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Jetzt ist die Gelegenheit da

Der Zugang zum Medizinstudium muss neu geregelt werden. Die Länder sollten es nicht dabei belassen. Eine umfassende Reform von Abitur und Studierendenauswahl wäre wünschenswert. Möglich ist sie auch. Ein Gastbeitrag von Peter Frankenberg.

Foto: Heinrich-Vetter-Stiftung.
Foto: Heinrich-Vetter-Stiftung.

DER ZUGANG ZUM STUDIUM steht immer wieder in der Diskussion, wie zuletzt im Falle des Medizinstudiums. Man hat sich an den Numerus Clausus gewöhnt. Aber ist genügend bedacht, wie dieses Streben nach möglichst guten Abiturnoten das schulische Lernen verändert hat? Von "non scholae sed vitae discimus" kann keine Rede mehr sein. Die Oberstufenschüler treffen ihre Kurswahl nach den zu erwartenden Zensuren. Zwangsläufig werden so die Durchschnittsnoten im Abitur immer besser (noch nie gab es so viele Einser-Abiturabschlüsse wie heute), die Vergleichbarkeit von Schule zu Schule oder Land zu Land ist nicht wirklich gegeben.

 

Auch deshalb hat sich das Wissenschaftsnetzwerk der Konrad-Adenauer-Stiftung mit diesem Thema befasst. Es geht bei der Wahl des Studiums und der Bewerbung um einen Studienplatz um eine Lebensentscheidung, den Weg zum Beruf. Es geht um die Frage der Studierfähigkeit und der Berufsfähigkeit. Ein Einser-Abitur macht noch keinen guten Arzt! Die Vielfalt der Studien- und Hochschulangebote macht die Entscheidungen schwerer denn je,  und dies nun für über 50 Prozent einer Alterskohorte.

 

Am Anfang sollte jedoch die Frage "Studium oder Duale Ausbildung?"stehen. Als weitere Alternative bietet sich ein Studium plus Ausbildung im Betrieb an. Fest steht: Die Duale Ausbildung ist oft nicht weniger herausfordernd als ein Studium.

 

Bei einer Entscheidung zum Studium muss sich ein junger Mensch mit der Frage konfrontieren, wie gut er oder sie wirklich über den beabsichtigten Studiengang informiert ist. Und wie geeignet er dafür ist. Es gilt stets die Normalverteilung auch spezifischer Begabungen, die Eignungen sind also höchst unterschiedlich.

 

Angesichts der hohen Diversität der Studierendenkohorten stehen die Hochschulen bei Auswahl und Studium vor großen Herausforderungen. Hohe Abbrecherquoten bezeugen dies. Hochschulen können und dürfen keine Niveausenkung betreiben. Sie können den Herausforderungen aber mit Hochschuldidaktik und besseren Betreuungsrelationen begegnen. Dies verlangt eine bessere Finanzierung durch die Länder.

 

Universitäten oder Fachhochschulen?

 

Die erste wichtige Studienentscheidung ist die Wahl der Hochschulart. Universitäten sind ausgerichtet auf Forschung. Sie bilden damit den forschenden Nachwuchs aus. Wer keine Forschungsorientierung sucht, sollte auch nicht an einer Universität studieren. Sie ist nicht primär eine Institution unmittelbarer Berufsbildung – abgesehen von universitären Studiengänge, die wie Medizin mit einem Staatsexamen enden, aber trotzdem forschungsorientiert sind.

 

Die überwiegende Zahl der Studienberechtigten sucht eine akademische Berufsausbildung, sollte also an Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Dualen Hochschulen studieren. Dort sollte das Fächerangebot ausgeweitet werden und vor allem hätten dort auch die zusätzlichen Studienplätze eingerichtet werden sollen, die der Bund im Rahmen des Hochschulpaktes mitfinanziert.

 

Wie aber können Hochschulen sachlich und rechtlich einwandfrei den Zugang zum Studium regeln, sodass die Eignung der Bewerber im Vordergrund steht?

 

Die erste Entscheidung liegt beim potentiellen Studierenden. Die Wahl des Studiums sollte in einem ersten Schritt nach möglichst intensiver Beratung und "self-assessment tests" erfolgen, also fachorientierte Online-Verfahren, die über das Fach informieren und auch die eigene Eignung überprüfen lassen.

