Bayern hat in einem Pilotversuch Lehrkräfte von Schülern bewerten lassen. Das sollte Schule machen.
ES KLANG WIE eine Schnapsidee: Die Landesregierung verpflichtet ihre Nachwuchslehrer, sich von den Schülern bewerten zu lassen. Und die müssen im Gegenzug nicht einmal ihre Identität preisgeben.
Kommt Ihnen bekannt vor? Richtig, da war doch diese Website, um die es ein paar Jahre lang richtig Ärger gab. 2007 gestartet, waren bald eine Million Jugendliche als User von Spickmich.de angemeldet. Und gaben dort ihren Lehrern anonym Noten, von der Eins bis zur Sechs, für ihre fachliche Kompetenz zum Beispiel, ihre Beliebtheit oder auch ihre Coolness. Sogar vor den Bundesgerichtshof ging eine der Klagen betroffener Lehrer und wurde dort 2009 abgewiesen. 2014 war die Seite dann plötzlich weg, der verbliebene Banner verspricht bis heute ein baldiges "neues Angebot für Schüler, Eltern und Lehrer".
Es war wohl auch den Kontroversen von damals geschuldet, dass der Philologenverband anfangs strikt gegen das von bayerischen Kultusministerium initiierte Projekt "Schüler-Feedback in der 2. Phase der Lehrerausbildung" trommelte. Die Lehrkräfte würden anfangen, sich das Wohlwollen ihrer Schüler mit lauter Einsen zu erkaufen, warnte die Lehrervertretung. Doch das Kultusministerium blieb hart. Und der Schulversuch begann.
Zwei Jahre lang haben die Schüler seitdem an 79 Schulen bayernweit den Unterricht ihrer Referendare und Lehramtsanwärter bewertet, mithilfe von Fragebögen oder über eine digitale Lernplattform. Und siehe da: Plötzlich ist sogar der Philologenverband zufrieden. Keine Kuschelnoten, keine unflätigen Beschimpfungen. Kultusminister Sibler kündete derweil die Verlängerung des Versuchs um ein Jahr an. Mit der Option, eventuell im Falle einer positiven Evaluation bayernweit eingeführt zu werden.
Kontraintutiv? Nicht wirklich. Dass die Schüler eine wichtige und vor allem konstruktive Rolle bei der Unterrichtsentwicklung spielen können, sagen Bildungswissenschaftler seit langem, für viele Lehrer und Schulen in Deutschland ist das – freiwillige – Einholen von Feedback ohnehin längst selbstverständlich. Insgesamt jedoch tut sich das hierarchische System Schule immer noch schwer mit derlei Formen der Basis-Beteiligung.
Doch die Bayern haben es geschickt angestellt. Nicht nur, weil die Teilnahme für die Nachwuchslehrer an den 79 Schulen Pflicht ist. Zwar hatte sich der Philologenverband gerade daran gestört, doch allzu viele Junglehrer hätten sich sonst womöglich gar nicht auf die Erfahrung eingelassen. Zumal keine Referendarin und kein Lehramtsanwärter Angst haben muss, an den Pranger gestellt zu werden. Die Schüler erteilen eben keine plakativen Schulnoten, sondern antworten auf von Wissenschaftlern erstellte Fragevorlagen, die die Nachwuchslehrer selbst an ihre Bedürfnisse anpassen können. Auch die Ergebnisse sehen nur die Nachwuchslehrer selbst, um sie dann mit einer erfahrenen Lehrkraft ihrer Wahl zu besprechen. Zum Feedback kommt also das Mentoring. Und danach die Besprechung der Ergebnisse mit der Klasse, das gemeinsame Nachdenken über Verbesserungen.
Wenn Kultusminister Sibler laut dpa von einer gestärkten "Feedback-Kultur" als Folge des Schulversuchs spricht, stapelt er sogar noch tief. Es geht um neue Formen der Partizipation jenseits der eingespielten Strukturen von Schülersprechern und Schülerräten. Wer Schüler in die Mitverantwortung nimmt, erzeugt Verantwortungsbewusstsein, so einfach ist das. Es ist gut, wenn solche Erfahrungen nun ausgerechnet auch in einem Bundesland gemacht werden, das nicht dafür bekannt ist, jeder pädagogischen Mode hinterherzulaufen.
Wie wäre es, wenn ein solches System irgendwann an allen Schulen existierten würde, und wenn alle Lehrkräfte es nutzten, nicht nur die Berufsanfänger? Ein neues Miteinander von Schülern und Lehrern und auch der Lehrer untereinander, die miteinander das Feedback ihrer Schüler diskutieren: ein verwegener Gedanke womöglich. Aber auch ein schöner.
Dieser Artikel erschien heute zuerst leicht gekürzt in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Mannheimer Studi (Sonntag, 15 Juli 2018 21:11)
Eine solche Evaluation machen wir seit Jahren an unserer Fakultät: Jedes Semester wird jede Vorlesung, jedes Seminar und jede Übung von den Studis evaluiert. Im Bachelor auf Papier, im Master online. Die Ergebnisse der Vorlesungen und Seminare werden im Foyer ausgehängt wo jeder vorbei kommt. Übungen werden oft von studentischen Hilfskräften gehalten und daher etwas versteckt im vierten Stock aufgehängt. Die Fachschaft hat sogar begonnen in der Mitte des Semester eine zusätzliche sog. Zwischenevaluation zu organisieren, damit Übungsleiter (die oft nur ein Semester lang lehren) frühzeitig Rückmeldung bekommen und gegensteuern können. Ich finde das ist alles eine super Sache. Man sollte die Wirkung aber auch nicht überschätzen. Wenn einer kein guter Lehrer ist, wird er es auch nicht aufgrund wiederholt schlechter aber folgenloser Evaluation.
Lehrerin (Montag, 21 Dezember 2020 09:08)
Das ist Rotz.