wissenschaftliche Arbeit am BIG werde wie geplant fortgesetzt. Das gelte auch für die laufenden Berufungsverfahren.
Am Montag berichtete auch der Tagesspiegel ausführlich zu der Aufsichtsratsitzung vom Freitag. Demzufolge hat offenbar Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) selbst kurz vor der Sitzung darauf gedrängt, dass die Entscheidungsvorlage kurzfristig geändert und parallel zur Integration auch noch eine Entkopplung des Instituts von Charité und MDC geprüft werden soll. Weiter berichtet der Tagesspiegel, dass ab sofort Charité-Dekan Axel Pries die Interims-Leitung beim BIG von MDC-Chef Martin Lohse übernimmt.
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