 

Die Auswahlentscheidung durch die Hochschule sollte möglichst dreistufig sein, basierend auf Abiturnote, Eignungstests sowie einem abschließenden Auswahlverfahren unter Einbeziehung von Berufspraktikern, damit nicht nur die Studierfähigkeit, sondern auch die Berufseignung in entsprechenden Studiengängen getestest wird.Es zeigt sich, dass die Abiturnote ein guter Prädiktor der Studierfähigkeit ist (wenn auch nicht auf eine Zehntel-Note genau!), zusätzlich könnte man etwa die Position eines Studienbewerbers in Perzentilen auf "Landeslisten" angeben, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen.

 

Weitere Schritte einer konsequenten Auswahl können die Abbrecherquoten signifikant senken. Man bedenke etwa die aufwendigen Verfahren an Kunst- und Musikhochschulen oder die sehr erfolgreiche Auswahl der Studierenden an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg durch die Ausbildungsunternehmen, die Testverfahren durchführen und vor allem Bewerbungsgespräche führen.

 

Das Abitur muss vergleichbarer werden

 

Allerdings müsste das Abitur vergleichbarer werden. Noch immer bestehen enorme Anforderungsunterschiede zwischen den Ländern. Hier liegt immer noch eine große Herausforderung für die Kultusministerkonferenz. Wirklich vergleichbar wären nur die Abiturnoten eines deutschen Zentralabiturs, aber auf dem Niveau Bayerns, von Sachsen oder auch von Rheinland-Pfalz. Zudem müsste das Abitur wieder eine breite Bildung widerspiegeln unter Betonung der wesentlichen Grundlagen von Mint-Fächern und Fächern unserer kulturellen Prägung sowie der Fremdsprachen.

 

Hochschulen müssten für die notwendigen aufwendigen Auswahlverfahren ausgestattet sein. Sie sind nicht einfach "nebenher" zu erledigen. Eignungstests werden durchaus schon zentral angeboten. Hier könnten sich Fachgesellschaften verstärkt einbringen, auch Fakultätentage. Es könnte auch eine Aufgabe sein, der sich die Hochschulrektorenkonferenz aktiv widmet.

 

Die eigentlichen Auswahlverfahren müssen die Hochschulen individuell durchführen, aber möglichst vergleichbar gestalten. Hier wäre die Hinzuziehung von Berufspraktikern sinnvoll. Die Eignung zu Forschung können Forschende prüfen, die zum Lehramt aber sicher Lehrer/Innen besser als Professor/Innen.

 

Ein College-Jahr als Weg ins Studium

 

Weitere Alternativen sollten zumindest erwogen werden. Mit der Einführung von Bachelor und Master haben wir eine Stufe nicht eingeführt: das College. Zwischen Erlangung der Hochschulreife und eigentlichem Studium könnte ein Collegejahr eingeführt werden. Dann machte auch G8 einen Sinn! Zuvor müsste man sich nur für eine Hochschulart entscheiden und für eine generelle Richtung, wie Naturwissenschaften/Technik, Geisteswissenschaften, Sozial- Wirtschaftswissenschaften. In diesem College-Jahr würden sich Eignung und Neigung ergeben und mit dem Abschluss könnte man die spezifische Studierfähigkeit erlangen.

 

Für das in der Auswahl so hochsensible Fach Medizin bestünde ein alternativer in den USA und Großbritannien erprobter Studienweg. Auf einen Bachelor in einem naturwissenschaftlichen Grundlagenfach folgt (unter anderem nach den dabei erzielten Noten und einem Auswahlverfahren) ein zumindest vierjähriges Masterstudium in Medizin.

 

Auch beim Lehramtsstudium für Gymnasium bzw. Sekundarstufe II könnte man das eigentlich pädagogisch-orientierte Studium auf einem Fachbachelor aufbauen. Dieser könnte an allen Hochschularten absolviert werden. Erst danach müsste man sich für ein Lehramtsstudium entscheiden und die entsprechenden Auswahlverfahren durchlaufen. Warum sollte nicht ein Absolvent der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Elektrotechnik ein sehr guter Mathematik- und Physiklehrer werden können? Wenn wir die Frage der Auswahl von Hochschule, Studienfach und Studierendem stufenweise flexibel anlegen, werden die Erfolgsquoten im Studium steigen. Dazu sollten auch die Übergänge von Studium und dualer Ausbildung besser gelingen und wird sich auch die Berufseignung erhöhen. Wenn im Idealfall ein Unternehmen seinen Mechatronikmeister zum forschenden Ingenieur weiterbilden lassen will, muss es dazu spezifische Studienangebote geben.

 

Auswahlverfahren auch bei Nicht-NC-Fächern

 

Der "geregelte" Hochschulzugang kann rechtlich nur bei zulassungsbeschränkten Fächern verbindlich sein. Dennoch sollte auch für die übrigen Fächer die Hochschule entsprechende Auswahlverfahren anbieten. Eigentlich kann niemand verantworten, dass zumindest ohne Selbstprüfung und die Möglichkeit von Auswahlverfahren, auch wenn sie nicht verbindlich sind, ein Studium aufgenommen werden kann.

 

Die Länder könnten nach dem "Medizinurteil" des Bundesverfassungsgerichts die Gelegenheit nutzen, insgesamt den Hochschulzugang verbessert zu regeln. Da jedoch das Hochschulrahmengesetz in diesem Punkt noch gilt, könnte dies auch der Bund übernehmen.

 

Deutschlands Zukunft hängt wesentlich von der Qualität von Bildung, Forschung und Entwicklung ab. Junge Menschen in die für sie passenden Bildungswege zu orientieren, ist eine zentrale Aufgabe von Staat, Schulen und Hochschulen.

 

Peter Frankenberg (CDU) war Rektor der Universität Mannheim, Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg und leitet das Wissenschaftsnetzwerk der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Mannheimer Studi (Freitag, 03 August 2018 16:11)

    "Sie [Die Universität] ist nicht primär eine Institution unmittelbarer Berufsbildung"
    Das ist eine schöne Utopie, die an der Realität zerschellt. Der überwiegende Teil meines Bachelorjahrgangs strebt keine wissenschaftliche Karriere an. Auch in meinem forschungsorientierten Master hat sich weniger als die Hälfte der Absolventen zur Promotion beworben. Selbst nach der Promotion verlassen viele die Universität Mannheim in Richtung Privatwirtschaft oder öffentliche Arbeitgeber.

    "– abgesehen von universitären Studiengänge, die wie Medizin mit einem Staatsexamen enden, aber trotzdem forschungsorientiert sind."
    Jetzt frage ich mich aber doch was an Medizin anders ist als an, sagen wir, Betriebswirtschaftslehre. Aber gut, ich lese das mal als Zustimmung, dass der klassische Dr. med. mit einem Berufsdoktorat ersetzt werden sollte, um nicht weiter den Anschein von Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen. Einverstanden?

  • #2

    Ruth Himmelreich (Montag, 06 August 2018 09:21)

    Klingt alles gut, wobei aber auf das eigentliche rechtliche Problem nicht hingewiesen wird: die Verfahren bei den Kunst- und Musikhochschulen (und beim Sport, übrigens!) sind so geregelt, dass die Hochschule nur die Bewerber nehmen muss, die sie für geeignet hält. Bleiben Plätze frei oder springen Bewerber ab, muss sie dafür nicht Kandidaten nehmen, die falsche Töne kratzen, nur Strichmännchen malen können oder einen Handstand nur vom Hörensagen kennen. Außerdem sind an diesen Hochscharten die Studierenden auch noch hervorragend betreut, gerne mit Einzelunterricht. Kein Wunder, dass die Abbrecherquoten niedrig sind.

    Bei den "normalen" Studiengängen, die nicht so überbucht sind wie die Medizin, geht das aber nicht. Da muss man selbst beim durchdachtesten Auswahlverfahren über die Nachrückerliste noch den mit der Mathevier in den Ingenieurwissenschaften nehmen, auch wenn man sieht, dass das wahrscheinlich nichts wird. "Bessere Betreuung" wird hier immer schnell gefordert - von den Sportstudiengängen verlangt man aber nicht, aus einem Mehlsack mit Einzelcoaching noch den Sportler herauszuholen, obwohl es wahrscheinlich einfacher ist, Muskeln zu trainieren als einem matheaversen Gehirn höhere Mathematik beizubiegen...